Wallfahrt nach Mariazell
Der unvergessene Wiener Erzbischof Kardinal Dr. Franz König hat anlässlich der ersten Mariazeller Europagespräche Mariazell als Ort der Begegnung an der Schwelle des dritten Jahrtausends bezeichnet. „Die großen europäischen Wallfahrtsorte – von den Apostelgräbern in Rom über Santiago de Compostela, die großen Wallfahrtsorte wie Lourdes und Fatima bis nach Tschenstochau – haben alle ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Gepräge. Mariazell ist durch Jahrhunderte mit dem Schicksal von Zentraleuropa eng verbunden. Dieser Zusammenhang gehört wesentlich zur Geschichte von Mariazell. Und diese ist wieder verbunden mit dem österreichischen Schicksal des Habsburgerreiches. Und so ist Mariazell durch seine Wallfahrtsgeschichte durch Jahrhunderte verbunden mit den Ungarn, den slawischen Volksgruppen und ihrer Religiosität, mit den Polen, den Tschechen, Slowaken, Kroaten, Slowenen, mit den deutsch und ungarisch sprechenden Volksgruppen in Siebenbürgen und dem Banat." So der Kardinal.
Erste Zelle. Wen wundert es, dass die Muttergottes von Mariazell zur „Magna Mater Au-striae", zur „Magna Domina Hungarorum" und zur „Alba Mater Gentium Slavorum" wurde. Dieses Mariazell begeht sein 850-jähriges Jubiläum. Der Name Mariazell geht auf die Gründung dieser Niederlassung zurück. Mitte des 12. Jahrhunderts gehörte das inmitten eines Hochwaldes an der Quelle der Salza gelegene Gebiet dem 1103 gegründeten steirischen Benediktinerkloster Sankt Lambrecht an, das heute noch Mutterkloster von Mariazell ist. Abt Otker schickte einen Mitbruder in die etwas unwirtliche Gegend, damit auch dort das Evangelium verkündet werde. Als der Legende nach dem Mönch namens Magnus am Abend des 21. Dezember 1157 plötzlich ein Fels den Weg in seine neue Wirkungsstätte verlegte, betete er (er hatte eine von ihm aus Lindenholz geschnitzte Marienstatue bei sich) zur Muttergottes, worauf sich der Felsen spaltete, und Magnus weiterziehen konnte. Nah dieser Stelle ließ sich der Mönch nieder, stellte die Statue auf einen Baumstumpf und baute eine Zelle. Maria in der Zelle, bald ein Pilgerziel, gab Mariazell seinen Namen. Bis heute steht die Marienfigur an jenem Platz, den der bis zum Tode dort wirkende Magnus gewählt hatte.
Prunk und Zerfall. 50 Jahre nach Magnus’ Zellenbau ordnete ein mährischer Markgraf, der über Fürbitte der Gottesmutter Heilung gefunden hatte, den Bau einer Kirche an, deren Ausstattung nicht mehr bekannt ist. Mittel für den Bau einer größeren Kirche stellte König Ludwig der Große von Ungarn im 14. Jahrhundert. Unter der Regierungszeit des Lambrechter Abtes Petrus von Leoben entstand eine hochgotische dreischiffige Hallenkirche mit der Gnadenkapelle innerhalb der Kirche.
Ende des 14. Jahrhunderts wurde der gotische Westturm aufgeführt. Im 17. Jahrhundert erfolgte ein großzügiger barocker Umbau unter der Leitung von Domenico Sciassia. Das Langhaus wurde durch Kapellen und darüber liegende Emporen erweitert, man schuf einen neuen Altarraum und die Außenseite erhielt barocke Seitentürme.
In der Barockzeit erlebte Mariazell einen Höhepunkt, da dank der Orden, vor allem der Bettelorden, aber auch der Jesuiten, großartige, oft mit vielem Prunk versehene Pilgerzüge den Wallfahrtsort anpeilten. Unter Kaiser Joseph II. (1780 – 1790) erfolgten radikale Einschneidungen, wobei das Wallfahrtswesen sehr eingeschränkt wurde und Wertsachen der Enteignung verfielen. Es kursierte sogar der Plan, die Gnadenkapelle abzureißen. Pilgern, die bei einer Prozession ein Kreuz oder eine Fahne trugen, drohte eine Strafe von 50 Stockstreichen. Doch die Wallfahrten waren nie ganz zu verhindern. Unter Kaiser Franz erfuhren sie wieder eine Erneuerung. Zur Zeit des Eindringens der Franzosen in die Steiermark erlitt der Ort schwere Schäden. Das Gnadenbild musste nach Temesvar in Sicherheit gebracht werden. Bei einer Feuersbrunst 1827 wurde der Ort fast völlig eingeäschert. Dank großzügiger Spendenleistungen, an denen sich auch Franz II., der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches beteiligte, konnten die Schäden behoben werden.
Wallfahrten zur Gottesmutter. Als Mariazell im Jahre 1807 das 650-Jahr-Jubiläum beging, kamen 270.000 Pilger, darunter das Kaiserpaar in den Ort. Großartig gefeiert wurde auch im Jahre 1907, ein Jahr darauf wurde die Gnadenkirche zur Basilika erhoben.
