Verfolgte Kirche
Wir blicken in eine Region, wo der Glaube But kostet: 25 Priester, die sich gegen die Drogenkartelle in Mexiko geäußert haben, wurden seit 2012 umgebracht – als „Beweis“ ihres mutigen Einsatzes für die Verteidigung der Menschenrechte. Unser „Thema des Monats“ nimmt ein Beispiel für viele in den Blick, wo Christen wegen ihres Glaubens verfolgt werden.
Im vergangenen April wurden zwei Priester in Mexiko ermordet – ein weiterer Hinweis darauf, dass Priester immer häufiger Opfer von Entführungen, Folter und Mord in diesem so streng katholischen Land werden. Nach Brasilien leben hier zahlenmäßig die meisten Katholiken weltweit.
Das, was als „Verfolgung der Kirche in Mexiko“ bezeichnet wird, hat sich in den vergangenen sechs Jahren noch verschlimmert. 25 Priester wurden in Mexiko während der Amtszeit von Präsident Enrique Peña Nieto zwischen 2012 und Juli 2018 gewaltsam umgebracht.
Hass, Groll und Mord
Juan Miguel Contreras García ist der vierte Priester, der dieses Jahr getötet wurde. Er wurde im April in seiner Gemeinde beim Beichthören erschossen. Alfonso Miranda, der Generalsekretär der Mexikanischen Bischofskonferenz, verurteilte die Mörder von García und forderte sie auf, „nicht nur die Waffen niederzulegen, sondern auch ihren Hass und Groll aufzugeben.“ Gerade zwei Tage zuvor war Rubén Alcántara Díaz, Pfarrer von Nuestra Señora del Carmen, in seiner Kirche in den Außenbezirken von Mexiko City niedergestochen worden. Die Bischöfe des Landes sagten dazu: „Es ist an der Zeit, dass wir unsere Gesellschaft und unsere Kultur näher unter die Lupe nehmen, und uns selbst zu fragen, wie es kommen konnte, dass wir den Respekt vor dem Leben und allem, was heilig ist, verloren haben.“
Große Empörung gab es auch damals schon, als 2017 der von Patronenkugeln durchsiebte Körper von José López Guillén an der Autobahn außerhalb von Paruandiro im Staat Michoacán, einer Region, die von einem gewaltsamen Konflikt heimgesucht wird, gefunden wurde. Der 43-jährige Kleriker wurde fünf Tage zuvor aus seinem Haus entführt.
Warum Priester?
Mexikos Bevölkerung ist zu 81% katholisch, aber Pfarrer Sergio Omar Sotelo Aguilar, Direktor des Katholischen Multimedia-Zentrums in Mexiko, sagte letztes Jahr, dass „Korruption und Ineffizienz einiger Autoritäten des Landes diese unaufhaltsame Welle der Gewalt und Kriminalität in Mexiko ermöglicht haben“. Die Entführungen und Morde sind in jenen mexikanischen Staaten, die sowieso schon eine hohe Kriminalitätsrate haben, am höchsten. In Mexiko gab es 2017 sage und schreibe 29.000 Morde. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 405 Menschen ermordet, in Österreich und in der Schweiz um die 50. Selbst wenn Mexiko mit geschätzt 125 Millionen Einwohnern deutlich größer ist – die Mordrate ist alarmierend.
Weder religiöse noch politische Führer haben eine Antwort auf die Frage, warum gerade Priester Ziele dieser Angriffe sind. Einige Theorien gehen davon aus, dass die Morde eine Vergeltung gegenüber den Priestern sind, die die jahrelange, stillschweigend praktizierte Vereinbarung, die Regierung nicht zu kritisieren, aufgegeben haben. Morde an Priestern können auch die Folge des Aufrufs der Kirche sein, die mit dem Drogenhandel in Verbindung stehende Gewalt zu beenden, in einem Land mit einem undurchdringlichen System von Drogenkartellen. Das bedeutet, dass Drogenkönige jeden umbringen, der es wagt, gegen Ungerechtigkeit und Kriminalität die Stimme zu erheben, auch wenn es ein Priester ist. Pfarrer Aguilar meint, dass die Morde an Priestern höchstwahrscheinlich der organisierten Kriminalität zuzuschreiben sind: „Aus unseren Untersuchungen ist hervorgegangen, dass in 80% der Fälle die organisierte Kriminalität eine Rolle spielt, das heißt, dass man versucht, durch Erpressung, Entführungen und Morde die eigene Macht zu beweisen.“ Gewalt gegenüber dem Klerus geschieht überproportional in jenen Staaten mit einer hohen Kriminalitätsrate, und vielleicht sind ermordete Priester einfach eher nur eine „Nebenwirkung“ als spezifisch ausgesuchte Opfer aus Kirchenreihen.
