Staunen nur kann ich und staunend mich freuen...
Der Leiter hatte einige Stammesführer der Wüstenbewohner zu einem kräftigen Wasserfall gebracht. Dumpf rauschend fiel er herab. Sie hatten sofort von dem Wasser gekostet. Es war süß.
Sie standen stumm und starrten auf diese Wasserfülle. Wasser, das in der Wüste sein Gewicht in Gold wert ist! Es war ihnen, als wenn die Wasservorräte der ganzen Welt aus einem lecken Speicher auszulaufen drohten.
Heiliger Lebensstoff. Schließlich sagte der Leiter der Gruppe: Gehen wir weiter! Sie aber rührten sich nicht von der Stelle und baten nur: Noch einen Augenblick!.
Weiter sprach keiner ein Wort. Stumm und ernst schauten sie: Hier lief aus dem Bauch des Berges so viel heiliger Lebensstoff, dass er ganze verschmachtende Karawanen zum Leben erwecken könnte. Hier zeigte sich Gott für sie sichtbar. Hier konnte man nicht einfach weitergehen.
Der Führer mahnte wieder: Weiter ist hier nichts zu sehen. Kommt!
Sie antworteten: Nein. Wir müssen warten! - Worauf denn? - Bis es aufhört! (Aus: Hoffsümmer, Geschichten wie kostbare Perlen, Grünewald)
Staunen können. Diese Geschichte lädt uns ein, innezuhalten, uns Zeit zu nehmen, ans Wasser zu setzen und das Staunen zu lernen, wie diese Beduinen. Gerade das Wasser ist besonders geeignet, das Staunen in uns fördern. In vielfältigen Formen zeigt es sich uns, als Tautröpfchen und als Ozean, als tosender Wasserfall und als kleines Rinnsal, als Eiszapfen und als Dampf in der Sauna. Natürlich hat die Wissenschaft seit langem erklärt, wie das Wasser (H 2 O) entsteht und unter welchen Gegebenheiten es sich verändert. Aber was steht dahinter? Ist das Wasser nicht das Lebensprinzip? Entstammt nicht alles Leben aus den lauwarmen Wassern der Urmeere? Und vorher? Mit solchen und ähnlichen Fragen werden wir konfrontiert, wenn wir noch staunen können. Es ist der Beginn einer persönlichen Gottesbeziehung.
Von Kindern lernen. Wenn wir das Staunen etwas lernen wollen, wenn wir es neu einüben wollen, gehen wir am besten bei Kindern in die Lehre. Ein Kind ist offen für alles Neue, noch nicht Bekannte, ist fasziniert von den Farben und Formen, den Bewegungen und Bildern seiner Umgebung. Nicht nur das Wasser, auch das Feuer zieht ein Kind immer wieder an. Das Flackern einer Kerze, das Glitzern des Schnees im Sonnenschein, das Brutzeln des Fettes in der Pfanne, das Krabbeln eines Käfers, die Haut eines Afrikaners sind Grund zu fragendem Staunen. Das Kind verliert sich stark in das augenblickliche Geschehen, in das, was es hier und jetzt sieht, erlebt, mit seinen Sinnen wahrnimmt, dass es für nichts anderes mehr Augen hat als für dieses Neue.
Zugang zu Gott. Staunen können ist eine Grundhaltung, ja eine Grundvoraussetzung für ein zufriedenes, ausgeglichenes Leben und für einen tieferen, persönlicheren Zugang zu Gott ist. Wer staunt, geht mit offenen Sinnen durch das Leben, lässt sich ansprechen und hat eine Antenne für das Schöne, das Gute, das Edle, das Wahre. Wer staunen kann nimmt die Gaben der Schöpfung mit wachem Auge wahr und wird dafür dankbar. |
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Aus der Dankbarkeit erwächst dann die Lebensfreude und der Lebenssinn. Er kommt dem Geheimnis des Lebens auch und gerade im Kleinen, dem Unscheinbaren im Alltag nahe und kann es einordnen in die großen Zusammenhänge der Weltgeschichte und der gesamten Schöpfung. Er erfährt, dass unser Leben und alles, was es im tiefsten Grund lebenswert macht, wie Freude, Liebe, Geborgenheit, Zufriedenheit, Angenommensein, Zärtlichkeit und Freundschaft ein Geschenk ist. Je mehr dem Menschen klar wird, dass nichts, aber auch gar nichts im Alltag selbstverständlich ist, sondern auch völlig anders sein könnte, um so froher und zuversichtlicher wird er sein. Er wird, dem Kinde ähnlich, ein grenzenloses Vertrauen in Gottes Führung und Fügung entwickeln. |
Dasein staunenswert. Unser Leben, unser Dasein ist wohl der erste und wichtigste Grund zum Staunen. Der Mensch in seiner Geschichte und in seinem ganz persönlichen Leben ist und bleibt immer noch ein Geheimnis, über das wir uns wundern dürfen, denn ein Wunder ist das Leben allemal. Denken wir nach über den Körper und das Funktionieren von Leib und Seele, spüren wir die Zusammenhänge zwischen dem Geistigen und Körperlichen unseres Dasein. Bleibt trotz aller wissenschaftlicher Erklärung die letzte Frage nach der Liebe und nach Harmonie offen, Grund zum Staunen, Grund zum Danken, Grund zur Freude.
