Vom Kreuz gesegnet

25. Januar 2007 | von

Kaum eine andere Frau vereinigt so wie Edith Stein die Tragik und Größe des vergangenen 20. Jahrhunderts in sich. Schicksalhaft wird sie Teil des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte und hinterlässt einen weiten gedanklichen Horizont, der Grenzen überwindet.

Jüdin, Atheistin, Christin, Philosophin, Wissenschaftlerin, Lehrerin, Ordensfrau und Kämpferin für Frauenrechte - jede dieser Seiten der Edith Stein wäre einer eigenen Betrachtung würdig. Eine starke Frau. Was immer sie auch tat, ging sie mit Überzeugungskraft und dem Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit an. Selbst ihren gewaltsamen Tod interpretierte und verstand sie als „Opfer für ihr Volk“.

Einige wichtige Stationen aus ihrem Lebenslauf lassen erahnen, mit wie viel Willensstärke, Intelligenz und Charisma Edith Stein gesegnet war. 1891 in Breslau geboren, verlor sie bereits im Alter von drei Jahren ihren Vater. Ihre tiefgläubige jüdische Mutter musste die große Familie – Edith Stein hatte noch zehn Geschwister – nun alleine durchbringen. Interessant, dass ihr Geburtstag, der Yom Kippur Feiertag, der jüdische Versöhnungstag war. Am Anfang ihres Lebens leuchtete also schon etwas von dem auf, was an ihrem Lebensende bestimmend wurde: Schuld und Sühne.

Herkunft und Wahrheitssuche. Mit 14 Jahren verließ die junge Edith Breslau, um bei ihrer Schwester in Hamburg ein neues Zuhause zu finden. Atheistisch wird sie später diese Zeit ab der Pubertät nennen, bewusst und gewollt ein „ungläubiges“ Dasein führend. So erscheint diese Lebensphase wie ein Typus modernen Lebensverständnisses: suchend zwar, aber der alten Religion abschwörend, wissenschaftlich orientiert. Doch Edith Stein gab sich nicht so leicht zufrieden. Nicht ein bisschen nach Glück oder Sinn zu suchen, sondern die Wahrheit zu finden, das intellektuelle Durchdringen menschlicher Fragen und philosophischer Gedanken, wurde für etliche Jahre ihre innere Heimat. Diese philosophische Wahrheitssuche konnte sie rückblickend „als ein einziges Gebet“ verstehen. Bei Edmund Husserl, dem großen phänomenologischen Philosophen, studierte sie, nach ihrem Studium in Breslau, zunächst in Göttingen, um dann in Freiburg 1916 bei ihm zu promovieren. In den Folgejahren scheiterten jedoch die Versuche sich zu habilitieren. Zwei für die damalige Zeit entscheidende Nachteile standen ihrem Vorhaben im Weg. Sie war Jüdin und sie war eine Frau. Eine im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Karriere blieb ihr deshalb verwehrt. Dieser äußere Werdegang fand in der Zeit des Ersten Weltkrieges und der darauffolgenden Jahre statt. Ein auch für ihr inneres Werden bedeutsamer Faktor, erfuhr sie doch bei einer protestantischen Freundin, die ihren Mann, Adolf Reinach, im Krieg verloren hatte, zum erstenmal, wie sie es ausdrückte, „die Kraft des Kreuzes“. Statt einer verzweifelten Witwe, begegnete sie einer Frau, die aus dem Glauben heraus das Schwere tragen konnte. „Es war der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach... und Christus aufstrahlte: Christus im Geheimnis des Kreuzes.“

Eintritt in den Karmel. Doch verging noch einige Zeit, bis sie ganz bereit war, den letzten Schritt zu wagen und zum Christentum zu konvertieren. Vor allem die Lektüre einer Lebensbeschreibung von Theresa von Avila stärkte ihren Entschluss: Hier fand sie ihre Lebenswahrheit, die Wahrheit, nach der sie so lange gesucht hatte.
Nach ihrer Taufe am 1. Januar 1922 in der katholischen Pfarrkirche in Bergzabern ging ihr Leben zunächst eher unspektakulär weiter. Neun Jahre lang unterrichtete sie als Lehrerin an einem Mädchengymnasium in Speyer Geschichte und Deutsch. Ihr Wunsch, Karmelitin zu werden, entwickelte sich schon in dieser Zeit. Aber erst nach der, durch die Nazis erzwungene, Entlassung als Dozentin am Deutschen Institut für Pädagogik in Münster, wo sie 1932/33 gearbeitet hatte, verwirklichte sie diesen lang ersehnten Schritt. Mitte Oktober 1933 trat sie in den Karmel von Köln ein und wurde so 1934 zu Sr. Teresia Benedicta a Cruce. „Die vom Kreuz Gesegnete“, so lautet der Namenszusatz übersetzt. Und wieder scheint so etwas wie ihre „geheime“ Lebenslinie durchzuklingen: Schuld und Versöhnung – die großen Themen des Kreuzestodes Jesu Christi.
1938 war die Bedrohung durch die Nationalsozialisten bereits so groß geworden, dass Edith Stein noch einmal das Kloster wechseln musste und mit ihrer Schwester Rosa, die ebenfalls konvertiert war, in den Karmel von Echt in Holland übersiedelte. Ihre jüdische Mutter musste das nicht mehr miterleben: 1936 war sie unversöhnt mit der Konversion der beiden Töchter verstorben.

Gejagt und ermordet. Die Ruhe in Holland währte für die Schwestern Stein jedoch nur kurz. 1942 veröffentlichten die holländischen Bischöfe ein Schreiben über die Situation der jüdischen Bevölkerung. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Im August desselben Jahres ließ man daraufhin alle holländischen Katholiken jüdischer Abstammung verhaftet. Nach der Internierung in Westerbork wurde Edith Stein zusammen mit ihrer Schwester und vielen anderen über Schifferstadt, wo es ihr noch gelang, einen Zettel mit den Worten: „Wir fahren nach Osten“ hinauszuschmuggeln, nach Auschwitz deportiert. Am 9. August 1942 stirbt sie in der Gaskammer.
War Edith Stein eine jüdische Märtyrerin? Gewiss, denn sie starb wegen ihres jüdischen Glaubens, ihrer jüdischen Herkunft. Als überzeugte Christin war Edith Stein immer stolz auf ihre Abstammung, die sie in besonderer Weise mit Christus verband.
War Schwester Teresia Benedicta a Cruce aber nicht auch eine christliche Märtyrerin? Ganz bestimmt, denn in der Verbindung zu Christus, seinem Sterben am Kreuz verstand sie ihr Sterben auch als Stellvertretung, als Hingabe für viele.
Heiliggesprochen wurde sie 1998 von Papst Johannes Paul II. Edith Stein, eine Frau des 20. Jahrhunderts, in der sich so vieles verband: Judentum und Christentum, Unglaube und tiefster Glaube, Suchen und Finden, Intellekt und Hingabe.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016