Von Innovationen, Sturzflügen und Familienbanden
Zum 75. Todestag der Ingenieurin und Testfliegerin Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg widmen wir der Pionierin den folgenden Beitrag.
Die Bilanz des kurzen Lebens der Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg ist bemerkenswert. Mit mehr als 2.500 Sturzflügen zu Testzwecken wurde sie nur noch von Hans-Ulrich Rudel übertroffen. Dass sie als Frau studieren konnte, promovierte und Aussicht auf eine Professur hatte, war für die Zeit ungewöhnlich. Ebenso außerordentlich ist ihre Karriere im Dritten Reich. Denn Melitta Schenk, wie sie sich gezwungenermaßen in ihrem letzten Lebensabschnitt nannte, stammte väterlicherseits aus einer jüdischen Familie. Aber wie bei manch anderen – als kriegswichtig oder gesellschaftspolitisch relevant geltenden Persönlichkeiten – sahen die nationalsozialistischen Machthaber auch bei ihr darüber hinweg, dass sie ein „Mischling ersten Grades“ war und genehmigten 1941 ihren Antrag auf „Gleichstellung mit arischen Personen“.
Abflug mit Hindernissen
Geboren wird Melitta Schiller am 9. Januar 1903 als Tochter eines preußischen Beamten. Michael Schiller war der Sohn einer jüdischen Pelzhändlerfamilie und hatte die Brombergerin Margaret Eberstein geheiratet, mit der er fünf Kinder zeugte. Während des Ersten Weltkriegs war Michael Schiller Soldat, die Mutter und die ältere Schwester arbeiteten als Sanitäterinnen, und Melitta wuchs in Schlesien bei ihrer Großmutter auf. Nach dem 1922 bestandenen Abitur musste sie ihr Studium der Mathematik, Physik und Flugmechanik an der Technischen Hochschule in München durch Nachhilfestunden und Privatunterricht selbst finanzieren, da ihr Vater als Kriegsversehrter nicht mehr arbeitsfähig war. Sie bestand 1927 mit Auszeichnung alle Prüfungen und hatte während ihrer fünf Studienjahre noch die Zeit gefunden, eine Reihe von Flugscheinen zu machen, sodass ihre Anstellung als Diplomingenieurin an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof ein folgerichtiger Karriereschritt war. In der Hauptstadt lernte Melitta ihren späteren Mann, den Althistoriker Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, kennen. Ihr wissenschaftliches Interesse lag in dieser Zeit darin, den idealen Winkel für die verschiedenen Betriebssituationen eines Verstellpropellers zu finden und die Probleme der automatischen Steuerung von Flugzeugen zu lösen. Letztere waren ihr Arbeitsgebiet bei den Askania-Werken in Berlin-Friedenau, zu denen Melitta 1936, ein Jahr vor ihrer Eheschließung, als Ingenieurin wechselte. Wie viele wissenschaftlich innovative Frauen verband auch Melitta die intellektuelle Beschäftigung mit ihrem Forschungsthema mit der praktischen Erprobung. Dazu hatte sie von 1935 bis 1937 an den Blindfluglehrgängen der Lufthansa in Hannover teilgenommen und nach und nach die Flugzeugführerscheine für alle Klassen von Motorflugzeugen, den Kunstflugschein und alle Segelflugscheine erworben. Sie wurde am 28. Oktober 1937 zur Flugkapitänin ernannt, was zuvor nur Hanna Reitsch gelungen war.
Steile Karriere und unzeitiger Absturz
Auch nach ihrer Dienstverpflichtung bei der Erprobungsstelle Rechlin der Luftwaffe im Oktober 1939 behielt Melitta ihre Vorliebe, die Tests selbst durchzuführen, bei und führte deshalb die Sturzflüge, die zur Verbesserung der Zielgeräte für Sturzflug- und Schießvisiere notwendig waren, stets selbst durch. Angesichts ihrer exzellenten Fähigkeiten wurde sie 1942 in die Technische Akademie der Luftwaffe in Berlin-Gatow versetzt und erhielt am 22. Januar 1943 das Eiserne Kreuz II. Klasse und wenig später das Militärfliegerabzeichen in Gold mit Brillanten und Rubinen. Die Karriere der Ausnahmeingenieurin und Fliegerin schien unaufhaltsam. 1944 wurde ihre Promotion mit „sehr gut“ bewertet, wenig später wurde sie zur technischen Leiterin der Versuchsstelle für Flugsondergeräte ernannt.
Umso interessanter ist die Frage, ob – und, wenn ja, was – sie von den Plänen ihres Schwagers Claus Schenk Graf von Stauffenberg und des Verschwörerkreises der Hitlerattentäter wusste. Ihre Tagebuchnotizen zeigen, dass sie regelmäßig in der Wohnung von Berthold von Stauffenberg in der Tristanstaße 8-10 in Berlin-Nikolassee zu Gast war – das letzte Mal kurz vor dem Attentat, am 16. Juli. Deshalb war es wenig erstaunlich, dass sie – ebenso wie ihr Mann – nach dem missglückten Anschlag in Sippenhaft genommen wurde. Bemerkenswert ist vielmehr, dass sie nach nur sechs Wochen wegen kriegswichtiger Aufgaben wieder entlassen wurde und die Erlaubnis erhielt, den inkriminierten Namen Stauffenberg künftig wegzulassen und sich Gräfin Schenk zu nennen. Eine Distanzierung von ihrer Familie war dies aber nicht. Im Gegenteil. Melitta nutzte ihre Sonderstellung, um ihren inhaftierten Angehörigen zu helfen und besuchte sie regelmäßig. Umso tragischer ist es, dass sie, als sie zu ihrem aus dem KZ Buchenwald verlegten Mann fliegen wollte, von einem amerikanischen Flugzeug abgeschossen wurde. Sie erlag wenig später ihren Verletzungen. Nach dem Krieg wurden ihre sterblichen Überreste auf Veranlassung ihres Ehemannes nach Lautlingen überführt.