Damit wir das in etwa wahrnehmen können braucht es entsprechende Freiräume der Stille, also Zeiten und möglicherweise Orte, wo ich mein Leben überdenken kann, wo ich mit mir allein bin und alles, was sich ereignet, das Gute und Böse, das Erfreuliche und das Leidbringende einordnen lerne in den gesamten Ablauf der Welt- und Heilsgeschichte. Ich muss meinen Teil der Verantwortung auf mich nehmen, mich nicht davor drücken. Ich muss aber auch wissen, dass ich alles andere vertrauensvoll dem Lauf des Lebens überlassen kann, dass ich alles in die Hände Gottes legen darf und so das Unerwartete, das von mir nicht Kontrollierbare geschehen lassen darf.
Innerlich frei werden. Das hilft, dass ich innerlich frei werde und doch alles, was um mich herum passiert bewusst wahrnehme. Aber ich richte meinen Blick auf das Ganze, ich richte ihn nach oben und entdecke, dass in den Kleinigkeiten des Alltags immer auch ein Ewigkeitswert liegt. Und gerade darüber kann ich staunen. Die Erfahrung zeigt mir so, wie wunderbar alles geordnet ist, wie alles im Leben seinen Platz und seinen Sinn hat, auch wenn ich es oft nicht sofort verstehe. Zwischen Engagement einerseits und Annehmen der gegebenen Wirklichkeit andererseits liegt die Spannung meines Lebens. Wenn ich es verstehe, für alles, wirklich alles, was kommt offen zu sein und es als einen Teil meines Lebens zu sehen, wenn das Unerwartete Platz hat in meinem Alltag, dann finde ich immer hundert Motive zum Staunen.
Schönheit im Kleinen. Aber nicht nur das Leben in seinen großen Zügen fordert zum Staunen heraus. Persönlich erlebe ich oft, dass in den Kleinigkeiten der Natur unerwartete Schönheiten vorhanden sind, ja dass gerade im unscheinbaren Detail die ganze Schönheit der Schöpfung liegt. Eine Alpenprimel mit ihrer intensiven Farbe und ihrem unverwechselbaren Duft, das Kleid der Blaumeise, der Tautropfen im Sommermorgen auf einem Grashalm, das Netz einer Spinne vor dem Fenster, ein Sonnenuntergang über dem Meer in Ostia, sind das nicht alles Quellen des Staunens? In diesem Zusammenhang verstehen wir, dass ein Franz von Assisi beim Betrachten der Landschaft über der umbrischen Ebene seinen Sonnengesang dichten konnte. Da trifft das Wort dichten den Sachverhalt voll und ganz. Sehr dicht ist sein Erlebnis mit der Natur, die für ihn spontan Weg zum Schöpfer wird. Er spürt in dieser Begegnung mit der Schöpfung hautnah den Schöpfer und wird sich bewusst, dass er selber nur ein Geschöpf ist, ein kleines, unscheinbares, armes Geschöpf, letztlich abhängig von diesem großen, liebenden Gott. Und er singt ihm freudig sein Lied, das Loblied der Schöpfung, das Dankeschön für das Leben und alles, was das Leben schön macht:
Allerhöchster, alles vermögender, guter Herr! |
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Frucht Freude. Wer staunen kann wie Franz von Assisi wird als Frucht des Staunens auch die Freude erleben, die den Menschen erfüllt, wenn er sich begeistern lässt vom Kosmos und der ganzen Schöpfung. Und er wird seine Augen schließen und das Erlebte verinnerlichen, spüren, dass auch er in Gott lebt und ist und sich bewegt, wie Paulus sich in Athen vor den Griechen ausdrückt. Ein herrlicher Gedanke, der in den tiefsten Seelengrund unseres Seins hineinreicht und uns bewusst macht, wie sehr wir von Gott angenommen und geliebt werden.
