Todos, todos, todos!
Nach Rio de Janeiro, Krakau und Panama fand der erste Weltjugendtag „nach Corona“ in Lissabon statt. Unser Autor liefert einen Erlebnisbericht.
Eigentlich war es nicht vorgesehen, dass ich zum Weltjugendtag fahren würde. Aber wie es das Leben manchmal will: Plötzlich war ich zuständig für die Organisation der Fahrt in die portugiesische Hauptstadt Lissabon. „Mit den Minoriten zum Weltjugendtag!“ – das sollte knapp 14 Tage meines diesjährigen Sommers prägen.
Über Narbonne und Madrid
Mit unserer 32-köpfigen Gruppe starteten wir am 29. Juli 2023 um 4:00 Uhr morgens in Richtung Portugal. Nachdem ein Reisebus deutlich über 15.000 Euro gekostet hätte, hatten wir uns entschieden, uns beim Fahren abzuwechseln und mit vier Kleinbussen zu fahren. Denn zu teuer sollte die Fahrt für die Jugendlichen ja schließlich nicht kommen. Ohne größere Probleme, wenn auch mit einigen Umleitungen in Frankreich, erreichten wir unseren ersten Zwischenstopp: unser Kloster in Narbonne. Dort begrüßte uns Br. Bernard samt Übersetzerin. Er erklärte uns einiges zur Geschichte der Niederlassung unserer Brüder – auch wenn unsere hungrigen Mägen sich mehr über das schmackhafte Abendessen freuten… Für viele unserer Jugendlichen erstaunlich: Zur Übernachtung stand uns das komplette Erdgeschoss des Klosters zur freien Verfügung. Betten gab es zwar keine, aber wir durften uns in den Kreuzgang legen, in den Innenhof oder auch in den Speisesaal. Für die Nachtschwärmer, die noch Narbonne unsicher machten, war die Schlafenszeit kurz – denn am nächsten Morgen ging es in aller Frühe weiter in Richtung Spanien. Ziel war unser Kloster in Madrid. Die spanische Provinz unterhält dort eine große Schule. Die kannten wir bereits vom dortigen Weltjugendtag. Damals waren alle Gruppen der Franziskaner-Minoriten dort untergebracht. Dieses Mal trafen wir Gruppen aus Frankreich und Italien, die ebenso wie wir auf dem Weg nach Lissabon waren.
Ruhe vor dem Sturm
„Die Deutschen fahren schon um 6:00 Uhr weiter!“ – so war es bald auf Italienisch und Französisch zu hören. Denn um ein wenig vor den großen Massen in Lissabon anzukommen, hatten wir uns für eine besonders frühe Abreise entschieden. Diese Entscheidung stellte sich als lohnend heraus. Wir erreichten Lissabon am frühen Nachmittag – noch vor Ausbruch des größeren Chaos – und hatten die Gelegenheit, noch eine relativ ruhige Innenstadt zu besichtigen, darunter natürlich vor allem den Geburtsort des heiligen Antonius, damals noch Fernando genannt.
Unser zweites großes Glück: Zur Übernachtung waren wir Gastfamilien zugeteilt. Während die meisten Teilnehmer/innen des Weltjugendtags in Schulen, Gemeindezentren und Turnhallen untergebracht wurden, hatten wir das Privileg, zu zweit, zu dritt oder maximal zu viert in Familien unterzukommen. Eine gute Gelegenheit, vor Ort persönlich Menschen kennen zu lernen, aber auch das Glück, eine zuverlässige Dusche zu haben und vielleicht sogar ein eigenes Bett.
Stadt der Jugend
Sich während des Weltjugendtags mit 32 Menschen in der Gruppe sicher durch das Massenereignis zu bewegen, war so manches Mal eine Herausforderung! Der Eröffnungsgottesdienst mit dem Lissaboner Patriarchen, Kardinal Manuel Clemente (mittlerweile emeritiert), gab einen Vorgeschmack, wie sich die großen „Events“ gestalten würden: Mit langem Vorlauf mussten wir im Parque Eduardo VII unseren Platz einnehmen, die Sonne brannte von oben und die Sicht auf den Altar war schlecht bzw. gar nicht vorhanden. So manches Mal galt wohl eher das Motto „Dabeisein ist alles!“ Herzlich wurden die jungen Menschen aber vom Kardinal begrüßt: „Liebe Schwestern und Brüder, willkommen in Lissabon – in dieser Stadt, die eure Stadt sein wird!“ Und das war dann auch tatsächlich während der nächsten Tage zu spüren: Die Stadt war voller junger Menschen. Überall wurde gesungen, getanzt, gelacht, gefeiert – und natürlich vor allem geschwitzt….
