Ruhestätte der toten Dichter
In den Jahren 48 und 47 v. Chr., als Caesar sich im Thronstreit zwischen den Geschwistern Ptolemaios und Kleopatra auf die Seite der Letzteren schlug, inte-ressierte man sich in Rom wieder vermehrt für die ägyptische Politik. Als der römische Feldherr die verführerische und hoch gebildete Prinzessin nach dem Alexandrinischen Krieg auf den Thron hievte und sich auch noch in sie verlieb-te, drehte sich jedes Gespräch in den römischen Salons um Kleopatra. Und als Oktavian die Schöne vom Nil in den Freitod trieb – sie starb im Jahre 31 v. Chr. durch Schlangengift – brach in Rom die Ägyptomanie aus.
Ägyptomanie. Nicht zu den ersten, wohl aber zu den berühmtesten Opfern die-ser neuen Krankheit zählte der Justizbeamte Cajus Cestius. Und weil ‚ein biss-chen Ägypten‘ damals große Mode war und Cestius die nötigen Mittel besaß, ließ er sich bei der Porta Ostiensis (der heutigen Porta San Paolo) eine Pyramide als Grabstätte errichten, die später in die Stadtmauer miteinbezogen wurde. Letztlich verdankt Cestius es der ‚ägyptischen Krankheit‘, dass sein Name heute in jedem Romführer auftaucht. Angeblich wurde seine Pyramide in den Jahren 12/11 v. Chr. in einem Zeitraum von gerade 330 Tagen errichtet.
Goethe suchte sie anlässlich seines Romaufenthaltes im Jahre 1787 mehrmals auf. Der Schluss seiner siebten Römischen Elegie deutet daraufhin, dass er gele-gentlich mit dem Gedanken spielte, sich auf dem hinter der Pyramide gelegenen Friedhof bestatten zu lassen: “O, wie fühl ich in Rom mich so froh!... / Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später / Cestius’ Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.“
Schattendasein. Der Wunsch sollte sich nicht an ihm, sondern an seinem Sohn August erfüllen, der zeitlebens im Schatten seines Vaters stand und nun im Schatten der Pyramide begraben liegt. An dieses Schattendasein erinnert selbst noch die lakonisch anmutende lateinische Inschrift auf dem Grabstein, die der Dichterfürst von Weimar für seinen Sohn einmeißeln ließ – und die den Namen des Toten verschweigt: “Goethes Sohn, dem Vater vorauseilend, verstarb anno 1830 in seinem 40. Lebensjahr.“
Angelegt wurde der Friedhof bei der Cestius-Pyramide um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Einer der Ersten, der dort seine letzte Ruhestätte fand, war der junge Baron Georg von Werpup aus Hannover, der während einer Audienz bei Klemens XIII. den Wunsch äußerte, bei der Pyramide begraben zu werden. Als er 1765 im Alter von nur 25 Jahren an den Folgen eines Wagenunfalls starb, er-füllte man ihm diese Bitte.
Die Ursprünge des Friedhofs liegen im Dunkeln. Erstmals erwähnt wird er in einem Stadtplan, den Giambattista Nolli im Jahre 1748 zeichnete. Die Pyramide erscheint auf dieser Karte als “der Ort, an dem man die Protestanten beerdigt“.
Begräbnisstätte Berühmter. Später bezeichnete man die Begräbnisstätte bei der Pyramide auch als “Friedhof der Nichtkatholiken“ (so die offizielle Benen-nung), oder – weil es sich bei den dort Beigesetzten zumeist um Romreisende aus anderen Nationen handelte – als “Ausländerfriedhof“.
Im Grunde aber gehört dieser Fleck Erde den Dichtern, Denkern und Künstlern. Es sind ihrer einige Hundert, die dort begraben liegen; die Engländer Keats und Shelley zählen zu den Berühmtesten.
Keats kam gegen Ende 1820 nach Rom, wo er am 23. Februar 1821 verstarb. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof hinter der Pyramide. Die von ihm noch selbst entworfene Grabinschrift zeigt, wie unverstanden er sich als Dichter fühlte: Here lies One Whose Name was writ in Water (Hier liegt einer, dessen Name ins Wasser geschrieben war).
Shelleys Seetod. Von großer Schlichtheit ist auch der Totengedenkstein von Percy Bysshe Shelley; man liest die Lebensdaten (1792-1822), die Worte COR CORDIUM (Herz der Herzen) und drei englische Zeilen aus dem Gesang des Ariel in Shakespeares Der Sturm: “Nichts an ihm, das soll verfallen / Das nicht wandelt Meereshut / In ein reich und seltnes Gut.“
Shelley war am 8. Juli 1822 einem Seesturm zum Opfer gefallen, als er allein in einem kleinen Boot der versilischen Küste entlangsegelte. Entsprechend einem damaligen Gesetz wurde der Leichnam am Fundort verbrannt. Shelleys Freund, der Italienbewunderer Lord Byron, veranlasste die Überführung der Asche nach Rom. Er war es auch, der einen unbekannten Bildhauer dazu bewog, die be-rühmten Zeilen Shakespeares in den Grabstein zu meißeln und dabei Shelleys Handschrift nachzuahmen.
Anwärter auf Auferstehung. Wahrscheinlich gibt es nur wenige Friedhöfe auf der Welt, die jene überirdische Ruhe ausstrahlen, wie das Gräberfeld bei der Cestius-Pyramide. Wer beim Verlassen des Friedhofs den Blick noch einmal zurückwendet, bemerkt über dem Tor eine Inschrift, die beim Betreten dieser Stätte leicht übersehen wird: RESURRECTURIS – für die, die der Auferwe-ckung entgegenharren.