Scharfsinniger Staatsdenker
Durch seine Lehre von der Gewaltentrennung hat der französische Philosoph und Staatsrechtler Charles de Montesquieu wie kein anderer zu den Grundlagen der modernen Demokratien beigetragen. Vor 250 Jahren starb der geniale Gelehrte in Paris.
Montesquieu wird häufig als “Vater der Gewaltenteilung“ bezeichnet. Dieser Ruhm jedoch steht wohl eher dem englischen Philosophen John Locke (1632-1704) zu, der sich bereits 1690 als Erster Gedanken über die Teilung der staatlichen Gewalt in Gesetzgebung (Legislative), Verwaltung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) machte. Deshalb ist es wohl zutreffender, Montesquieu als den Wegbereiter der modernen Gewaltenteilung zu bezeichnen, wie sie weltweit Demokratien auszeichnet. Der französische Staatsrechtler griff Lockes Idee auf, erweiterte sie, stimmte sie auf die Gegebenheiten seiner Zeit ab und machte sie einem großen Publikum bekannt. Wegbereiter der Idee eines anderen zu sein, schmälert in keiner Weise die Verdienste des großen Franzosen.
Adelige Herkunft. Montesquieu, der erst 1716 Namen, Titel und Güter seines Onkels, Jean-Baptiste de Secondat, Baron des Montesquieu, erbt, wird am 18. Januar 1689 als Charles-Louis Secondat im Wasserschloss La Brède südlich der französischen Stadt Bordeaux getauft. Da damals wegen der hohen Kindersterblichkeit Neugeborene meist gleich nach der Geburt getauft wurden, dürften Geburts- und Tauftag gleich sein. Mit elf Jahren wird der junge Charles-Louis zum Lernen an das Oratorianerkolleg in Juilly nahe Paris geschickt, fünf Jahre später studiert er bereits Jurisprudenz an der Hochschule Bordeaux. 1708 beendet er sein Studium und lässt sich als Rechtsanwalt nieder. Von 1709 bis 1713 lebt Montesquieu in Paris, wo er seinen Horizont enorm erweitert und Kontakte zu anderen Geistesgrößen seiner Zeit pflegt. 1713 stirbt der alte Secondat, von ihm erbt der nunmehr 24-Jährige den Titel “Baron de la Brède“. Jetzt hält er die Zeit für gekommen, sich nach einer Frau umzusehen: Er findet sie 1715 in Jeanne de Lartigue. Der Ehe entstammen die drei Kinder Jean-Baptiste, Marie und Denise.
Universalgelehrter. Ein Jahr später wird Montesquieu in die Académie de Bordeaux gewählt. Seine Antrittsrede erweckt Aufmerksamkeit. Sie markiert gleichzeitig den Beginn umfangreicher wissenschaftlicher Studien und deren Veröffentlichung seitens des Autors.
Montesquieu beginnt den Reigen seiner Schriften mit einer Abhandlung über die “Religionspolitik der Römer“, der eine weitere über das “System der Ideen“ folgt. Zeitgleich richtet er an den noch minderjährigen Ludwig XV. eine Denkschrift, in der er sich über die Staatsschulden auslässt.
Ganz im Sinne eines Universalgelehrten beginnt Montesquieu mit einer ersten umfangreichen Materialsammlung: Sie enthält Titel wie “Nachlese“, eine Abhandlung über “Cicero“ und ein “Lob der Ernsthaftigkeit“, welches allerdings erst beinahe 150 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wird.
1718 wird der junge Baron zum ersten Mal zum Direktor der Académie de Bordeaux gewählt: In der Folge wartet er mit zahlreichen gelehrten Abhandlungen auf, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie etwa der “Ursache des Echos“, der “Funktion der Nieren“, einer “Geschichte der alten und der neuen Welt“ oder der “Ursache der Schwerkraft“ befassen.
Geistreiche Gesellschaftssatire. Drei Jahre später wartet Montesquieu mit einer literarischen “Bombe“ auf: Seine “Perserbriefe“ erscheinen, aus Furcht vor der allgegenwärtigen Zensur allerdings anonym und mit gefälschter Angabe des Verlages, in Amsterdam.
In dieser pseudo-orientalischen Briefsatire, wie sie nachmals genannt wurde, lässt der Autor zwei fiktive Perser namens Usbek und Rica Europa, vornehmlich aber das Frankreich seiner Zeit, bereisen und über ihre Erlebnisse nach Hause berichten. Was die beiden “Kultur-Spione“ zu schreiben haben, lässt die Leser der “Perserbriefe“ aufhorchen. Unverhohlen üben die beiden vermeintlichen Orientalen Kritik an Kirche und Papst, an der absolutistischen Regierung Ludwigs XIV., an Richtern und deren Urteilsvermögen, an religiöser Intoleranz am Beispiel der Aufhebung des Ediktes von Nantes, das den Hugenotten lange Zeit religiöse Gleichstellung gewährt hatte. Usbek und Rica wundern sich über die im Christentum gebotene Einehe und die Schwierigkeiten, die mit der Einhaltung des Gebots einhergehen ebenso wie sie über intellektuelle Hochstapler lästern, die die wissenschaftlichen Zirkel jener Zeit bevölkern. Kurzum: Montesquieu lässt seine beiden Helden all die Ungereimtheiten, Ungerechtigkeiten und Popanze seiner Zeit entlarven und literarisch aufspießen.
Unübertroffener Staatsdenker. Jetzt, 32-jährig, hat die Geistesgröße ihren intellektuellen Wendepunkt erreicht: Montesquieu hat die Wahl, sich zwischen dem Leben eines Richters an einem Provinzparlament oder dem eines Privatgelehrten zu entscheiden. Er wählt Letzteres.
Bis zu seinem Tode am 10. Februar 1755 gibt er eine Fülle an Schriften zu Staatstheorie, Rechtsystem, Geschichte, Religion und zur Philosophie heraus. Er schreibt – im Wortsinn – über Gott und die Welt. Dem zwischenzeitlich Berühmten öffnen sich die Salons und Akademien seiner Zeit. Er wird Mitglied der Académie Francaise, der Royal Society und der Berliner Akademie. Er bereist England, für dessen Monarchie er sich einen idealen Staat mit Gewaltenteilung ersinnt, des weiteren Deutschland und Italien. Über das Gesehene verfasst er Reiseberichte, vergisst über dem Tagesgeschäft aber nicht jene Werke, die seinen Nachruhm bis heute ausmachen.
Deren größtes ist sein 1748 anonym in Genf erschienenes “Vom Geist der Gesetze“, das ihm den Weg zur Unsterblichkeit ebnet. Darin stellt er Betrachtungen an über die Herkunft der Gesetze, über deren Anwendung in verschiedenen Gesellschaften, analysiert unter anderem die Gesellschaftsstruktur des Absolutismus. Als Schlussfolgerung fordert er dessen Abschaffung und die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie nach dem Vorbild Englands. Meilenstein des Werkes ist jedoch das Prinzip der Gewaltenteilung, wie eingangs beschrieben. Zuerst findet es 1776 Eingang in die Verfassung der später so genannten Vereinigten Staaten von Nordamerika.