Hauptsache Papst
Ein erster päpstlicher Höhepunkt war die Begrüßung von Papst Franziskus. Auch dafür galt es wieder, sich im Park zu versammeln. Das Glück eines „Blickkontakts“ hatte unsere Gruppe aber erst nach dem offiziellen Begrüßen. Auf dem Rückweg war plötzlich die Straße vor uns gesperrt. Polizisten riegelten alles ab und leiteten die Menschenströme um. Wir entschieden uns fürs Warten – und wurden „belohnt“: Wenig später fuhr Papst Franziskus im offenen Wagen direkt an uns vorbei. Überall erschallten auf Spanisch Rufe von jungen Menschen „Wir sind die Jugend des Papstes!“ – und selbst, wer in punkto Papst eher kritisch unterwegs sein mag: Irgendwie wird man mitgenommen von einer Welle der spontanen Begeisterung. Und wer würde dann nicht sein Handy in die Höhe strecken, um einen eigenen Schnappschuss des Papstes zu bekommen?
Angebote auf Deutsch
Sehr viel ruhiger ging es an den Tagen zu, an denen in Sprachgruppen aufgeteilte Katechesen stattfanden. Zwei Mal nahmen wir an solchen Angeboten teil. Ein merklicher Unterschied zu früheren Weltjugendtagen: Die Bischöfe hielten keine längeren Vorträge mehr, allenfalls zehn, fünfzehn Minuten. Dann gab es die Möglichkeit zu kurzen Dialogen, schließlich aber vor allem zu Anbetung und Lobpreis. Das mag einerseits die Wichtigkeit des Gebets unterstrichen haben – andererseits hätte man sich doch an der einen oder anderen Stelle auch mehr Glaubensinhalt und Auseinandersetzung gewünscht. Die gab es dann aber durchaus im Gespräch in kleineren Gruppen oder „zwischendurch“.
Für ein paar ruhige Augenblicke konnten sich deutsche Pilgerinnen und Pilger ins Goethe-Institut zurückzuziehen. Dort gab es kühles Wasser, erfrischendes Eis und immer wieder Angebote rund um Glauben und Kirche – und natürlich auch die Gelegenheit, bekannte Gesichter aus der Heimat zu treffen.
Vom Essen bis zum Strand
Eine tägliche Herausforderung: Mittag- und Abendessen. Während das Frühstück in den Gastfamilien serviert wurde, gab es für die übrigen Mahlzeiten Gutscheine. Die konnten in zahlreichen Restaurants in Lissabon eingelöst werden – vom lokalen Bäcker bis hin zur Fastfood-Filiale: für jeden Geschmack etwas dabei! Nur musste man sich mit dem System erst ein wenig vertraut machen. In den ersten Tagen konnte es schon geschehen, dass man einen relativ weiten Weg zum Restaurant auf sich genommen hatte, nur um dann zu hören „Für heute ausverkauft!“ oder vor einer sehr langen Schlange zu stehen… Doch mit ein bisschen Übung und Glück konnte auch dieses menschliche Bedürfnis gut befriedigt werden – und das kostenlose Ticket für den öffentlichen Nahverkehr erlaubte im Notfall ja auch, noch einmal ganz woanders hin zu fahren und dort nach Essen zu suchen.
Überhaupt gab es eine Fülle von Angeboten, die eigentlich kaum zu überblicken waren. Neben den gemeinsamen Großereignissen und den Katechesen gab es zahlreiche kleinere Möglichkeiten: Theaterstücke, Diskussionsrunden, Ausstellungen, Sportveranstaltungen, Konzerte – für jeden etwas dabei! Und weil für einige unserer Teilnehmer ganz oben auf der Prioritätenliste der Wunsch stand, einen Nachmittag am Strand zu verbringen: Auch diesen Wunsch konnten sie sich erfüllen.
Minoritisches Zusatzangebot
Ein Vorteil unserer weltweiten Ordensgemeinschaft: Rund um unser Kloster in Lissabon gab es quasi einen „Weltjugendtag im Kleinformat“. Immer wieder trafen sich die verschiedenen, von Franziskaner-Minoriten begleiteten Gruppen hier. Unbestrittener Höhepunkt war ein Anbetungsabend. Viele deutsche Jugendliche, denen solche Angebote aus der eigenen pastoralen Erfahrung eher unbekannt sind, wurden „mitgenommen“ und konnten sich gut auf den ruhigen Abend einlassen. Und wohl weil zahlreiche Jugendliche aus Kroatien, Italien und Spanien dann zum Beichten gingen, wurde der eine oder andere angesteckt, ein Gespräch zu suchen. Für mich persönlich war und ist klar: Für solche tiefen Momente lohnen sich alle Mühen des Weltjugendtags!