Dialog mit den Banden?
Ein Religionsexperte, Bernardo Barranco, sagt, dass es keinen „spezifischen Grund“ für all die getöteten Priester gibt, aber er habe auch gesehen, dass in Mexiko die Kirchenoberhäupter nicht die „Wahrheitsfindungskommissionen“ in die Wege leiten wollten, wie sie in Brasilien, Chile oder El Salvador eingeleitet wurden, nachdem dort Priester im Zuge von Razzien ermordet wurden. „Sie wollten nicht reagieren wie es in anderen Ländern getan wurde, wo die Kirche im Kampf gegen solche Verbrechen ein großes moralisches Gewicht hat“, sagt Barranco. Es gibt jedoch auch Beispiele für andere Aktionen in Mexiko.
Ein Kirchenoberer, der keine Angst hatte, klare Worte zu sprechen, ist Salvador Rangel, ein Bischof, dessen Diözese die gewalttätigen Städte im Süden des Landes, Chilpancingo und Chilapa, umfasst. Nachdem im Februar zwei Priester seiner Diözese getötet worden waren, hatte er alle Nonnen aus der Stadt Chilapa abgezogen – eine Sicherheitsmaßnahme. Er hat aber auch wissen lassen, dass er sich mit kriminellen Anführern getroffen habe, um die Sicherheit seines Gebietes einzufordern. Er hat diese Treffen mit den Anführern von Drogenbanden, die Terror gesät haben, so gerechtfertigt: „Wenn die Banden einen Menschen mit einer Waffe bedrohen, und es mir gelingt, diese Waffe auf ein anderes Ziel zu lenken, also auf keinen Menschen, dann habe ich ein Leben gerettet, oder mehr als eins. Ich glaube, das ist es wert, um Menschenleben zu retten.“
Päpstliche Solidarität
Papst Franziskus hatte die Hauptstadt des zentralmexikanischen Staates Michoacán während seiner Mexiko-Reise im Februar 2016 besucht und damit Solidarität mit den von dem organisierten Verbrechen heimgesuchten Menschen gezeigt. Die Intensität der Gewalt in Michoacán hat einige Priester dazu gebracht, zu gesellschaftlichen Aktivisten zu werden.
Einer dieser Priester ist José Luis Segura Barragán, der zu den wichtigsten und prominentesten Gegnern des Drogenkartells im Staat gehört. Nachdem er 2013 zum Gemeindepfarrer in der Stadt La Ruana ernannt wurde, hat er bewaffnete Gruppen zur Selbstverteidigung unterstützt, die als Folge der wachsenden Unsicherheit in dieser Region entstanden sind: „Denn ich will es nicht zulassen, dass in meiner Kirche geschossen oder mit Steinen und Feuerwerkskörpern geworfen wird.“ Segura hat La Ruana dann verlassen. Auch für den Klerus ist stille Zurückhaltung keine Garantie für Sicherheit. In den gefährlichsten Staaten von Mexiko kann jede Form des Widerstands gegen die Kartelle mit Mord vergolten werden. Segura sagt dazu: „Priester bekommen Probleme, wenn sie Drogenbossen liturgische Dienste wie Taufen oder Messen verweigern.“
Gewalt ohne Ende
Im Allgemeinen sind sich die Analytiker einig, dass Gewalt gegen den Klerus im größeren Zusammenhang des Drogenkrieges gesehen werden muss. Versuche, den Drogenhandel militärisch zu bekämpfen, sind gescheitert. Hugo Valdemar Romero, Sprecher der Erzdiözese von Mexiko City, sagt: „Es ist unehrlich, zu sagen, dass es sich hier um eine gezielte Verfolgung von Priestern oder der Kirche handelt, aber die Tatsache, dass jemand Priester ist, befreit ihn nicht vor dem Risiko, ausgeraubt, ermordet oder gefoltert zu werden.“ Nach Ansicht von Omar Sotelo vom Katholischen Multimedia-Zentrum ist, auch wenn Antiklerikalismus keine Schuld ist, die Priesterschaft besonders der Gewalt ausgesetzt. Priester kommen unweigerlich in Kontakt mit einer Vielzahl von Menschen, darunter können natürlich auch Kriminelle sein. „Die Gewalt gegen Priester hat oft etwas mit ihrer pastoralen Arbeit zu tun, es sind keine normalen Verbrechen,“ sagt Sotelo.
