Streiks im Schatten von St. Peter

25. März 2024 | von

Streiks sind in der letzten absoluten Monarchie Europas eigentlich kein Thema, jedoch durchaus eine Realität.

Am 15. Mai 1891 setzte Papst Leo XIII. (Pontifikat von 1878-1903) seinen Namenszug unter das Apostolische Schreiben „Rerum novarum“, das als Mutter aller Sozialenzykliken der katholischen Kirche gilt. Das päpstliche Rundschreiben widmete sich der Arbeiterfrage und der Forderung nach einem gerechten Lohn.

Angedrohte Versteigerung

Vielleicht war dem Papst bei dessen Abfassung ein Ereignis zu Beginn seines Pontifikates in den Sinn gekommen. Nach dem Tode seines Vorgängers und seinem eigenen Amtsantritt im Jahre 1878 hatte ihm eine Rebellion der Päpstlichen Schweizergarde gedroht. Weder war den eidgenössischen Leibwächtern der übliche Totensold, noch der verbriefte Krönungssold ausgezahlt worden.

Der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer brachte die damalige Situation treffend in einem Gedicht zu Papier: „Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang / Den von Raffaels Fresken verherrlichten Gang / In der puffigen alten geschichtlichen Tracht. / Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort / So kann es nicht gehn, und so geht es nicht fort! / Du sparst an den Kohlen, du knickerst am Licht / An deinen Helvetiern knausre du nicht!“

Dem Papst stellten sich die Gardisten als „bescheidene Leute von Ahne zu Kind“, aber mit klarer Forderung: „Doch werden wir an den Moneten gekürzt, / Wir kommen wie brüllende Löwen gestürzt! / Herr Heiliger Vater, die Taler heraus! / Sonst räumen wir Kisten und Kasten im Haus / Potz Donner und Hagel und höllischer Pfuhl! / Wir versteigern dir den Apostolischen Stuhl!“ 

Schweizer Garde im Streik

Unter dem heiligen Pius X. (Pontifikat von1903-1914) kam es noch einmal zu einem bedrohlichen Aufstand in der Päpstlichen Schweizergarde. Im Oktober 1910 war Jules Maxime Repond (1853-1933), ein Brigadeoberst und Professor an der juristischen Fakultät der Universität Freiburg, zum Kommandanten ernannt worden. Oberst Repond brachte „einen scharfen Wind in die Garde“, so der spätere Gardekaplan Krieg. Er begann unverzüglich, Uniform, Bewaffnung und Disziplin radikal zu reformieren. Mit ihm zog der preußische Drill in das beschauliche Gardequartier der Schweizer ein.

Mit Jules Reponds Auftreten à la Prusse kam es im Juli 1913 in Abwesenheit des Kommandanten zum Aufstand in der Garde. Ein Zeitzeuge berichtete: „Ein Streik war ausgebrochen. Eines Morgens weigerte sich die Mannschaft, zur Wache aufzuziehen und forderte die sofortige Entlassung des bei der Truppe sehr unbeliebten Gardehauptmanns Glasson. Erst nach Verhandlungen mit dem damaligen Kardinalstaatssekretär trat die Wachmannschaft zu ihrem Dienst an.“ Gut 30 Gardisten wurden samt ihren Rädelsführern aus dem Dienst entlassen; sie hatten das Quartier mit provokanten Hochrufen auf Giuseppe Garibaldi verlassen.

Päpstliche Gegenwehr: machtlos

Fast sechs Jahrzehnte später kam auf den Vatikan eine regelrechte „Streikwelle“ zu. Das Jahr 1970 brachte ihm eine beträchtliche Reihe sozialer Unruhen. Viele Angestellte des Kirchenstaates waren unterbezahlt und forderten zu Recht eine finanzielle Besserstellung. So gab es einen halbstündigen Warnstreik in der Druckerei des „Osservatore Romano“, dem sich einige Redakteure der päpstlichen Tageszeitung solidarisch anschlossen. Und das Personal der „Tipografia Polyglotta Vaticana“ (Vatikanische Druckerei) entschloss sich, sogar für drei Stunden zu streiken.

Auch die Gendarmen des Heiligen Vaters murrten auf. Sie traten für notwendige Verbesserungen im Dienst und in ihrer Besoldung ein und drohten mit einem Protestmarsch bis zur päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo. Die Empörung der Ordnungshüter wuchs, als ihr Kaplan, der sich für ihre Belange eingesetzt hatte, von der vatikanischen Obrigkeit umgehend versetzt wurde. Die offizielle vatikanische Musikkapelle drohte mit der Einlage der „Internationalen“ bei einem Staatsbesuch – was die Verantwortlichen im Päpstlichen Staatssekretariat in helle Aufregung versetzte.

Streiks im Anmarsch?

Und wie sieht aktuell die „Streiklage“ im Vatikan aus? Seit Papst Leo XIII. haben die Päpste bedeutende und vielbeachtete Sozialenzykliken erlassen. Deren Umsetzung im Kirchenstaat lässt jedoch zu wünschen übrig. Mittlerweile gibt es in der Vatikanstadt die „Associazione Dipendenti Laici Vaticani (A.D.L.V.)“, also die „Vereinigung der Vatikan-Angestellten im Laienstand“. Aber der Spielraum einer „Gewerkschaft“ in einem Staat, der keinen demokratischen Gepflogenheiten folgt, ist doch sehr begrenzt.

Aktuell sind unter anderem besonders längst überfällige Gehaltseinstufungen und -erhöhungen zu beklagen. Die Mieten in vatikanischen Immobilien und Gästehäusern sind kürzlich angehoben worden.

Dennoch: Streiks oder deren ernsthafte Androhung sind aktuell nicht zu verorten – noch nicht.

Zuletzt aktualisiert: 25. März 2024
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