Vom Umgang mit dem Leiden

29. September 2014 | von

Den liturgischen Gedenktag des heiligen Papstes Johannes Paul II. feiern wir am 22. Oktober zum ersten Mal. Unsere Autorin – sie arbeitet am Internationalen Zentrum der von P. Maximilian Kolbe gegründeten Militia Immaculatae in Rom – sprach mit der Herzspezialistin Prof. Dr. Simona Šandrić über ihre Begegnungen mit dem Heiligen Vater.



Frau Professorin, wie verlief Ihre erste Begegnung mit Papst Johannes Paul II.?


Als junge Kardiologin am Policlinico Gemelli in Rom hatte ich am 13. Mai 1981 gerade Dienst, als die Nachricht kam, der Heilige Vater sei bei einem Attentat auf dem Petersplatz verletzt worden. Mit dem Behandlungs-Team wartete ich auf unseren wichtigen Patienten. Meine Kollegen zitterten vor Angst: Wird alles gut gehen, werden wir ihn retten können? Ich versuchte ruhig zu bleiben: Macht eure Arbeit gut, wie für jeden Patienten. Er braucht uns jetzt, vielleicht ist sein Leben in Gefahr. Je ruhiger ihr seid, desto besser.

Da hörte ich Schmerzensschreie und sagte mir: O Gott, ist dies der Heilige Vater? Dann geht es ihm bestimmt schlecht. Ich lief ihm durch den langen Korridor entgegen und ergriff seine Hand. Wegen des Bauchdurchschusses hatte er große Schmerzen. Das Projektil war durch den Nabel eingedrungen und am Rücken ausgetreten. Ich beugte mich zu ihm auf der Trage nieder, ganz nahe an seinem Gesicht: Heiliger Vater, haben Sie Mut, alles wird gut werden. Die Muttergottes wird Ihnen helfen und Sie retten. Ich betete auf Kroatisch, denn er verstand Kroatisch. Während seines Studiums an der Dominikaner-Universität Angelicum hatte er sich den Kroaten angeschlossen, da es damals in Rom noch kein polnisches Kolleg gab. Er lebte mit den Kroaten, lernte sie kennen, auch ihre Sprache, ihm waren die Probleme des kroatischen Volks, damals in der Zeit des Kommunismus im Staat Jugoslawien, sehr vertraut. Seine linke Hand haltend, betete ich auf Kroatisch: Majko Božja, Majko Božja, pomozi mi!  (Mutter Gottes, hilf mir!). Und er wiederholte zusammen mit mir auf dem Weg zum Operationssaal immerzu: Majko Božja, pomozi mi! Majko Božja, pomozi mi! 

Die Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern bereiteten die Operation vor. Infolge des hohen Blutverlustes war der Papst sehr, sehr blass, so beeilten wir uns. Mein Part war der kardiologische. Ich legte ihm Elektroden an, um den Herzrhythmus zu kontrollieren. Er hatte ein Kammerflimmern. Diese Störung musste erst behoben werden, dann begann der Eingriff.

Operateure waren Prof. Francesco Crucitti und der jüngere Prof. Aurelio Picciocchi, der sehr geschickt war und gut nähen konnte. Ich glaube, vor allem wegen der Handfertigkeit und Flinkheit dieses Professors überstand der Heilige Vater den Eingriff chirurgisch brillant, denn hier war keine Zeit zu verlieren. Bei der Operation schnitt er ihm 78 Zentimeter des Darms heraus, der von den Projektilen völlig durchlöchert war, und vernähte die beiden Enden. Das also war mein erster Kontakt mit dem heiligen Papst Johannes Paul II.



Trafen Sie den Papst auch später?

Während des anschließenden Klinikaufenthaltes und danach außerhalb der Klinik lernte ich ihn gut kennen. Als starke Persönlichkeit wusste er, was er wollte; er setzte sich ein Ziel und erreichte es auch.

