Vom Wert der scheinbar unwichtigen Dinge
Das letzte Lebenszeichen von Antoine de Saint-Exupéry stammt vom 31. Juli 1944. Damals startete der Schriftsteller, der sich als Flieger in den Dienst der Alliierten gegen Hitler-Deutschland gestellt hatte, zu einem Aufklärungsflug. Er kehrte nicht zurück und galt als verschollen. Wrackteile und ein Armband, die ein Fischer 1998 vor Marseille im Mittelmeer entdeckte, bestätigten die These, dass er von deutschen Soldaten abgeschossen wurde.
Somit verlor er sein Leben, während er eine seiner Leidenschaften - das Fliegen - für eine andere Triebfeder seines Lebens - den Wunsch und die Sehnsucht nach einer gerechten, menschenwürdigen und sinnerfüllten Welt - einsetzte. Er war 44 Jahre alt, als er starb.
Triebfeder Fliegen. Geboren wurde Antoine am 29. Juni 1900 in Lyon als Sprössling einer alten französischen Adelsfamilie. Er besuchte eine Jesuitenschule und leistete anschließend seinen Dienst als Soldat bei einem Fliegerregiment. So entwickelte sich seine Leidenschaft für das Fliegen, die er nach dem Militärdienst zu seinem Beruf machte. Er arbeitete als Versuchsflieger und für die Luftpost. Das Reizvolle an der Fliegerei beschrieb er selber einmal so: Mir geht es nicht um die Sache der Fliegerei. Für mich ist das Flugzeug kein Zweck, es ist ein Mittel. Mein Leben setze ich nicht für die Fliegerei aufs Spiel, so wenig wie der Bauer für den Flug arbeitet. Aber mit dem Flugzeug verlässt man die Städte und ihre seelenlose Rechnerei und findet auf anderem Weg die bäuerliche Wahrheit wieder. Man lebt mit Winden, Sternen, Nacht und Sand, arbeitet als Mensch und sorgt sich als Mensch. Man misst sich mit den Kräften der Natur und wartet auf den neuen Tag wie der Gärtner aufs Frühjahr. Man ersehnt den Flughafen wie ein gelobtes Land und sucht seine Wahrheit in den Sternen. (Wind, Sand und Sterne Kap. 8).
Dabei muss man bedenken, dass zu seiner Zeit die Fliegerei noch in den Anfängen steckte. Die technischen Mittel waren begrenzt und jeder Flug war ein viel größeres Wagnis als heute. Immer wieder machten die Flieger Grenzerfahrungen. So stürzte Saint-Ex, wie seine Freunde ihn nannten, 1935 in der nordafrikanischen Wüste ab und stieß erst im letzten Moment auf einen Beduinen, der ihn und seinen Kollegen vor dem sicher geglaubten Tod durch Verdursten rettete.
Spiegel für die Leser. Viele seiner Erlebnisse als Flieger veröffentlichte er in dem Buch Wind, Sand und Sterne, für das er den großen Romanpreis der Académie Française erhielt. Eine große Würdigung für seine zweite Leidenschaft: das Schreiben.
Es ist dies nicht sein einziges Buch mit autobiographischem Inhalt. So beschreibt er in seinem Erstlingswerk Südkurier Erfahrungen aus den Anfängen der Fliegerei und in Flug nach Arras Kriegserlebnisse. Immer aber geht es ihm in seinen Büchern um Wichtigeres, nämlich um das Formulieren von Gedanken, die dem Menschen Halt und Sinn geben. Er soll zu sich selber finden und gut mit sich selbst und den Mitmenschen umgehen. Dafür hält der Autor den Lesern auch immer wieder einen Spiegel vor.
Der kleine Prinz. Berühmt und in gewisser Weise unsterblich wurde Saint-Exupéry durch ein Buch, das eine Fülle von Weisheiten, Denkanstößen und Hoffnungsbildern enthält: Der kleine Prinz, geschrieben 1943 in den USA, wohin der Autor nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland ausgewandert war. Mit 25 Millionen verkaufter Exemplare gehört das Büchlein zweifellos zu einem der Bücher des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich für Kinder geschrieben und gezeichnet, bewegen die Geschichten bis heute viele Erwachsene auf der ganzen Welt. Ausschnitte und Zitate daraus finden sich immer wieder auf Karten und Anzeigen, bei Reden und in Gottesdiensten.
Was zählt. Der Ich-Erzähler des Buches, ein Flieger (!), trifft nach einer Notlandung in der Wüste auf ein kleines, höchst ungewöhnliches Männchen. Der kleine Prinz, der von einem winzigen Planeten auf die Erde gekommen war, fragt allerlei Gewohnheiten und Eigenheiten der Menschen an, berichtet über seine Besuche bei Bewohnern anderer Planeten (dem Weichensteller, dem Eitlen, dem Säufer u.s.w.) und macht dabei den Erzähler und den Leser auf vieles aufmerksam. Beispielsweise auf die Bedeutung von Freundschaft und Zuwendung, aber auch auf den Wert der kleinen, scheinbar unwichtigen Dinge wie Blumen oder Sterne. Und wenn der kleine Prinz am Ende wieder verschwindet, lässt er nicht nur den Flieger nachdenklich und ein wenig melancholisch zurück.
Jeder, der den 100. Geburtstag des Autors zum Anlass nimmt, dieses oder eins der anderen Bücher noch einmal zur Hand zu nehmen und sich davon ansprechen zu lassen, wird dies zweifelsohne mit Gewinn tun!
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. (aus Der kleine Prinz) | Was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn. (aus Wind, Sand und Sterne) | Die Erfahrung lehrt uns, dass Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in gleicher Richtung blickt. (aus Wind, Sand und Sterne) |