Vollender barocker Baukunst
Sein Bild auf dem 50-Mark-Schein ging bis zur Einführung des Euro durch unzählige Hände. Auf der Rückseite des Geldscheins waren Krönungen seines Könnens zu sehen: die Abteikirche von Neresheim und das Treppenhaus der Würzburger Residenz, dazu eine Grundrisszeichnung seines architektonischen Leitmotivs: die vier-Arkaden-Rotunde mit Säulenpaaren. Auf der Vorderseite das Porträt, das Markus Friedrich Kleinert 1727 von Balthasar Neumann schuf: Es zeigt einen selbstbewussten Mann mit hoher Stirn und prüfendem Blick, der Offenheit und Humor verrät. Links daneben das “Instrumentum Architecturae“, das Balthasar Neumann bereits 1713 entwickelt hatte: ein Proportionalzirkel, mit dem er die Maßverhältnisse verschiedener Säulenarten für den Praktiker bequem ablesbar machte. Sein mathematisch-technisches Genie und seine herausragende künstlerische Begabung haben der Welt Bauten voll Pracht und Pathos, voll Grazie und Heiterkeit hinterlassen – gebaute Musik des 18. Jahrhunderts.
Raffinierte Raumschöpfung. Der vor 250 Jahren in Würzburg verstorbene Architekt, den die Nachwelt zum Vollender barocker Baukunst erklärt hat, hinterließ eine seiner raffiniertesten Raumschöpfungen im “Gottesgarten am Obermain“. Das Innere der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen ist mit seinen ineinander greifenden Kreisen und Ovalen, Kuppeln und Wölbungen ein Höhepunkt der Architektur des 18. Jahrhunderts. Neumann hat einen lichtdurchfluteten, schwingenden Himmelssaal um einen goldglänzenden, von 14 bewegten Heiligenfiguren umstandenen Altar gestaltet - genau dort, wo die Erscheinungen der Nothelfer überliefert sind, welche die Wallfahrt begründet haben. Aus honiggelbem Sandstein erbaut, erhebt sich die Kirche strahlend über dem Grün der Flussauen, korrespondierend zu dem ein wenig älteren Kloster Banz auf dem rechten Mainufer. Diese machtvolle Klosteranlage der Benediktiner in Banz soll den Ehrgeiz der Zisterzienser in Vierzehnheiligen geweckt haben, ihr Kirchlein durch einen noch glänzenderen Neubau zu ersetzen. Neumanns architektonischer Witz lässt - vom Altar aus durchs geöffnete Portal gesehen - das gegenüber liegende Kloster Banz wie eingerahmt da stehen...
Auch Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz nennt eine Wallfahrtsbasilika sein Eigen, die der Barockbaumeister entworfen hat. Die Kirche, die den Ortskern dominiert und deren Türme den Kontrapunkt zu der auf einem Felsen thronenden Burg bilden, wurde 1730 bis 1739 errichtet. Der himmelstürmende Altar ist Mittelpunkt einer Dreikonchenanlage – die drei Kleeblätter übersetzen den Symbolgehalt der Dreifaltigkeit in die steinerne Sprache der Architektur. Die räumliche Verschmelzung von Langbau und Zentralbau ist in Gößweinstein noch zögernd, die späteren Kirchen Vierzehnheiligen und im Kloster Neresheim auf der Schwäbischen Alb sind weit raffinierter konstruiert.
Neben diesen und anderen Kirchen, 28 insgesamt an der Zahl, hinterließ der erfolgreiche Architekt ein Werk von 58 Kloster-, Schloss- und Wohnbauten, fünf Brücken, acht Wasserkünste und neun Festungswerke. Balthasar Neumanns Talent hatte sich entfalten können, weil die mächtige Familie derer von Schönborn, deren Mitglieder vom “Bauwurmb“ befallen waren, sein Talent förderte.
Der als siebter Sohn eines Tuchmachers 1687 zu Eger in Böhmen geborene Balthasar Neumann hatte mit dreizehn Jahren eine Lehre bei seinem Onkel als Geschütz- und Glockengießer gemacht. 1711 verließ er seine Heimatstadt und trat in Würzburg in die Gießhütte von Ignatz Kopp ein. Durch die Bekanntschaft mit dem Ingenieurhauptmann Andreas Müller, der die Begabung des jungen Mannes erkannte und ihm zum Studium der “Fortifikation und Architekturwissenschaft“ riet, kam Neumann auf die Artillerieschule.
Talentschmiede. Er lernte Geometrie und Feldmesserei, Französisch, Italienisch, Spanisch, wurde Geschützjunker in der Schloss-Leibkompanie und Adjutant seines Förderers Müller, der ihn in Zivil- und Militärarchitektur unterwies. Im Alter von 32 Jahren bekam Balthasar Neumann dann den Auftrag für einen der bedeutendsten Neubau der damaligen Zeit: die neue Würzburger Residenz. Der Fürstbischof zog ihn altgedienten Baumeistern vor, weil er “viel ersprießliches verspreche und die auf selbigen gehende kösten verwendung nicht übel angelegt sein dörfte“.
Prestigeobjekt für Newcomer. Balthasar Neumann konnte auch deshalb auf der Karriereleiter zum Festungsingenieur, Oberst der Artillerie, Stadtplaner und Baumeister aufsteigen, weil die absolutistischen Herrscher des 18. Jahrhunderts ihre Glorie in Stein überliefern wollten. Die Würzburger Residenz, heute Weltkulturerbe, bezeichnete Neumann selbst als ein Denkmal – “die nach vielen Jahrhunderten kommenden Nachfahren darob ersehen mögen, wie sehr unser Franken in diesen Jahren glücklich war“.
