Sensationeller Fund in der Biblioteca Antoniana
Die Tübinger Musikwissenschaftlerin Ada Beate Gehann machte Ende vergangenen Jahres eine aufregende Entdeckung in der „Pontificia Biblioteca Antoniana“ in Padua: die originale Noten-Handschrift der berühmten Violinistin Regina Strinasacchi, aufgefunden in einem Werk Johann Christian Bachs.
Dieser aufregenden Entdeckung der letzten Monate, deren Ablauf hier nur in geraffter Form geschildert werden kann, ging ein intensiver Dialog via E-Mail mit Pater Alberto Fanton, Direktor der „Pontificia Biblioteca Antoniana“, voran.
Doch zunächst: Wer war Regina Strinasacchi? Am 28. Februar 1761 kam die spätere Violinistin in Ostiglia bei Mantua zur Welt. In Venedig erhielt sie am renommierten „Conservatorio della Pietà“ ihre musikalische Ausbildung. Violine, aber auch Gitarre wählte sie zu ihren Instrumenten. Ausgedehnte Tourneen durch Italien, Deutschland und Frankreich folgten, bei denen sie als vollendete Geigenvirtuosin Aufsehen erregte. Nach der Heirat mit dem Violoncellisten Johann Konrad Schlick 1785 folgte sie ihrem Mann an den Hof in Gotha.
Karriere als Frau
Von nun an konzertierte sie häufig mit ihrem Gatten, außerdem war sie eine hervorragende Solistin der Gothaer Hofkapelle. Die letzten Lebensjahre verbrachte die Künstlerin bei ihrem Sohn in Dresden, wo sie 1839 verstarb. Keine Selbstverständlichkeit für ihre Zeit – und deshalb außergewöhnlich – war, dass sie als Frau, und zudem als Geigenvirtuosin, auf Konzertreisen ging und vor Publikum spielte. Zu den Bewunderern ihres ausdrucksvollen Spiels zählte, unter vielen anderen, Leopold Mozart, ein ausgewiesener Kenner auf dem Gebiet: Er hatte sie 1785 in Salzburg spielen gehört. Und Wolfgang Amadeus schreibt 1784 an den Vater: „eine sehr gute Violinspielerin; sie hat sehr viel Geschmack und Empfindung in ihrem Spiel“. Beim Klang ihrer cremonesischen Geige, einer Stradivari von 1718, kamen ihre Zuhörer geradezu ins Schwärmen. Louis Spohr erwarb das kostbare Instrument von der Künstlerin 1822, nachdem sie sich schon einige Jahre zuvor aus dem Konzertleben zurückgezogen hatte; heute wird es von Miriam Fried gespielt.
Im Gedächtnis ist Regina Strinasacchi vor allem durch ihre Begegnung mit Mozart geblieben, der für die „berühmte Mantuanerin“, wie er sie nannte, die Sonate für Klavier und Violine in B-Dur (KV 454) komponierte. Zusammen haben sie diese bei einem Konzert in Wien am 29. April 1784 in Anwesenheit Kaiser Josephs II. gespielt.
Rätselhaftes Manuskript
Ausgangspunkt für meine Entdeckung von Regina Strinasacchis Handschrift (Notenschrift) war die Bestellung einer Kopie von Johann Christian Bachs „Sinfonia concertata“ für Violine in C-Dur (Warb C 76) bei der „Pontificia Biblioteca Antoniana“ zu Padua. Die Bestellung erfolgte nicht zufällig. Meine Arbeit an einer kritischen Edition der beiden „Sinfonie concertate“ für Violine (J-C 78.2, J-C 70) des Mailänder Komponisten Giovanni Battista Sammartini (1700/01–1775) im vergangenen Jahr legte die Überprüfung des Werkes, das Bach wohl gegen Ende seiner Mailänder Zeit (ca. 1760–62) komponierte, nahe – zumal alle drei Werke in den 1760er Jahren, also in zeitlicher Nähe, entstanden sein dürften.
Von Interesse war vor allem, ob es sich bei dem Manuskript von Bachs Komposition, dem einzigen, von dem wir Kenntnis haben, um eine Mailänder Abschrift handelt. Als schon beim ersten Durchsehen der Stimmen klar wurde, dass die Schreibcharakteristika von den Mailänder Handschriften deutlich abweichen, war die Enttäuschung zunächst groß. Die Neugier über die Herkunft des Manuskriptes war aber bereits geweckt, und als Nächstes galt es nun, herauszufinden, ob es sich um eine Paduaner Handschrift, vielleicht sogar angefertigt von einem Schreiber aus Tartinis Umfeld, handeln könnte; der berühmte Geiger und Komponist (1692–1770) wirkte fast sein ganzes Leben an der Basilika des heiligen Antonius. Erste Schritte in diese Richtung brachten keinen Erfolg. Notationsmerkmale und das verwendete Papier deuteten aber, laut einer Information von Maestro Guido Viverit aus Padua, auf eine Herkunft der Handschrift aus der Region Venetien hin.