Was für ein Mensch! Wahrscheinlich war das Staunen auch im Leben Jesu oft der Grund, warum mehrere Menschen den Weg zum Glauben fanden. Als Jesus auf dem See war und dem Sturm Einhalt gebot, sagten sie: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde und der See gehorchen? (Mk, 4,41). Und beim gleichen Markus finden wir eine andere Stelle (Mk. 8,37) wo es heißt: Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht, er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.! Wir könnten diese Hinweise weiterführen. Für mich zeigen sie vor allem, dass durch das Staunen über die Taten und die Botschaft Jesu die Menschen Gott ein großes Stück näher kamen. Können für uns nicht auch die Mitmenschen und die Beziehungen zu ihnen den Weg zu Gott weisen? Können nicht auch wir zu Wegweisern zu Gott werden?
Mit offenen Sinnen. Wir finden in unserem Alltag noch viele Gründe zum Staunen, wenn wir mit offenen und wachen Sinnen durchs Leben gehen. Für mich liefert auch die Wissenschaft Grund zum Staunen, wenn ich nur an die Möglichkeit denke, wie sie in das Weltall vordringt und immer neue Erkenntnisse und auch Theorien entwickelt. Wir Menschen werden dann wieder auf die Wirklichkeit unserer Grenzen herunter geholt. Wir leben auf einem Planeten, der zu einer Sonne gehört, die ihrerseits acht Planeten hat. Und diese Sonne gehört zu einem System, das wir Milchstraße nennen und aus rund 100 Milliarden von solchen Sonnen zusammengesetzt ist. Und das Weltall umfasst Milliarden solcher Milchstraßen. Für uns kleine Menschen, die wir uns gern so wichtig nehmen, sind das unvorstellbare Weiten und Größen, von denen selbst die Wissenschaft noch relativ wenig weiß. Sie weiß nur, dass alles in ständiger Änderung ist, das alles kommt und geht.
Ob solchen Dimensionen und Größen können wir nur bewundernd staunen. Denn das Gesetz der ständigen Änderung, das wir im Universum vorfinden, ist das Gleiche, dem wir Menschen unterworfen sind, das Gesetz von Leben und Sterben, vom Kommen und Gehen, der dauernden Änderung. Und das macht uns oft Mühe, wenn es uns betrifft.
Tausend Gründe. Diese Ausführungen über die Motive des Staunens könnten wir seitenweise ergänzen und kämen an kein Ende. Ich denke nur an die Musik, an die Kunst, an die Wissenschaft in allen Sparten. Vor allem denke ich, um das nochmals zu erwähnen, an unseren eigene Lebenslauf, an das Leben vieler Menschen in unsere Umgebung. Was da an Frohem und Schweren, an Freud und Leid, an Gesundheit und Krankheit erlebt wird und wie es in unser Leben hineinpasst, lässt uns immer neu staunen. Was Menschen heute und früher an Großem und Gutem leisteten und immer noch leisten, zu was die menschliche Liebe fähig ist, welche heroische Kraft sie im Dienste am Menschen, an alten, kranken, behinderten und gebrechlichen Menschen aufbringt, das ist Anlass zur Bewunderung und zum Staunen, Anlass zur Besinnung und zum frohen Danken. Gott macht in seiner unendlichen Liebe immer den ersten Schritt auf uns zu. Er nimmt uns mit allen Grenzen an, völlig unabhängig von jeglicher Leistung. Er ist in unserem Leben vorhanden, in ihm sind wir und bewegen wir uns. Da können wir nur einstimmen in den Psalm 66: Kommt und schaut die Großtaten Gottes, wunderbar, was er vollbracht unter den Menschen!
Gott Christus Heilender Geist P. Stutz |