Aus der mit einem Gemälde von Giovanni Battista Tiepolo gezierten Decke des riesigen Treppenhauses, dessen stützenloses, 600 Quadratmeter großes Gewölbe trotz der Unkenrufe barocker Zeitgenossen sogar Luftangriffen des Zweiten Weltkrieges standhalten sollte, blickt Balthasar Neumann auf die Besucher herab. Tiepolo stellte ihn als Offizier auf einer Kanone sitzend dar, zu Füßen des Erdteils Europa aus dem großen Welttheater. Der venezianische Maler hat hier dem Baumeister, der dank seiner Beherrschung technischer Mittel die Verwirklichung seiner kühnen Raumideen der Materie abrang, ein bleibendes Denkmal gesetzt. Ein Wunder der Würzburger Residenz ist auch die Schlosskirche, die Neumann so leicht und transparent gestaltete, dass dem Besucher gar nicht bewusst wird, dass hier nur von einer Seite Licht einfallen kann.
Würzburgs barocke Glanzlichter. Diese Residenz, an der er sein halbes Leben lang gebaut hat, die seinen Ruf in Europa begründete und seinen fachmännischen Rat an vielen Herrscherhöfen zwischen dem Bodensee und dem Niederrhein gefragt machte, ist nicht seine einzige Meisterleistung in Würzburg. Nach dem Willen von Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn sollte ganz Würzburg glänzen. Nichts durfte unter seiner Herrschaft ohne Neumanns Billigung gebaut werden – ein Mandat, der die Stadt am Main bis heute eine Fülle herrlicher Barockfassaden dankt. In der Franziskanergasse steht das Wohnhaus, in dem Neumann mit seiner Frau Eva Maria (Tochter des fürstlichen Geheimen Rates Schild) lebte, die ihm acht Kinder schenkte. Auf dem Dach des einstigen Familiensitzes gibt es eine schmiedeeiserne Kanzel, sein “Belvedere“, von dem er das Schloss im Blick und die Stadt zu seinen Füßen liegen hatte. Ob er von hier aus auch das “Käppele“ wachsen sah?
Bezaubernde Kapellchen. Balthasar Neumann war 60 Jahre alt, als er das Käppele entwarf, eine der volkstümlichsten Schöpfungen des Rokoko. Die vieltürmige Wallfahrtskirche Maria Heimsuchung auf dem Nikolausberg steigt wie eine leichte, schwebende Melodie aus dem Hang auf. Die kostbare Inneneinrichtung mit dem herrlichen Stuck von Feichtmayr steigert die Architektur schier ins Unirdische. Ganz anders das bezaubernde achteckige Kapellchen in Holzkirchen, zu dessen französischer Eleganz in feinem grauweißen Stuck sich Neumann in Paris inspirieren ließ.
Viel mehr wäre noch in Franken zu bewundern, aber auch seine Leistungen in anderen deutschen Landen sollen nicht vergessen werden. Denn “der Oberst Neumann von Würzburg“ beriet und plante weit über Frankens Grenzen hinaus.
Beschwingter Aufstieg. Immer wieder fand er überraschende Lösungen für schwierige architektonische Probleme. 1740 rief ihn der Kölner Kurfürst Clemens August nach Brühl, wo er den entscheidenden Beitrag zur Umgestaltung der neuen Sommerresidenz gab. In dem von französischen und westfälischen Baumeistern begonnenen Schloss Augustusburg war wegen der Verlegung der kurfürstlichen Appartements in den Südflügel ein neues Treppenhaus notwendig geworden. Der vorhandene Raum war beengt, doch dank Neumanns Plan gelang es, aus dem vergleichsweise schmalen Raum eines der schönsten Treppenhäuser des Rokoko zu machen.
Aus dem dreiachsigen Untergeschoss mit Mitteltreppe öffnet sich ein fünfachsiges, lichtdurchflutetes Obergeschoss mit zwei kühn konstruierten rückläufigen Treppen und seitlichen Gängen. Die von Galerien umzogene Decke erweckt durch Illusionsmalerei den Anschein einer Kuppel. Durch überraschende Durchblicke und eine sehr bewegte Lichtführung entstand die beschwingte Weite des Raumes. Balthasar Neumanns in Würzburg, aber auch in Meersburg und Bruchsal erprobte Fähigkeit, dem Treppenhaus als einem für die damalige Zeit wichtigen zeremoniellem Raum Lichtfülle und Schönheit zu verleihen, zeigt sich in Brühl in Vollendung. Die prachtvollen Stiegen des heute zum Weltkulturerbe zählenden Schlosses Augustusburg wurden zu Zeiten der Bonner Republik immer wieder im Fernsehen gezeigt, sie waren Schauplatz vieler feierlicher Staatsempfänge.
Im Juli 1753 erkrankte Balthasar Neumann schwer, am 19. August verstarb er im Alter von 66 Jahren. Drei Tage später trug man ihn feierlich und mit allen militärischen Ehren, die ihm als Obristen zukamen, zu Grabe. Schließlich hatte Neumann sechs Würzburger Fürstbischöfen im Lauf seines Leben gedient, wovon vier ihn außerordentlich geschätzt haben.
Trauersalut. Als der Sarg in der Marienkapelle auf dem Würzburger Markt in die Gruft gesenkt wurde, feuerte das Ehrenbataillon eine Salve ab, von der Festung Marienburg hallte der Salut der Geschütze weit in das fränkische Land. Würzburg trauerte – um einen großen Künstler und um einen Mitbürger, der wegen seines untadeligen Lebenswandels und freundlichen Wesens hoch geschätzt war.