„Seine Stadt“: Kafarnaum
Auf der biblischen „Lesereise“ werden wir von unserem Autor mit nach Kafarnaum genommen. Dort begegnen uns zahlreiche Erinnerungen an Jesus und sein Wirken.
Nicht zu übersehen ist das große Schild in englischer Sprache am Eingangstor, das auf die Bedeutung dieser einstigen am See Gennesaret gelegenen Stadt aufmerksam macht: „Kafarnaum: Die Stadt Jesu“, heute eine archäologische Stätte von etwa fünf Hektar direkt am nordwestlichen Ufer des Sees. Während das kleine Fischerdorf in biblischer Zeit für die Entwicklung Israels eine recht unbedeutende Rolle spielte, stimmen die vier Evangelien darüber ein, dass Kafarnaum im nördlichen Galiläa der Ausgangspunkt des öffentlichen Auftretens und Wirkens Jesu war. Das Matthäusevangelium geht sogar noch einen Schritt weiter und erwähnt Kafarnaum als Jesu zeitweiligen Wohnort. „Als Jesus hörte, dass Johannes ausgeliefert worden war, kehrte er nach Galiläa zurück. Er verließ Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali.“ (Mt 4,12-13) Später heißt es: „Und Jesus stieg ins Boot, fuhr über den See und kam in seine Stadt.“ (Mt 9,1)
Berufungen und Heilungen
Zahlreiche Begebenheiten spielen sich im Seeort Kafarnaum ab, das eine Länge von nur 300 Metern hatte und rund 200 Meter ins Landesinnere hineinragte. Jesus beruft dort seine ersten Jünger Simon Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes, die aus Kafarnaum stammen, und macht sie zu Menschenfischern, er lädt sich beim Zöllner Levi bzw. Matthäus zum Mahl ein, er treibt einen unreinen Geist aus, er heilt den Diener des Hauptmanns, die Schwiegermutter des Petrus, den Gelähmten, der auf seiner Liege durch das Dach hinunter ins Haus gelassen wird, die blutflüssige Frau, den Mann mit der verdorrten Hand, er erweckt die tote Tochter des Synagogenvorstehers Jairus wieder zum Leben und er lehrt und predigt über das Brot des Lebens in der Synagoge von Kafarnaum.
Historische Erinnerungen
Zur Zeit Jesu hatte Kafarnaum etwa 600 bis 1.000 Einwohner, vornehmlich Bauern und Fischer, und wurde nach dem Tod des Herodes im Jahr 4 v. Chr. zum Grenzort zwischen dem Herrschaftsgebiet von Herodes Antipas, zu dem es gehörte, und dem des Herodes Philippos. Daher scheint die Berufung des Zöllners Levi bzw. Matthäus an der Zollstation durchaus plausibel, gab es doch eine solche in Kafarnaum tatsächlich. Zu den ältesten öffentlichen Gebäuden Kafarnaums zählt eine Synagoge aus den ersten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts, die später durch einen Neubau an gleicher Stelle ersetzt wurde. Ein Wohnhaus neben der Synagoge wurde zu einem Treffpunkt der judenchristlichen Gemeinde, einer Hauskirche, an deren Stelle im späten 5. Jahrhundert eine christliche Kirche mit achteckigem Grundriss errichtet wurde, als Kafarnaum zum Ziel christlicher Pilger geworden war. Das ursprüngliche Haus wird aufgrund umfangreicher archäologischer Forschungen als das Wohnhaus des Petrus betrachtet, in dem auch Jesus zu Gast war. Im Hochmittelalter erlebte der Ort einen Niedergang, der Landstrich verödete und wurde im 11. Jahrhundert endgültig aufgegeben.
Wiederentdeckung
Erst im 19. Jahrhundert trat Kafarnaum wieder in das öffentliche Interesse. Die Überreste des Synagogenneubaus aus dem 4. Jahrhundert, etwa 100 Meter vom Ufer des Sees Gennesaret entfernt, wurden bei Ausgrabungen entdeckt und das Areal konnte später als das antike Kafarnaum identifiziert werden. Nachdem 1894 die Franziskaner das Gelände von den Samakieh-Beduinen gekauft und zum Schutz vor Diebstahl mit einer Mauer umgeben hatten, wurden zehn Jahre später die archäologischen Arbeiten fortgesetzt. Das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Jerusalem, dem der östliche Teil Kafarnaums gehört, ließ 1932 die Kirche der Zwölf Apostel mit mehreren roten Kuppeln errichten. Die jetzige moderne römisch-katholische Peterskirche über dem Haus des Petrus und den Mauerfundamenten der ersten byzantinischen, achteckigen Basilika im Westteil, der nach wie vor der Kustodie der Franziskaner vom Heiligen Land untersteht, wurde erst am 29. Juni 1990, dem Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, geweiht. Dabei nimmt der italienische Architekt Ildo Alvetta die Form des Oktogons der ersten Kirche an dieser Stelle auf und lässt in der Mitte durch einen gläsernen Boden die archäologischen Ausgrabungen erkennen. Gleichzeitig erinnert die auf Pfeilern stehende Kirche an ein Schiff und damit an den Beruf des Fischers Petrus. Wandfüllende Fensterflächen auch hinter dem Altar und dem Tabernakel, die die Kirche transparent und luftig machen, geben den Blick auf die umliegenden Ruinen weiterer Wohngebäude Kafarnaums und das phantastische Panorama des Sees Gennesaret frei.
Neben den Überresten der Synagoge und der heutigen Peterskirche über dem Haus des Petrus finden sich auf dem Gelände noch der Konvent der Franziskaner und ein Kloster griechisch-orthodoxer Mönche. Kafarnaum ist als archäologischer Park gestaltet, in dem Besucher und Pilger auf gut angelegten Wegen der vielen Wundertaten Jesu in „seiner Stadt“ gedenken können.