Sensation unterm Etikett
Erst eine genauere Untersuchung des Titelblattes sollte letztendlich auf die richtige Spur führen. Große Schwierigkeiten bereitete dabei die Lesung der originalen Einträge. Die vom Kopisten verwendete Tinte war fast bis zur Unkenntlichkeit verblasst und auf der digitalen Kopie kaum und nur bruchstückhaft zu erkennen. Erschwerend bei der Lesung der Überschrift kam hinzu, dass in späterer Zeit von anderer Hand der originale Titel mit dunkler Tinte überschrieben wurde, wobei der fremde Schreiber das Werk von ‚Giovanni Bach’, wie Johann Christian in italienischen Handschriften oft genannt wird, aus Unwissenheit dem berühmteren Vater, Johann Sebastian, zuordnete. Und obendrein machte ein ungeschickt platziertes Bibliothekssiegel beim einwandfreien Entziffern des Komponistennamens Schwierigkeiten. Auch ein Vermerk oben rechts auf dem Titelblatt war nur sehr schwach zu erkennen und zu allem Überfluss teilweise mit dem Etikett der Bibliothek, das die Signatur des Werkes trägt, überklebt. Zu lesen war lediglich: „Ad uso di m [...] hi“. Offensichtlich befand sich unter dem Etikett noch etwas, das dem Leser verborgen blieb. Durch das beherzte Eingreifen von Pater Alberto Fanton, der das „Laboratorio di restauro dell‘Abbazia di Praglia“ hinzuzog, gelang es glücklicherweise, das Etikett an seinem oberen Ende zu lösen, ohne dass dabei die Handschrift beschädigt wurde, so dass nun der Vermerk vollständig gelesen werden konnte: „Ad uso di me Regina Strinasachi“ (Zu meiner Verwendung Regina Strinasachi). Das Geheimnis des Kopisten, in diesem Fall der Kopistin, war plötzlich auf so wundersame Weise gelüftet! Die Nachricht von Pater Alberto Fanton über die aufregende Entdeckung war für mich natürlich der Moment, der jedes Forscherherz höher schlagen lässt.
Unglaublicher Glücksfall
Man darf schon sagen, es ist für die Forschung ein außerordentlicher Glücksfall, dass die Künstlerin ihren Namen auf das Manuskript geschrieben hat; gewöhnlich kennen wir die Kopisten der Handschriften nicht, und es bereitet eine mühevolle, oft erfolglose Arbeit, sie zu identifizieren. Das gut erhaltene Manuskript ist eine schöne, sorgfältig angelegte Stimmenabschrift mit zum Teil liebevoll verzierten Buchstaben in den einzelnen Überschriften; besonders die Verzierung des „V“ bei „Violino“ sticht hervor. Ein Signet setzt die Künstlerin sowohl unter ihren Namen als auch mehrfach in den Stimmen: zwei waagrechte Strichlein, links und rechts eingefasst von zwei nach unten beziehungsweise nach oben weisenden Strichlein, darunter Punkte. Die Abschrift dürfte vor der Heirat mit Konrad Schlick erfolgt sein, wahrscheinlich im Zeitraum zwischen 1775 und 1785.
Über die Kompositionen, die Regina Strinasacchi gespielt hat, ist bislang wenig bekannt. Neben Mozarts Sonate sowie eigenen Werken hat offenkundig, wie der Fund deutlich macht, auch Johann Christian Bachs „Sinfonia concertata“ für Violine, Streichorchester und Bläser zum Repertoire der Künstlerin gehört, eine gefällige Musik des noch jungen, später von Mozart sehr geschätzten Komponisten. Außerdem ist überliefert, dass sie eine vortreffliche Interpretin von Quartetten Joseph Haydns war.
Geradezu unglaublich erscheint es, rückblickend betrachtet, wie im Laufe der Zeit die Spuren von Regina Strinasacchis Hand auf dem Titelblatt des Manuskriptes verschwanden: angefangen mit dem Verblassen der Tinte über das gedankenlose Überschreiben des Titels von unbekannter Hand bis hin zum Überkleben ihres Namens in der oberen rechten Ecke. Ebenso unglaublich ist es wiederum, wie der originale Titel und der Name der Künstlerin in den letzten Monaten allmählich wieder ans Licht kamen – gerade rechtzeitig zu ihrem 250. Geburtstag am 28. Februar!