Schnee im August

25. Juni 2009 | von

 Weiße Rosenblätter schweben von der goldenen Kassettendecke in den erhabenen Kirchenraum hinab – ein traumhaftes Bild, das tatsächlich an einen Traum erinnert, den Papst Liberius im Jahr 358 hatte. Er kün-

digte ein Wunder an: Schneefall in Rom, zur Zeit der größten Sommerhitze. Jedes Jahr am 5. August wiederholt sich dieses nun symbolisch in der Basilika S. Maria Maggiore, wenn gläubige Römer den Weihetag ihrer bedeutendsten Marienkirche feiern.



 Der Monat August lässt Rom, die ansonsten so lebhafte Stadt am Tiber, ein wenig zur Ruhe kommen. Der Papst urlaubt, die Behörden der Kurie arbeiten mit kleinstmöglicher Besetzung, und ein Großteil der Römer ist in „Ferragosto"-Stimmung. Alt und Jung erfreut sich an einem Aufenthalt am Meer oder erholsamer Tage in den Albaner Bergen, mit viel Müßiggang und einem kühlen Glas Wein aus den Castelli Romani. Strenggenommen bezeichnet „ferragosto" als Urlaubsdatum nur den 15. August, aber in der Ewigen Stadt nimmt das niemand so ganz wörtlich. Die schon in der Antike üblichen „feriae Augusti" werden auf Tage, ja Wochen vor und nach der Mitte des Monats ausgedehnt. Die Ferienzeit und die sommerliche Hitze hindern die Römer jedoch nicht daran, am 5. August das Kirchweihfest von S. Maria Maggiore feierlich zu begehen und sich sogar schon Tage zuvor in einem Triduum darauf vorzubereiten: mit festlichen Pontifikalämtern und abendlichen Rosenkranzandachten.



Die Entstehungsgeschichte der berühmten Marienbasilika Roms ist legendenumwoben. Der Überlieferung nach erschien in der Nacht vom 4. auf den 5. August des Jahres 358 die Gottesmutter Papst Liberius (352-366) im Traum. Die Mutter des Herrn bat um eine Basilika an dem Ort, an dem in der Nacht Schnee fallen werde. Auch der reiche römische Senator Johannes hatte diesen Traum. Beide begaben sich am Morgen des 5. August zu der Stelle, wo es tatsächlich auf wunderbare Weise geschneit hatte. Papst Liberius zeichnete den Grundriss für das künftige Gotteshaus in den frisch gefallenen Schnee, und der kinderlose Senator stiftete sein Vermögen für den Bau der Kirche. So soll „Sancta Maria ad nives", die Basilika der „hl. Maria beim Schnee", entstanden sein, aus der später Santa Maria Maggiore – Groß St. Marien – wurde.



Bei dem Pontifikalamt und der Zweiten Vesper des Kirchweihfestes wird den Gläubigen das Schneewunder alljährlich in Erinnerung gerufen. Vor den Augen staunender Zuschauer fallen dann weiße Rosenblätter von der vergoldeten Kassettendecke auf den Altar der Basilika herab. Für Monsignore Marcello Semeraro, den Bischof von Albano Laziale, der im vergangenen Jahr an den Feierlichkeiten in S. Maria Maggiore teilnahm, hat der Schneefall in dem römischen Gotteshaus eine tiefere Bedeutung: „Der Schnee fällt vom Himmel auf die Erde, er ist vollkommen weiß. Weiß ist auch die Farbe der Muttergottes, die Farbe der Reinheit. Bei uns gibt es ein Sprichwort – ‚Sotto la neve pane’ (Unter dem Schnee finden wir das Brot). Maria ist der lebendige Tabernakel für Jesus Christus gewesen, der sich uns in der Eucharistie schenkt."



Spektakel um frommen Brauch



Seit 25 Jahren findet am späten Abend des 5. August vor der Fassade von S. Maria Maggiore eine ganz besondere Hommage an das Schneewunder statt. In der Presse und auf Plakaten wird es als „Spettacolo di luci, musica e nevicata per la Madonna della Neve" (Schauspiel mit Licht, Musik und dem Schneefall für die Madonna vom Schnee) angekündigt. Getragen wird die Veranstaltung von der Stadt Rom, dem italienischen Kulturministerium und vatikanischen Institutionen. Berühmte Chöre, international bekannte Solisten und die „Banda", die Musikappelle der Karabinieri, treten auf. Prachtvollen Lichtinstallationen mit farbigen Lasern und künstlichen Nebeln folgt um Mitternacht der abschließende „Schneefall", unter Salut aus 20 Kanonen.



Schon das alte, heidnische Rom hatte es verstanden, das Religiöse im alltäglichen Leben präsent werden zu lassen. Als die Ewige Stadt den christlichen Glauben annahm, änderte sich daran nichts. Heute aber wird danach getrachtet, die Religion ins Private zu verbannen. Eine Stadt wie Rom wehrt sich dagegen. Mit Erfolg. Und sogar mit der Erinnerung an eine Legende. Vor Jahren wurde der Dompropst von S. Maria Maggiore gefragt, ob denn der „Schneefall" weißer Rosenblätter noch ein geeignetes Medium moderner Evangelisation sei. „Fromme Bräuche tragen die Religion genauso durch die Geschichte wie Liturgie und Katechese", antwortete der Prälat.



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016