Telegramm als Programm
Es handelt sich dabei um einen kleinen Brief. Er zeigt die Wertschätzung des Franziskus für Antonius und markiert nichts weniger als den Einzug der Theologie in die junge Minderbrüderbewegung. Franziskus selbst überträgt Antonius die Aufgabe der theologischen Unterweisung der Brüder. Franziskus schreibt: “Fratri Antonio episcopo meo frater Franciscus salutem. Placet mihi quod sacram theologiam legas fratribus, dummodo inter huius studium orationis et devotionis spiritum non extinguas, sicut in regula continetur.”
Oder in der offiziellen Übersetzung: “Dem Bruder Antonius, meinem Bischof, wünsche ich, Bruder Franziskus, Heil. Es gefällt mir, dass Du den Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn Du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschest, wie es in der Regel steht.“
Irgendwann nachdem die endgültige Regel des Franziskanerordens am 29. September 1223 von Papst Honorius III. bestätigt worden ist, schreibt Bruder Franziskus diese kurze Mitteilung an einen Mann, der selbst gerade erst ein paar Jahre in der Gemeinschaft der Minderbrüder lebt.
Kurz und folgenreich. Die Tragweite dieser Zeilen ist enorm. Der Lehrauftrag, den Franziskus mit einer deutlichen Grenze an Antonius gibt, hat erkennbar eine bestimmte Absicht: Antonius soll – und das sicher nicht nur an einem festen Ort und in einem festen Lehrhaus und -betrieb (wenn wohl auch mit Schwerpunkt Bologna) – den Brüdern, die sich auf Priesterweihe und Predigtauftrag im Orden der Minderbrüder vorbereiten, ein Grundgerüst für ihre zukünftige apostolische Aufgabe mitgeben.
Dieser Brief – fast ist man versucht zu sagen “dieses Telegramm“ – sagt nun vielleicht bei einem ersten flüchtigen Lesen auch noch nicht so sehr viel, und doch: angeleuchtet wird die Beziehung, die zwischen diesen beiden Minderbrüdern besteht. Der eine nennt den anderen “Bischof“ (obwohl Antonius von Padua natürlich nie Bischof war) und drückt damit aus, welche Bedeutung der Angeredete hat – für ihn, Franziskus selbst, aber auch für den entstehenden und sich ausbreitenden Orden der Minderbrüder. “Bischof“ – ein Ehrentitel für den hoch gebildeten Bruder Antonius, der dem Franziskus “Freund“ und “Weggefährte“ ist. Die Anführungszeichen bedeuten an dieser Stelle nur, dass man sich das Verhältnis zwischen Antonius und Franziskus als innerlich sehr nah und eng vorstellen muss; ihre jeweiligen Wege werden sich eher selten gekreuzt haben.
Achtung, Hochachtung, aber auch brüderliche Zuneigung spricht aus diesen kurzen Zeilen, die Antonius zugestellt bekommt. Freilich auch eine Weisung, die die geistliche Autorität der Minderbrüderbewegung, Franziskus, der weder Priester ist noch je Theologie studiert hat, dem hoch gebildeten Priester für seine Lehrtätigkeit im Orden mitgibt. Es ist damit ein entscheidender Einschnitt für die Gemeinschaft, die mit Franziskus ein Leben möglichst nahe am Evangelium führen will, markiert. Eine tragende Rolle wird dabei dieser Antonius von Padua spielen.
Bedingungen aber bleiben. In dieser “Ernennungsurkunde für Antonius“ erinnert Franziskus daran, dass das Folgende für alle Formen der Arbeit gilt, die Minderbrüder übernehmen oder annehmen dürfen. In der “Bullierten Regel“ (Kap. 5.1f.) schreibt Franziskus allen Brüdern ins Stammbuch:
“Jene Brüder, denen der Herr die Gnade zu arbeiten gegeben hat, sollen in Treue und Hingabe arbeiten, so zwar, dass sie den Müßiggang, welcher der Seele Feind ist, ausschließen, aber den Geist des heiligen Gebetes und der Hingabe nicht auslöschen, dem das übrige Zeitliche dienen muss.“
Entscheidende Gottesbeziehung. Das ist Lebens- und Geistesweisheit zugleich: Wir wissen sehr gut, dass so ziemlich jede Arbeit (Wissenschaft und Ausbildung machen da keine Ausnahme), die wir mit Begeisterung und Schwung angehen, eine Dynamik entwickeln kann, dass keine Zeit und Kraft übrig bleibt für das einzig Wichtige und Entscheidende – die Pflege der Gottesbeziehung.
