Ruhe für die Seele in Marienthal
Nahezu regelmäßig wird die Aufgabe von Klöstern vermeldet. Viele von ihnen haben über Jahrhunderte hinweg Wallfahrtsorte seelsorglich betreut. Doch nach wie vor gibt es aktive Wallfahrtsklöster – so zum Beispiel auch im hessischen Marienthal, wo seit bald 150 Jahren die Franziskaner (OFM) wirken.
Wenn Ärzte mit ihrer medizinischen Kunst am Ende sind, suchen und suchten nicht wenige Menschen seit jeher Zuflucht bei Gott. So auch der einfache Jäger Hecker Henn im Jahr 1309. Er hatte sein Augenlicht verloren und niemand konnte ihm mehr helfen. Er erinnerte sich an ein kleines Marienbild, das ihm offensichtlich während einer seiner zahlreichen Jagdtouren im Wald aufgefallen war. Dorthin lässt er sich nun führen, um zu beten. Und die alte Wallfahrtschronik berichtet: Kaum, dass er sein Gebet beendet hat, kann er sehen wie eh und je. Sein Chef, Junker Hans Schaffrait, lässt daraufhin einige Jahre später eine Kapelle errichten, in der das Marienbildnis – ein sogenanntes Vesperbild: Maria hält ihren toten Sohn in den Armen – einen würdigen Platz findet. Die Hoffnung auf ein eigenes Wunder bringt mehr und mehr Menschen in das abgelegene Tal, so dass schon 1330 die erste größere Kirche eingeweiht werden kann. Der Wallfahrtsort Marienthal blüht auf.
Vom Aufschwung bis zur Ruine
Kurz nach einem Tiefpunkt im Wallfahrtsgeschehen – die Gläubigen hatten das religiöse Interesse verloren – kommen die „Brüder vom Gemeinsamen Leben“ zur seelsorglichen Betreuung nach Marien-thal. Sie wirken nicht nur in der Seelsorge vor Ort segensreich, sie gründen mit der „Marienthaler Presse“ auch die erste Klosterdruckerei der Welt und gehören damit, wenige Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks, zu den Pionieren dieses neuen Handwerks. Die Ordensgemeinschaft verlässt Marienthal allerdings nach etwa 100 Jahren wieder und es folgen schließlich mehrere Wechsel: Erst kommen und gehen die Augustinerchorherren, 1612 folgen die Jesuiten. Sie haben mit einem Großfeuer zu kämpfen, 1626 außerdem mit der Pest. Doch es gelingt ihnen bis zu ihrer zwischenzeitlichen Aufhebung 1773, den Wallfahrtsort zu erhalten und auszubauen. Nach ihrem erzwungenen Weggang befiehlt der Erzbischof, das Marienbild in die Pfarrkirche nach Geisenheim zu übertragen und veranlasst den Abbruch der Wallfahrtskirche. Die Klosterchronik berichtet: „Beim Abbruch aber ereignete sich ein schweres Unglück: Am 15. September 1782 wurde der Maurer Kaspar Eisenbach aus Stephanshausen von dem einstürzenden Gewölbe erschlagen. Lähmendes Entsetzen erfasste die übrigen Arbeiter. Sie sahen im Tod ihres Kollegen einen Fingerzeig Gottes und verweigerten den weiteren Abbau der Wallfahrtskirche. So blieb sie dann als Ruine stehen. Viele Pilger aber kamen nach wie vor und beteten an der Stelle, wo das Gnadenbild gestanden hatte.“
Seelsorgliche Kontinuität
Mehrere Male wechselt die verlassene Klosteranlage samt Kirche ihren Besitzer. Im halbzerstörten Kirchenschiff wächst ein Lindenbaum, aus dem später eine Marienfigur geschnitzt werden wird, und es dauert bis zum 8. September 1858, als am Fest Mariä Geburt die wieder in Stand gesetzte Kirche neu konsekriert werden kann. Mit feierlicher Prozession kehrt das Gnadenbild zurück und mit ihm ein reges Wallfahrtsgeschehen, für das seit 1873 die Franziskaner (OFM) verantwortlich sind, mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung während der Zeit des Kulturkampfs.
Sie sorgen für ein regelmäßiges Gottesdienst- und Beichtangebot, betreuen die Wallfahrerinnen und Pilger und bieten „Kloster auf Zeit“ an: „Unsere Gäste, die auf Zeit unser Leben teilen, leben mit uns im gleichen Haus, teilen mit uns unsere Mahlzeiten, beten und arbeiten mit uns. Dabei ergeben sich vielfältige Gelegenheiten zu Gesprächen, Gelegenheiten sich kennenzulernen und voneinander zu lernen, den Anderen und sich selbst zu erspüren, die Liebe neu zu entdecken – ein Geschenk des Lebens – , Vertrauen zu finden, geliebt zu werden mit allen Ecke und Kanten, mit allen Fehlern und Schwächen und auch – lieben zu können. In der Schönheit der Natur kann man bei Wanderungen um Marienthal Abstand von seinem täglichen Einerlei bekommen und Gottes Gegenwart in seiner Schöpfung erleben.“