Vorhang auf für die Benignitas!

13. Januar 2025 | von

Eine echte Premiere im deutschen Sprachraum: Die Antonius-Biografie „Benignitas“ ist bislang nicht auf Deutsch übersetzt. Der Franziskaner Maximilian Wagner hat sich an die Übersetzung gewagt und als Lesehilfe den Text mit Kommentaren versehen.

Neben der „Assidua“, der wohl ältesten Lebensbeschreibung des hl. Antonius aus dem Jahr 1232, der von Julian von Speyer 1235 bis 1240 zusammengestellten Vita des hl. Antonius, der „Rigaldina“, der Biografie des Heiligen, zwischen 1300 und 1315 von dem französischen Franziskaner Jean Rigaud verfasst, und der „Raymundina“, einer um 1293 von einem Franziskaner aus Padua namens Raymund geschriebenen Antonius-Vita, gibt es eine weitere Lebensbeschreibung des hl. Antonius, die nach dem ersten Wort im lateinischen Text benannt ist und diesem ihr besonderes Merkmal bescheinigt, worum es letztlich geht: Benignitas.
Das Wort lässt sich nicht eindeutig ins Deutsche übertragen, denn es bedeutet schillernd Gutmütigkeit, Gefälligkeit, Freundlichkeit, Wohltätigkeit und Freigebigkeit – immer als Eigenschaft, die – wie wir sehen werden – Gott selbst bzw. seinem Sohn Jesus Christus zugesprochen wird und die im Heiligen aus Padua als göttliche Erscheinungsform immer wieder neu aufleuchtet.
Die Antonius-Biografie „Benignitas”, aus dem lateinischen Urtext in der kritischen Edition von Vergilio Gamboso 1986 als hagiografische Quelle des hl. Antonius in der Reihe „Edizioni Messaggero Padua“ herausgegeben mit italienischer Übersetzung, die mir dabei geholfen hat, die fast 800 Jahre alten Worte etwas moderner zu fassen, mag uns dabei unterstützen, eine nochmals andere Perspektive auf den Heiligen aus Padua zu gewinnen. Manches wird uns aus den anderen Biografien bekannt vorkommen, einiges mag im jeweiligen Kontext neue Erkenntnisse bringen und wird uns das Leben des hl. Antonius als „Franziskaner auf Umwegen“ beleuchten. 
Nach Meinung der Gelehrten gilt als Verfasser der „Benignitas“ der englische Franziskaner, Hochschullehrer und spätere Erzbischof von Canterbury Johannes Peckham, der 1269-71 Rektor der Pariser Universität und ab 1275 Provinzial der Minderbrüder in England war. 
Die Abfassungszeit der „Benignitas“ lässt sich nicht eindeutig bestimmen, aber in Verbindung mit einer weiteren Antonius-Vita „Dialogus“ auf die Jahre 1246-1280 eingrenzen.
1. Prolog
Die Freundlichkeit Gottes, unseres Erlösers, und seine Liebe zu den Menschen haben sich in dieser Welt gezeigt, wenn auch nicht nur für sich selbst.
In seinem Prolog weist der Verfasser dieser Lebensbeschreibung ausdrücklich darauf hin, dass Gott sich uns Menschen immer wieder zeigt, wie er in Jesus auf die Welt gekommen ist, damit seine Freundlichkeit und Freigebigkeit ein konkretes Gesicht bekommen haben, und dass Gott auch in Heiligen wie dem hl. Antonius aus Padua seine „Benignitas“ hat aufleuchten lassen.
2. Über die Kindheit des Heiligen
2.1 Wie der Morgenstern, der leuchtende Zeuge Christi, wurde Antonius, Diener Gottes und Bote des Allerhöchsten, angesehener Prediger und hervorragender Gelehrter, aus einer adligen Familie geboren, im Königreich Portugal, auf der Iberischen Halbinsel, in der Stadt Lissabon, am Ende der (damals bekannten) Welt gelegen. Sein Vater, Martin von Alfonso, war Ritter; seine Mutter, Maria genannt, war ebenfalls von edler Abstammung. Fast von der Wiege an, eine Verheißung dessen, was in der Zukunft sein sollte, bewies er in seiner Kindheit ein charmantes Auftreten.
2.2 Als Heranwachsender bewies er seine Gutmütigkeit dadurch, dass er sich nicht der Zügellosigkeit hingab, wie es in diesem Alter üblich ist, sondern nach dem Vorbild seiner tugendhaften Eltern den Armen bereitwillig die Hand reichte, um ihre materiellen Nöte zu lindern. Von Kindheit an wuchs mit ihm das Mitleid.
2.3 Er überschritt oft die Schwelle von Klöstern und Kirchen, und die Lehren, die er dort mit einem aufmerksamen Ohr über die göttlichen Schriften anhörte, bewahrte er mit Liebe im Schrein seines Herzens auf, damit er sie nicht vergaß.
