Visionär und Wegbereiter
100 Jahre sind vergangen, seit Paul Cézanne vor seiner Leinwand verstarb. Tiefe und Harmonie allein durch die Modulation der Farbe zu erzeugen, wurde sein Markenzeichen. Einst als Eigenbrötler verkannt, verehrt man ihn heute als Vater der Moderne.
Ein Suchender und Fährtenleger in der Welt der Kunst war er, der sich leidenschaftlich seinen Visionen hingab.
Einen hohen Preis musste er allerdings sein Leben lang dafür bezahlen: Der große französische Maler Paul Cézanne. Geboren am 19. Januar 1839 in Aix-en-Provence starb er ebendort am 22. Oktober 1906, vor 100 Jahren
Das Verhältnis zu seinem Vater, einem strengen und selbstgerechten Mann, war zeitlebens gestört. Dieser hatte es als Hutfabrikant und später Bankier zu großem Wohlstand gebracht und duldete keinen Widerspruch in der Familie. Besonders als sein Sohn ausgerechnet Künstler werden wollte.
So begann Cézanne als junger Mann mit einem Jurastudium und belegte lediglich abendliche Malkurse. Doch unter dem Einfluss seines Jugendfreundes Émile Zola (der später einer der ganz Großen in der französischen Literatur werden sollte) setzte er sich gegen familiäre Vorurteile durch und ging 1861 nach Paris. Große Zweifel bewegten ihn zwar ein Jahr später zur Rückkehr, doch war er sich seiner Berufung gewiss, sein Vater gab nach und Cézanne zog wieder nach Paris, um sich ganz der Kunst zu widmen.
Rückzug in die Provence. Besessen stürzte er sich dort in autodidaktische Studien, denn die Aufnahme in die staatliche École des Beaux-Arts blieb ihm auch nach mehrmaligen Bewerbungen verwehrt. Er war ganz auf sich allein gestellt und verbrachte diese Frühzeit seiner künstlerischen Arbeit mit dem Kopieren alter Meister in eher düsterer Farbigkeit.
Etwa um 1873 hellte sich die Palette Cézannes unter dem Einfluss der Impressionisten spürbar auf. Vor allem sein neugewonnener Künstlerfreund Camille Pissarro zeigte ihm neue technische Malmöglichkeiten. Eine Reihe von Landschaften und eindrucksvolle Porträts markieren diesen Umschwung.
Große Hoffnungen setzte er in die dritte Impressionistenschau, bei der er mit einigen Arbeiten vertreten war. Doch die Kritik zerriss ihn förmlich. Zu der Tatsache, dass sich auch kaum Käufer für seine Bilder finden ließen, kamen die jährlichen Tiefschläge, wenn seine Bilder wieder einmal vom Salon, der künstlerischen Ausstellungsinstitution in dieser Zeit schlechthin, abgewiesen wurden.
Dennoch fand Cézanne mit fast übermenschlicher Kraft seinen eigenen künstlerischen Weg, wahrscheinlich weil er trotz aller Selbstzweifel spürte, das Richtige zu tun, aber seiner Zeit einfach ein Stück voraus war.
Frustriert vom Kunstbetrieb der Hauptstadt, kehrte er in seine geliebte Provence zurück, wo er fernab von Paris in aller Abgeschiedenheit direkt vor dem Motiv der Landschaft arbeiten wollte. Den einzigen Ausstellungsort über viele Jahre hinweg hatte er noch beim Pariser Farben- und Bilderhändler Tanguy, der in seiner Begeisterung für die neue Malerei Material gegen Bilder tauschte.
Farblicher Eigenwert. Mit seiner Rückkehr in die Heimat begann Cézanne nun endgültig künstlerisches Neuland zu betreten. Der Eigenwert der Farbe hatte es ihm angetan. Mit festem Bildaufbau und geometrischen Grundformen suchte er leidenschaftlich nach einer malerischen Autonomie, „parallel zur Natur“. Nicht mehr Lichterscheinungen wie die Impressionisten, sondern das Licht selbst in der Farbe wollte er zeigen. Mit einem durchdachten System aus Flecken und Strichen, einem Gewebe aus Farbe, in der es wie in der Musik zu Modulationen kommt, versuchte er Natur nicht einfach nur abzubilden. Nein, er wollte sie regelrecht „sezieren“, um ihre Grundzüge zu erkennen.
In langwierigen Malprozessen – oft unterbrochen durch lange Überlegungspausen zwischen zwei Pinselstrichen - baute er dichte Strukturen auf.
An seiner kompromisslosen Einstellung zerbrach seine lange Freundschaft mit Émile Zola, der ihn nur noch als „wunderlichen Menschen“ sah. Er sollte zu einem seiner schärfsten Kritiker werden.
Der Naturalist Zola konnte mit dem gleichsam über die Natur hinausreichenden Gedankengut Cézannes nichts anfangen. In seiner Novelle „Das Werk“ stellte er Cézanne - zwar unter anderem Namen, aber unverhohlen, als verzweifelten Maler dar, der sich schließlich vor seinem Bild erhängt.
Menschenscheu und ein ungeselliger Zeitgenosse war Cézanne schon von jeher, aber seine Kontaktarmut steigerte sich nun immer mehr.
Ab 1900 lebte er praktisch als Einsiedler in einem abgelegenen Haus, war regelrecht furchtsam seinen Mitmenschen gegenüber und fühlte sich von allen verlacht. Was ihm aber nicht zu verdenken war, wurde er doch von der Kunstkritik wiederholt als „Scharlatan und Nichtskönner“ abgekanzelt. „Er müsse wohl einen Sehfehler haben“ – bei seiner Art zu malen hieß es.
Fährtenleger. Wenigstens hatte er seit dem Tod seines überstrengen Vaters 1886 keine wirtschaftlichen Sorgen mehr, als er eine ansehnliche Erbschaft machte und auch das Familienanwesen vermacht bekam.
Aber materielle Dinge interessierten ihn wenig. Eine rastlose Unruhe trieb ihn ein Leben lang - voller Selbstzweifel, der viele seiner Bilder zum Opfer fielen.
Auf der Suche nach neuen darstellerischen Mitteln widmete er sich in ganzen Serien einigen Lieblingsthemen, wie den Stilleben mit Äpfeln oder den vielschichtigen Ansichten des Bergs von Sainte-Victoire bei Aix, um jeweils neu Form- und Farbprobleme zu klären.
Dabei blieb er trotz aller Visionen zeitlebens ein strenggläubiger Katholik, den sein täglicher Gang zur Messe nach eigenem Bekunden viel Kraft für seinen selbst auferlegten künstlerischen Kampf gab.
Vor der Leinwand wollte er einmal malend sterben. Der Tod ereilte ihn am 22. Oktober 1906 tatsächlich dort. Einsam starb er an den Folgen einer Lungenentzündung, die er sich beim Malen in einem Gewitterregen einige Tage zuvor zugezogen hatte.
Dass er einer der großen Ideengeber für die Kunst gewesen war und einer der wichtigsten Wegbereiter für die Abstraktion, begriff die Nachwelt erst im 20. Jahrhundert.