Noch ein Weiteres gibt den Rahmen. Franziskus will nicht, dass seine Brüder sich Herrschaftswissen aneignen (wir dürfen nicht vergessen, dass die Theologen seiner Zeit eine Art akademischen Adel darstellten, wichtige und einflussreiche Leute waren!) und damit andere dominieren. Das entspräche dem Ideal des Franziskus nicht. Deshalb verbietet Franziskus zunächst schlicht und einfach Ausbildung. In der “Bullierten Regel“ (Kap. 10,7) hält er fest:
“Ich warne aber und ermahne im Herrn Jesus Christus, dass die Brüder sich hüten mögen vor allem Stolz, eitler Ruhmsucht, Neid, Habsucht, der Sorge und dem geschäftigen Treiben dieser Welt, vor Ehrabschneiden und Murren; und die von den Wissenschaften keine Kenntnis haben, sollen nicht danach trachten, Wissenschaften zu erlernen.“
Der passende Lehrer. “Unwissend und ungebildet“ (Brief an den gesamten Orden 39) nennt Franziskus sich selbst (und ein wenig “schummelt“ er dabei schon, denn er kann durchaus Lesen, Schreiben und Rechnen – das ist zu seiner Zeit keine Selbstverständlichkeit). Noch deutlicher macht es das Testament des Poverello: “Und wir waren ungebildet und jedermann untertänig“ (Testament 19). Der springende Punkt für Franziskus ist klar: Minderbrüder dürfen sich nie und nimmer über jemanden erheben. Ausbildung, Titel, Ämter sind das beste Sprungbrett für diese Versuchungen. Klarsichtig dieser Franziskus.
Aber mit Antonius hält die Theologie offiziell und vom Gründer abgesegnet Einzug in den Orden. Auch wenn Antonius vermutlich nicht der erste Gebildete im Kreis der Minderbrüder ist, so ist er doch, das sagt Franziskus indirekt, derjenige, dem die brüderliche Aufgabe der theologischen Ausbildung anzuvertrauen ist, derjenige, der eine Theologie lehren wird, die in der geistlichen Welt des Franziskus und der Seinen einen Ort finden kann und der ursprünglichen Absicht, einfach, arm und “ungebildet“ zu leben, also sozusagen ohne Schreibtisch, Bibliothek, Computer, am ehesten entsprechen wird. Wir müssen uns vorstellen: Dieser Antonius ist gerade einmal zwei, drei Jahre zuvor zum Kreis der Brüder gestoßen! Der Brief des Franziskus stammt wohl aus dem Jahr 1223 oder 1224.
Drei Aufgaben für Antonius. In Bologna wird Antonius nicht sehr lange sein – ein paar Monate theologischer Lehrer dort, dann wartet schon wieder anderes auf ihn. Dies sind dann die drei Aufgaben und Herausforderungen, die dieser Heilige aus Padua immer wieder auf sich zukommen sieht, denen er sich stellt, die diese paar Jahre als Franziskaner ausfüllen und erfüllen – theologischer Lehrer für die Brüder (weil Franziskus spürt, der wird es in seinem Sinne machen), Prediger, der sich den Problemen seiner Zeit und seiner Zeitgenossen stellt, Organisator, der sich in verschiedenen Leitungsdiensten um die Strukturen der vehement wachsenden franziskanischen Bewegung kümmert – und in alledem immer wieder der, der aus dem großen Fundus eines vertrauten Umgangs mit der Heiligen Schrift schöpft.