Seien Sie gut zu den Kindern!
Kinder standen im Mittelpunkt des Lebens von Otfried Preußler (1923-2013). Anlässlich seines 100. Geburtstags am 20. Oktober erinnern wir an den vor allem bei jungen Menschen beliebten Schriftsteller.
Eine persönliche Vorbemerkung: Der Höhepunkt unserer Kindergeburtstage war gekommen, wenn meine Frau die Handpuppen von Kasperl und Seppl in die Hand nahm und mit beiden auf Räuberjagd ging, wobei sie sich gerne an Episoden aus dem Räuber Hotzenplotz orientierte. Neben dem „Räuber Hotzenplotz“ war vor allem das „Kleine Gespenst“ der Favorit unserer Kinder. Diese zwei Werke aus der Feder von Otfried Preußler sind uns am stärksten ans Herz gewachsen.
Konfliktreiches Aufwachsen
Als Otfried Preußler vor 100 Jahren, im Oktober 1923, geboren wurde, konnten die Kinder nicht so unbeschwert wie heute aufwachsen. Der Erste Weltkrieg lag erst wenige Jahre zurück. Die deutschsprachige Bevölkerung in Reichenberg, heute Liberec, gehörte seit dem Vertrag von Saint-Germain zur Tschechoslowakei. In diesem Vertrag war 1919 Österreich-Ungarn von den Siegermächten aufgeteilt und den deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen ein Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich verweigert worden. Die Eltern des kleinen Otfried waren beide Lehrer, der Vater betätigte sich zusätzlich als Heimatforscher. Wichtig wurde ihm seine Großmutter Dora: „Das Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe.“ (zitiert von der Homepage: www.preussler.de).
Nach der Volksschule wechselte er an die Oberschule für Jungen in Reichenberg, an der er 1942 sein Abitur ablegte. In den Jahren seiner Jugend wurde er in den deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt hineingezogen. Er schloss sich 1939 der Hitlerjugend an und wurde anschließend Mitglied der NSDAP. Nach dem Abitur meldete er sich freiwillig zum Wehrdienst und kämpfte an mehreren Abschnitten der Ostfront. Nach der Niederlage der 6. Armee im August 1944 bei Kischinew geriet Preußler in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er verbrachte fünf Jahre in verschiedenen Lagern in der Tatarischen Republik. Krankheiten und den Hunger überstand er dadurch, dass er Gedichte schrieb und sich Geschichten ausdachte, die auf der Lagerbühne zur Aufführung kamen.
Schriftstellerisches Schaffen
Nach seiner Entlassung fand er 1949 seine Angehörigen in Rosenheim. Seine Verlobte aus Reichenberg, Annelies Kind, traf er ebenfalls dort wieder. Sie heirateten und bekamen drei Töchter. Während seines Pädagogikstudiums verdiente er seinen Lebensunterhalt als Lokalreporter und Autor für den Kinderfunk. 150 Beiträge schrieb er in wenigen Jahren. 1953 begann er als Volksschullehrer in Stephanskirchen und blieb, später als Rektor, dieser Schule bis 1970 treu.
„Was ich von meinen Schulkindern, was ich von Kindern überhaupt lernen konnte, soweit es Geschichten für Kinder betrifft, das glaube ich während meiner Lehrerjahre gelernt zu haben. Es sind Jahre gewesen, in denen auch ich – und zwar unter anderem als Geschichtenerzähler – zur Schule gegangen bin.“ (zitiert von der Homepage)
Mitte der 1950er Jahre begannen seine Geschichten ausgezeichnet und zu Bestsellern zu werden. Nur die wichtigsten seiner 20 Kinderbücher seien genannt: „Der kleine Wassermann“, 1956 entstanden, wurde mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 1957 ausgezeichnet. „Die kleine Hexe“ (1957) wurde in 46 Sprachen übersetzt. 1962 folgte mit dem „Räuber Hotzenplotz“ das vermutlich bekannteste Werk, das er aufgrund seiner Korrespondenz mit den Kindern um zwei weitere Bände erweiterte: 1969 „Neues vom Räuber Hotzenplotz“ und 1972 „Hotzenplotz 3“. Dieses Werk wurde durch die Augsburger Puppenkiste auf die Bühne gebracht und bisher dreimal verfilmt (1974, 2006 und 2022).
Persönlich und engagiert
In den Jahren von 1961 bis 1971 arbeitete Otfried Preußler an dem Roman „Krabat“, der ihn persönlich stark forderte. Er griff in diesem Werk eine sorbische Sage aus der Lausitz auf. Der Waisenjunge Krabat kommt als Lehrling in eine Mühle, in der 12 Jugendliche von ihrem Meister nicht nur das Müllerhandwerk lernen, sondern auch in der schwarzen Magie unterrichtet werden. Er selbst sagte 1988 zu diesem Stoff: „Mein Krabat [...] ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.“ (zitiert von der Homepage) Wie das Zitat belegt, hat Preußler in diesem Roman seine eigene Verstrickung in die Institutionen des NS-Regimes, vor allem seine Jugendzeit in der Hitlerjugend, literarisch verarbeitet.
Schon seit den 1970er Jahren engagierte sich Preußler für die Orthopädische Kinderklinik in Aschau, in der behinderte oder verwundete Kinder aus den Krisengebieten der Welt behandelt werden. Das von ihm 1993 mitgegründete Hilfswerk für die Orthopädische Kinderklinik Aschau versucht, die Finanzierung dieser Einrichtung abzusichern.
Eine Mahnung Otfried Preußlers fasst die Erinnerung an ihn zutreffend zusammen: „Seien Sie gut zu den Kindern – wir haben nichts Besseres!“