Er konnte zuhören, das merkte ich bei einer Privataudienz zusammen mit meinem inzwischen verstorbenen Ehemann Vlado Gotovac. Als Schriftsteller, Dichter, Kunstkritiker und politischer Dissident im damaligen Jugoslawien verbrachte er sechs Jahre im Gefängnis und acht Jahre unter Hausarrest, nur weil er vom Recht der Völker auf Eigenständigkeit gesprochen hatte. Jugoslawien bestand ja aus einem Mosaik von Völkern, Sprachen, Geschichte, Kulturen und Religionen. Es gab Katholiken, Muslime, Orthodoxe, sowie religiöse Minderheiten. Die Slowenen haben ihre eigene Sprache, Geschichte, Kultur und Religion, ebenso die Kroaten und die Serben.

Der Papst hörte uns aufmerksam zu. Mit der Situation der Völker in den ehemaligen kommunistischen Ländern kannte er sich gut aus. Er schätzte den Mut meines Mannes, der sogar das Gefängnis riskiert hatte, um vom Recht der Völker auf Eigenständigkeit zu schreiben.



Wie ertrug der Papst seine Schmerzen?

Papst Johannes Paul II. verstand es, seinem Leiden einen Sinn zu geben, wodurch sein Pontifikat eine besondere Note bekam. Alle sagten, er müsse zurücktreten. Nein! Er trug sein Kreuz bis zum Ende, was nicht einfach für ihn war. Nach dem Attentat gab es weitere acht Eingriffe: der Sturz, das Bein, die Schulter, der Krebs an der Narbe im Darmbereich, wo sich eine Wucherung gebildet hatte, die operiert werden musste. Es handelte sich um ein gutartiges Geschwür am Dickdarm.



Wie war er als Patient?

Als aktiver und kreativer Typ litt er darunter, das Bett hüten zu müssen. Acht Tage nach dem Attentat verließ er die Klinik, obwohl wir Ärzte ihm sagten: Heiliger Vater, das ist zu früh, Sie dürfen nicht gehen, es war ein schwerer Eingriff. Doch er bestand darauf, in den Vatikan zurückzukehren. Weil er sofort wieder arbeitete wie zuvor, bekam er nach einigen Tagen Fieber und musste zurück in die Klinik.

Doch arbeitete er auch gut mit den Ärzten zusammen. Einmal hörte er vom Gang aus, wie wir im Konferenzzimmer seine Situation besprachen, und kam herein: Nein, nein, nein! Hier geht es um eine Person, und die bin ich. Also müsst ihr auch mich anhören. Er war also aktiv und bereit zur Mitarbeit. Er machte deutlich: Auch der Patient bestimmt sein Schicksal mit und beteiligt sich an der Heilung. Dies ist sehr positiv und wichtig.

Die Therapie ließ er nicht passiv über sich ergehen. Er wollte verstehen, was da vor sich ging. Bei den letzten Aufenthalten in der Gemelli-Klinik fragte er uns Ärzte, welche Behandlung wir mit ihm vorhaben. Wenn sich das im Vatikan machen lässt, gehe ich in den Vatikan zurück. Bei der letzten Einlieferung sagte er dann: Es ist gut, jetzt gehe ich nach Hause.

Am Mittwoch der Karwoche 2005 zeigte er sich zum letzten Mal an seinem Fenster. Man sah, wie er litt. Er konnte nicht mehr sprechen. Um zu kommunizieren, schlug er mit der Faust auf das Pult. Er war wütend auf seine Krankheit, wollte kämpfen, war unglaublich hartnäckig, glaubte noch an seine Heilung.



Wie erlebten Sie die Heiligsprechung?

Ich stand unter den Leuten auf dem Petersplatz, ich wollte nicht auf die reservierten Plätze. Die nächtliche Gebetsvigil und den folgenden Tag verbrachte ich auf dem Platz, betend und die Menge betrachtend.

Johannes Paul II. war einer der Großen. Er war ruhig und gefasst, als sein Ende herannahte. Er war bereit.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016