2.4 So begann dieser edle und unvergleichliche Diener Christi, Antonius, sein Leben, indem er als weiser Architekt ein festes Fundament für das Gebäude des geistlichen Lebens legte. Und unbefleckt bewahrte er bis zum Ende das weiße Gewand einer reinsten Jungfräulichkeit, sowohl an Geist als auch am Körper.
Heiligenlegenden im Mittelalter wurden nach einem bestimmten Schema als Heldenepos verfasst, denn vielfach glich das Leben einem Kampf. Die Herkunft entscheidet über die Zukunft. Während bei der Biografie des hl. Franz von Assisi in der Regel der Akzent stärker auf die Bekehrung des Heiligen von einer zügellosen Jugend hin zum gottsuchenden Asketen gelegt wurde, setzt die Benignitas bei der vornehmen Herkunft des hl. Antonius und dem einwandfreien moralischen Erbe seiner Eltern an, das sich im Mitleid und Engagement für die Bedürftigen seiner Zeit zeigte. Hier blitzt in ihm als „Morgenstern und leuchtender Zeuge Christi“ gleichsam Gottes „Benignitas“ immer wieder neu auf. 
Eine vorbildliche Erziehung und dann der Einfluss, den der Besuch von Klöstern und Kirchen auf ihn ausübten, ließen seine Persönlichkeit heranreifen. Programmatisch werden schon bei der Beschreibung seiner Kindheit plakativ die Titel seines Lebenswerks auf ihn angewandt: Antonius wird als „Diener Gottes“, „Bote des Allerhöchsten“, „angesehener Prediger und hervorragender Gelehrter“ bezeichnet. Dass er all die gehörten biblischen Worte treu in seinem Herzen bewahrte, erinnert an Maria und lässt bereits im Voraus erahnen, dass Antonius später als „Arche des Testaments und Schrein der Hl. Schriften“ (Papst Gregor IX.) gleichsam als „wandelnde Bibel-Konkordanz“ die Heilige Schrift jederzeit abrufbereit auswendig aus dem Gedächtnis zitieren konnte.
Wie die großartige Ouvertüre zu einem Orchesterwerk klingt das, wenn er als intelligenter „Lebensarchitekt“ sein Haus auf guten Grund stellt (vgl. Mt 7, 24 f.) und aufgrund seines Ordenslebens – Kleider machen eben Leute – wie in strahlend weißem Kleid auf ein Leben in eheloser Keuschheit setzt.
3. Die franziskanischen Erstlingsmärtyrer
3.1 Während sich diese Ereignisse abspielten, begab es sich, dass ein Mann, Petrus Infans genannt, der älteste Sohn des berühmten Königs von Portugal, die Reliquien einiger Brüder des Minderbrüderordens brachte, die der selige Vater Franziskus zu den Ungläubigen geschickt hatte und die vom grausamsten König von Marokko für den Glauben Christi niedergemetzelt worden waren.
Kein Wort verliert der Biograf darüber, dass Antonius ein „Franziskaner auf Umwegen“ war und sich zunächst den Augustiner-Chorherren angeschlossen hatte, wo er theologisch bestens ausgebildet wurde. Als persönliches Berufungserlebnis schildert er, wie Antonius den franziskanischen Erstlingsmärtyrern begegnet, deren Leichname in der portugiesischen Heimat bestattet wurden. Vermutlich hatte er diese schon zu Lebzeiten in Coimbra getroffen und kennengelernt.
4. Sehnsucht nach dem Martyrium
4.1 Wie der Elefant beim Anblick des blutfarbenen Saftes der Brombeeren aufgeregt ist, sich in den Kampf zu stürzen, so wurde dieser heilige Mann, der die Leidenschaft jener Brüder hatte, veranlasst, für Christus das Martyrium auf sich zu nehmen. Und immer stärker werdend, alle Furcht vertreibend, die die Menschen einflößen könnten, geschützt durch die göttliche Gnade wie durch einen starken Schild, hoffte er, bald darauf den heimtückischen Gegnern des Kreuzes Christi seine Tapferkeit zu beweisen.
4.2 In der Sehnsucht, den in seiner frommen Seele gehegten Zweck zu verwirklichen und diesen Wunsch dem Gott seines Herzens zu offenbaren, betete er Tag und Nacht mit Andacht zum Vater der Barmherzigkeit, dass er in ihm gütig einflößen möge, was in dieser Hinsicht der göttlichen Majestät wohlgefällig sei, nützlich für sein Heil und besser als Vorbild für seine Nächsten.
