Von seinem USA-Aufenthalt hat unser Autor Br. Andreas im Sendboten mehrfach berichtet. Als „Nachzügler" folgt nun noch ein Artikel über Mexiko. Das südamerikanische Land hat er gemeinsam mit einem mexikanischen Bruder besucht – und war begeistert von der Herzlichkeit der Menschen inmitten ihres kontrastreichen Lebens. 


Manchmal hat man das Glück, dass verrückte Ideen wahr werden: Br. Jesús Grajeda hatte mich eingeladen, mit ihm für fünf Tage nach Mexiko zu fahren. Nach Rücksprache mit meinem Provinzialminister konnte ich meinen halbjährigen Studienaufenthalt in den USA mit dieser Reise krönen.



Unser Ausgangspunkt war die amerikanische Grenzstadt El Paso in Texas. Per Auto fuhren wir etwa sechs Stunden gen Süden, bis wir unser erstes Ziel erreichten: Tres Lagunes, im größten Bundesland Mexikos, Chihuahua. Spätestens hier wurde mir klar, dass ich Mexiko nicht als Tourist erleben würde, sondern hautnah und mittendrin in der großen Verwandtschaft von Br. Jesús. Eine bessere Möglichkeit, Land und Leute möglichst wirklichkeitsnah kennen zu lernen, gibt es wohl kaum! Tres Lagunes ist ein Dorf, das am sprichwörtlichen „Ende der Welt" liegt. Hier lebt Jesús’ Großmutter mit ihren zwei Töchtern in einem Haus, in dem es erst seit vergangenem Jahr fließendes Wasser gibt. Die Straße zum Dorf lässt sich bes-tenfalls als Schotterweg bezeichnen. Ich muss gestehen, dass ich schon etwas erleichtert war, als wir uns aufmachten, um in die Stadt Cuauthémoc zu fahren. Dort wohnt seine Tante in einem recht komfortablen Haus, und wir sollten bei ihr die nächsten Tage verbringen. Aber durch den Abstecher nach Tres Lagunes wurde mir klar, dass materielle Armut einen großen Teil Mexikos ausmacht.



Küsschen und Tortillas



Die Besuche in Bruder Jesús’ Familie machten mir schnell klar, dass man in Mexiko grundsätzlich per Kuss begrüßt wird. Dabei küssen sich die Menschen grundsätzlich auf die rechte Wange. Küsse werden auf diese Weise bereits am Morgen nach dem Aufstehen ausgetauscht − und auch sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit. So viel wie in diesen fünf Tagen musste ich in meinem ganzen Leben noch nicht küssen… Von Mann zu Mann begrüßt man sich übrigens meist mit Handschlag und Umarmung.



Familie und Essen − diese beiden Themen verknüpfe ich nicht ohne Grund, denn welchen Familienteil wir auch besuchten, immer wurden wir zum Essen eingeladen. Und wir haben so viele Onkel und Tanten besucht, dass ich ziemlich schnell aufgegeben habe, mir Namen zu merken.



Jedes Essen, bei Bedarf sogar das Frühstück, wird von Tortillas (Fladenbrot) und meist auch von Bohnen in allen möglichen Variationen begleitet. Dazu gibt es Fleisch, besonders gerne Huhn, und häufig Reis. Zum Nachtisch kann man sich dann wirklich reife Pfirsiche oder Mangos schmecken lassen.



Coca-Cola an jeder Ecke



Ein wenig nachdenklich stimmte mich die Zeit in Mexiko doch auch angesichts der überall sichtbaren „McDonaldisierung". Auch wenn fünf Minuten vom Stadtzentrum von Cuauthémoc die Straßen nicht geteert waren, in der Stadtmitte gab es zahlreiche amerikanische Fast-Food-Ketten, und Coca-Cola grüßte an allen Ecken. Für Mexikaner sind das vielleicht noch so etwas wie erste Realisierungen eines Traums vom reichen Westen, auf mich wirkten sie eher wie Warnzeichen: Wie lange wird es wohl dauern, bis eine reiche Kultur zurückgedrängt und vereinheitlicht ist? Wie lange noch werden die zahlreichen „Tante-Emma-Läden" um die Ecke bestehen bleiben?



Auf der anderen Seite bringen Internet, moderne Technik und Ausbildung auch interessante Erfolgsgeschichten hervor: Eine von Br. Jesús’ Cousinen ist mit 22 Jahren stolze Besitzerin eines gut gehenden Druckgeschäfts. Davon konnte die Generation vor ihr nur träumen.



Dass man in Mexiko unter Umständen auch auf Deutsch verstanden wird, hat mich dann doch überrascht. Doch bei den Mennoniten, die mit etwa 35.000 Mitgliedern (von weltweit etwa einer Million) in Mexiko vertreten sind, ist das möglich. Ihre Ursprünge in Deutschland gehen bis in die Wirren der Reformationszeit zurück; benannt wurden sie nach einem ihrer ersten Anführer, Menno Simon von Witmarsum (1496-1561).



Deutschstämmige Mennoniten



Auch wenn die mennonitischen Gruppierungen recht unterschiedlich sind, lässt sich generell sagen, dass für Mennoniten die Bibel die letztendliche Autorität ist. Häufig leben sie fernab vom „normalen" Alltagsleben. Besonderen Wert legen sie auf eine gerechte Wirtschaftlichkeit, Pazifismus und die lokale Gemeinde. Auf den Straßen der Stadt Cuauthémoc entdeckt man sie recht häufig – vielleicht liegt das auch an ihrem auffälligen Erscheinungsbild: helle Haut, Frauen mit Röcken und Kopftuch, streng gekämmte Haare. In einem Mennoniten-Museum hatte ich die Gelegenheit, mich mit einer Mennonitin zu unterhalten, um genauer herauszufinden, welche Sprache sie denn nun sprechen – denn ein Mexikaner hatte mir gesagt: Wenn sie untereinander sprechen, dann ist es weder Englisch, noch Spanisch, noch Französisch, also muss es wahrscheinlich Deutsch sein… Und tatsächlich, innerhalb ihrer Gemeinde sprechen sie Plattdeutsch, für den Schriftgebrauch verwenden sie Hochdeutsch. Aufgrund ihrer Abgesondertheit von der Entwicklung ihrer Muttersprache ist ihr Deutsch gelegentlich etwas antiquiert, aber eine Verständigung auf Deutsch war mühelos möglich – mitten in Mexiko…



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016