Gottesdienst mit dem Papst
Die größte Mühe wartete freilich am Wochenende auf uns: Abschluss auf einem eigens dafür geschaffenen, riesengroßen Feld, dem Tejo-Park. Es galt, bereits um 9:00 Uhr loszumarschieren, mit Isomatte und Schlafsack im Gepäck – schließlich sollten wir von Samstag auf Sonntag dort übernachten. Wer an der frühen Startzeit seine Zweifel hatte, verstand bald, warum wir so früh losgehen mussten. Je näher wir dem Park kamen, desto voller wurden die Straßen. Schließlich wurden wir auf einer dreispurigen Autobahn regelrecht „durchgeschoben“, und das bei glühender Hitze von oben. So mancher Zweifel an den Organisatoren war da sicherlich berechtigt – und es brauchte wohl mehr als Glück, dass es zu keinen größeren Zwischenfällen kam.
Im Tejo-Park selbst war allen Teilnehmenden ein Feld zugewiesen. Dort galt es dann, auf die Vigilfeier am Abend zu warten – und das regelmäßige Erneuern der Sonnencreme nicht zu vergessen. Während manch einer dann am Abend einfach nur erschöpft war, tanzten andere zur aus den Lautsprechern schallenden Musik bis tief in die Nacht. Geweckt wurde trotzdem bereits um 6:30 Uhr. Kurz vor 8:00 Uhr traf Papst Franziskus auf dem Feld ein und begann um 9:00 Uhr mit der Eucharistiefeier. Etwa 1,5 Millionen Menschen waren dafür nun versammelt.
Kirche für alle
Wenn ich aus den päpstlichen Ansprachen dieser Tage einen roten Faden suchen wollte, dann würde dieser lauten: „todos, todos, todos!“ Das war in des Papstes Muttersprache immer wieder zu hören. Und er machte damit deutlich: Die Kirche ist offen für „alle, alle, alle!“ Und dabei gelang es dem 86-jährigen Pontifex durchaus, mit den Massen ein wenig zu spielen. Mehrmals ließ er alle diese Botschaft wiederholen, „todos, todos, todos!“ – Dass einige Jugendlichen aus ihrem Erleben von Kirche heraus an solchen Botschaften durchaus ihren Zweifel haben, war im Augenblick erst einmal sekundär. Und für viele, die eine solche Botschaft des Angenommen- und Willkommenseins spüren, eine tröstliche Zusage.
Doch das Massenevent verhindert irgendwie auch, dass man sich tiefer auseinandersetzt. Denn noch vor dem Schlusssegen machen sich ganz viele Gruppen bereits auf den Rückweg in die Stadt. Als wir uns dann anschließen, ist klar: Das wird dauern! Mehrere Stunden durch die Mittagshitze geht es zurück zu unserem „Basislager“, wo unsere Busse stehen und wir schließlich müde, erschöpft, aber auch zufrieden die Heimreise antreten.
Rückreise mit Panne
Die führt uns zunächst wieder nach Madrid – und schließlich nach Fribourg. Die ohnehin schon lange Strecke von über 1.500 Kilometern bekommt eine zusätzliche Schwierigkeit, als uns in Spanien ein Reifen kaputt geht. Zwangspause – mitten in der Siesta. Mit Hilfe eines Einheimischen finden wir eine Werkstatt, die schon etwas früher aus der Mittagspause zurückkehrt. Binnen weniger Minuten ist der Reifen notdürftig, aber sicher geflickt, und mit zweistündiger Verspätung kann die Reise weitergehen. Der Guardian von Fribourg, Br. Daniele, muss trotzdem bis weit nach 1:00 Uhr nachts auf uns warten. Doch nach einer Nacht auf dem freien Feld und der Übernachtung in der Turnhalle von Madrid sind wir froh und dankbar, in richtigen Betten schlafen zu können. Der Konvent Fribourg hat nämlich für Jakobus-Pilgernde zwei Schlafsäle eingerichtet, in denen wir nun zu Gast sein dürfen. – Nach dem erholsamen Schlaf und einem ausgiebigen Frühstück treten wir dann das letzte Stückchen der Heimreise an und sind am frühen Abend wieder zurück in der Heimat.
Ob alle mit zum nächsten Weltjugendtag nach Seoul, Südkorea, gehen werden? Nicht jeder legt sich gleich fest und bis 2027 sind ja auch noch ein paar Jahre Zeit. Doch einig sind wir uns alle: Ein unvergessliches Erlebnis!