Der Vergleich des Elefanten, der sich beim Anblick der blutroten Brombeeren für den Kampf rüstet, mit der Sehnsucht des hl. Antonius nach dem Martyrium erscheint irgendwie erklärungsbedürftig. „Morus“ bezeichnet im Lateinischen den Maulbeerfeigenbaum, den wir in unseren Breitengraden eher als aromatische Brombeere kennen. „Morire“ bedeutet sterben und lässt an das Blut denken, das beim gewaltsamen Martertod vergossen wird. Derselbe Wortstamm hat offensichtlich zu dem Gleichnis geführt, welches das rote Märtyrerblut mit dem verheißungsvoll wohlschmeckenden Saft der Brombeere in Verbindung bringt. Dass ein Elefant sich tatsächlich durch die Farbe Rot zur Gegenwehr anstacheln lässt, ist meines Wissens in der Zoologie nicht nachgewiesen. In 1 Makk 6, 34 ist jedoch zu lesen: „Den Elefanten hielt man den Saft von Trauben und Maulbeeren vor, um sie zum Kampf zu reizen.“
Der Elefant dient dann aber doch noch einmal als Symbol für den an Kraft und Mut wachsenden Antonius, der durch Vertrauen auf Gottes rettende Gnade (vgl. Psalm 7,11 und Psalm 28,7: „Gott ist meine Kraft und mein Schild“) die Tapferkeit bekommt, den Muslimen in Marokko seinen Glauben unter Beweis zu stellen und, wenn es sein muss, für Christus zu sterben.
Die damalige Sehnsucht, im Martyrium freiwillig sein Leben für Christus einzusetzen, verstehen wir heute so nicht mehr. Antonius erwägt jedenfalls diesen Wunsch in seiner frommen Seele und betet darum, dass Gott selber ihm zeige, was er tun solle, um dem Heil seiner Seele zu dienen und dadurch anderen zum Vorbild zu werden.
5. Zuneigung und Wertschätzung seiner Mitbrüder
5.1 Seht, liebe Brüder, diesen Mann des Friedens, der wirklich zu allen liebenswürdig war, Antonius, weil weder sein Vorgesetzter noch sein Superior ihm die Erlaubnis geben wollten, zu gehen, auch die anderen Mitbrüder unterstützten seinen Entschluss nicht, und sein kanonischer Freund konnte sich nicht damit abfinden, ihn zu verlieren.
5.2 Ich bin überzeugt, dass nicht ohne tiefe Trauer, nicht ohne großes Tränenvergießen, nicht ohne bittere Verzweiflung der ganzen Gemeinde ein solcher Mann gehen durfte, der, wie alle hofften, bald würdiger Rektor des Klosters sein würde.
Jetzt wird Antonius den Brüdern als Friedensvermittler präsentiert, der überaus liebenswürdig war. Kein Wunder also, dass niemand ihn in den Tod schicken wollte, weder die Verantwortungsträger des Ordens, noch seine Mitbrüder, erst recht nicht sein Studienfreund, denn jeder war froh darum, dass er da war und sich tatkräftig einbrachte. Einen so begabten Mann, der sich als künftiger Hausoberer qualifizierte, will auch die Gemeinde nicht verlieren.
6. Warum er das Martyrium nicht erreichen konnte
6.1 O seliger Mann, Antonius, der es verdient hat, von allen erhöht zu werden, der sich von ganzem Herzen danach sehnte, für Christus das Martyrium zu erleiden! Aber seine bewundernswerte, unergründliche Vorsehung behielt ihn, wie sich später zeigte, für Taten auf, die für seinen Nächsten nützlicher waren, als er in vielen Teilen der Welt so viele Seelen, vom Teufel verführt, aus dem Sumpf der Sünden zog und Früchte heilsamer Buße trug.
Nun folgt noch die offizielle Begründung, warum es besser war, dass Antonius nicht den selbst gewählten Weg des Martyriums gehen sollte: Der Mensch denkt, aber Gott lenkt in seiner Vorsehung und Weisheit. Er hat Antonius in seinem Leben den Platz zugewiesen, an dem er segensreich für sich und die anderen wirken konnte als Wanderprediger und Beichtvater.
7. Zusammenfassung des ersten Kapitels
7.1 Wer diesen heiligen Mann mit Eifer betrachtet: in der Kindheit den lobenswerten Anfang, in der Jugend das große erbauliche Beispiel, im zweiten Kloster die leuchtende Reform des Verhaltens, an gleicher Stelle die fromme Übung im Gebet und den nützlichen Einsatz für das Studium, den brennenden Wunsch, das Martyrium zu erleiden, den Hauptgrund für den Eintritt in den Orden der Minderbrüder, den glücklichen Willen, den Vornamen zu ändern,  die spontane Opfergabe, für Christus zu leiden, die feste Absicht, den göttlichen Willen in allen Dingen auszuführen, das sind die Aspekte, die wir soeben betrachtet haben, der wird klar erkennen können, mit welcher Vollkommenheit sich dieser Diener Gottes zum gleichen religiösen Stand bekehrt hat, indem er sich ihm in der vollsten Weise, ohne Vorbehalte, hingegeben hat.
Ein Resümee wird gezogen, das noch einmal zusammenfasst und aufzählt, wie der religiöse Werdegang des Antonius sich von Anfang an entwickelte. Sein Leben ganz für Gott hingeben und in den Dienst der Menschen zu stellen, ist ebenbürtig zur Tapferkeit, das Martyrium erleiden zu wollen, denn die Ganzhingabe an Gott führt stufenweise zur Vollkommenheit der Seele, die sich dann in Gott vollendet. 

Zuletzt aktualisiert: 13. Januar 2025
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