Die Gewalt hat in Mexiko im letzten Jahrzehnt mehr als 150.000 Leben gekostet. 2017 war in dieser Hinsicht das blutigste Jahr. Der am schlimmsten betroffene Staat war Guerrero, wo im Jahr 2017 2.138 Morde verzeichnet wurden, so viele, dass in den Leichenhäusern kaum mehr Platz war für die Leichen, die zur Autopsie angeliefert wurden. Guerrero war lange einer der ärmsten Staaten Mexikos, obwohl dort die Stadt des Glitzers und des Glamours, Acapulco, liegt. Hier wurden seit 2009 sechs Priester getötet, was die dortige Diözese sehr bestürzt hat. 2014 zog es die weltweite Aufmerksamkeit auf sich, als herauskam, dass die Polizei mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeite und 43 Studenten in Iguala verschwanden. Das Kartell hier ist zuständig für den Mohn-Anbau, die Verarbeitung zu Heroin und den Schmuggel in die USA.
Eine verfolgte Kirche
In Anbetracht der vielen Morde hat die Kirche ihre Abneigung, die Regierung zu kritisieren, abgelegt und öffentlich staatliche Beamte in Michoacán und Veracruz angeklagt, eine Diffamierungskampagne gegenüber Priestern angezettelt zu haben. Obwohl es zu großen Teilen katholisch ist, hat das Land eine lange, antiklerikale Geschichte, und im vergangenen Jahrhundert hat die Regierung öffentlich und oft auch gewaltsam die Kirche unterdrückt. Aber diese Dynamik änderte sich schlagartig nach der Verfassungsreform 1992, und seither sind die Beziehungen zwischen Kirche und Staat eigentlich recht gut. Allerdings: Einige Kritiker haben die mexikanischen Bischöfe angeklagt, sich öffentlich viel mehr Sorgen um gleichgeschlechtliche Ehen als um das politisch brenzligere Thema der steigenden Gewalt zu machen.
„Die Kirche legt ihren Fokus auf sexuelle Aspekte,“ sagt Alejandro Solalinde, ein Priester und bekannter Aktivist. „Sie organisiert nicht viele Märsche gegen Ungerechtigkeit, Korruption der Regierung oder Straflosigkeit,“ stellt er weiterhin fest. Aber die Versuche von Staatsanwälten, die neuesten Morde an Priestern mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung zu bringen, scheinen die Kirche davon überzeugt zu haben, sich öffentlich und, wenn nötig, auch gegen die Regierung positionieren.
Der Staatsanwalt General Luis Angel Bravo Contreras wurde kritisiert, weil er behauptet hat, dass zwei der in Veracruz ermordeten Priester vor ihrem Tod mit ihren Mördern ein Trinkgelage abgehalten hätten. Die Kirchenvertreter haben darauf mit einer deutlichen Verteidigung der Opfer reagiert. Die Mexikanische Bischofskonferenz hat die Strategie verurteilt, nach der Opfer kriminalisiert werden, um die öffentliche Empörung klein zu halten. In diesem mexikanischen Zusammenhang von Kriminalität, Korruption und Straflosigkeit, so sieht es Solalinde, legt die Gewalt gegenüber Priestern die Annahme nahe, dass diese Männer wirklich ihre Berufung leben. „Die Verfolgung ist ein Zeichen dafür, dass Priester sich wirklich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen“, sagt er. Solalinde selbst wurde schon häufig von Kriminellen bedroht: „Wenn mir etwas passieren sollte, dann wird es passieren, aber das hält mich nicht von meinen Handlungen ab.“
Neue Hoffnung
Im Juli dieses Jahres hat Mexiko einen neuen Präsidenten gewählt, der versprochen hat, die Korruption auszurotten. Denn in der Korruption sieht man den Hauptgrund für die Gewalt.Weiter hat er angekündigt, mit aller Macht die Drogenkartelle zu bekämpfen. Der links orientierte Präsident Andrés Manuel López Obrador versprach, das militarisierte Modell der Kriminalitätsbekämpfung zu ändern: „Man kann Gewalt nicht mit Gewalt bekämpfen, es ist ein Übel, das wir dadurch bekämpfen müssen, indem wir Gutes tun, wir müssen gegen Armut angehen und wirtschaftlichen Wachstum schaffen, Arbeitsplätze und Wohlstand.“
Die katholischen Bischöfe des Landes haben dem neu gewählten Präsidenten sofort mit diesen Worten gratuliert: „Es ist unsere Verantwortung, mit Bürgersinn weiterzumachen und dabei immer die Menschenrechte zu respektieren und das Allgemeinwohl zu schützen.“ Sie sagten, sie wollten den Präsidenten dabei unterstützen, Gewaltverbrechen, vor allem die, die sich gegen menschliches Leben richten, zu verurteilen und den neuen Präsidenten bei seinem Vorhaben unterstützen. Sie hoffen, dass „kriminelle Taten nun nicht mehr als ein typischer Aspekt unseres Landes angesehen werden.“