Zu den prominenten Mariazell-Wallfahrern zählen seit Ferdinand II. (deutsch-römischer Kaiser von 1619 bis 1637) alle österreichischen Herrscher und zahlreiche Adelige der Monarchie, aber auch viele Staatsmänner der Republik Österreich. Zwei Priester, Clemens Maria Hofbauer und Pater Abel, führten Tausende von Pilgern auf der sogenannten „via sacra" von Wien nach Mariazell. Die beiden Weltkriege konnten den Pilgerstrom zeitweise zwar vermindern, nicht aber verhindern. Durch die Nutzung von Auto und Eisenbahn hat sich die Pilgerzahl im 20. Jahrhundert stark vermehrt. Derzeit werden pro Jahr rund eine Million Menschen gezählt, die zur Gnadenmutter wollen. Diese befindet sich in einer silbernen Nische in der Gnadenkapelle inmitten des Langschiffes der Kirche. Die 48 Zentimeter hohe Statue stellt eine sitzende Maria mit dem Kind auf den Armen dar. Mutter und Kind haben Früchte in den Händen, Maria weist mit ihrem Zeigefinger auf Christus hin. Die Marienstatue ist in der Regel bekleidet. Es gibt zahlreiche Kleidergeschenke, das letzte von geistlichen Schwestern der Zisterzienserabtei Marienfeld gefertigte Kleid zeigt die Staatswappen jener acht Länder, aus denen im Mai 2004 Pilger bei der Wallfahrt der Völker am „Mitteleuropäischen Katholikentag" teilgenommen haben. Unbekleidet ist die spätromanische Marienstatue des Mönches Magnus nur am Patroziniumstag, dem 8. September, und am Gründungstag, dem 21. Dezember.
Die Gesamtsanierung. Der Hauptaltar der Mariazeller Basilika ist eine frühe Arbeit des Barockmeisters Fischer von Erlach. Der Altar hat kein gemaltes Bild, sondern eine plastische Dreifaltigkeits- und Kreuzigungsgruppe aus Silber. Die Kirche selbst mit dem gotischen Gewölbe ist in ihrem Inneren durch ihre großartige Barockausstattung beeindruckend.
Als im Jahre 1992 der Sankt Lam-brechter Benediktinerpater Karl Schauer zum Superior von Mariazell bestellt wurde, erwartete ihn eine schwere, wenn auch großartige Aufgabe: die Gesamtsanierung von Kirche, Kloster und Umfeld. Über die 15 Jahre lang dauernden Renovierungsarbeiten gab das vom Kuratorium „Mariazell braucht Ihre Hilfe" herausgegebene Mitteilungsblatt den Spendern laufend Auskunft über den Fortgang der Arbeiten: 4.500 Quadratmeter Außenfassade, darunter die barocken Seitentürme und der gotische Mittelturm, waren zu erneuern, wobei man auf das seinerzeitige Farbkonzept der Barockisierung unter dem Baumeister Sciassia zurückgegriff. Auch die großartige Kuppel erhielt ihre ursprünglich historische Form wieder. Am zeit- und kostenaufwendigsten erwies sich die Innenrenovierung der Basilika: Stuck, Fresken, Hochaltar und Hochaltarraum, Gnadenkapelle und Beichtstühle (für Mariazell besonders wichtig) sowie die Fenster. Dazu kam die Überprüfung der zwei barocken Seitenorgeln und der Hauptorgel auf der Westempore, wie der Neubau einer Orgel im Hochaltarraum.
Neu geschaffen wurde eine unterirdische Verbindung zwischen der Basilika und dem „Geistlichen Haus". In diesem Zusammenhang konnte auch die Sakristei vergrößert und eine Paramentenkammer errichtet werden. Im Zuge der Gesamtsanierung, die den Basilikavorplatz einschließt, erfolgte die Errichtung einer Tagespilgerstätte als Erholungsraum, ausgestattet mit Toilettenanlagen, einem Babywickelraum, Duschen und einer Gepäckaufbewahrungsanlage. Dass die Gesamtsanierung nicht billig war (noch vor der Endabrechnung wird die Zahl von 30 Millionen Euro genannt), lässt sich erahnen. Und Mariazell braucht weiterhin Hilfe. Spenden sind weiterhin auf das Konto 5800 der Raiffeisenlandesbank, Bankleitzahl 38000 erbeten.
Festliche Tage. Die 850-Jahr-Feier von Mariazell ist ein Großereignis. Selbstverständlich herrscht Genugtuung darüber, dass die Generalsanierung aus diesem Anlass zeitgerecht beendet werden konnte. Doch ist der religiöse Aspekt nicht minder vorhanden. Schon am ersten Adventsonntag des Vorjahres hatten die katholischen Bischöfe Österreichs die Katholiken zur aktiven Teilnahme an einer Glaubensvertiefung aufgefordert. In der Vorbereitung auf das Hauptfest sollen sie sich an der vom 8. Dezember 2006 bis 8. September 2007 vorgesehenen Gebetsnovene beteiligen und im Jubiläumsjahr als Einzelne oder in Gemeinschaft nach Mariazell pilgern. Eingebaut in das Festprogramm ist auch die Teilnahme an einer großen mitteleuropäischen Jugendwallfahrt nach Mariazell, um über die Zukunft Europas nachzudenken. Auch Delegierte der christlichen Kirchen für die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung im rumenischen Sibiu sind durch eine Fachtagung in Mariazell eingebunden. Das Hauptereignis ist die Eucharistiefeier mit dem Papst am 8. September in Mariazell. Anlässlich einer am Beginn des Jahres gehaltenen Generalaudienz in Rom sagte der Heilige Vater: „Ich freue mich auf Österreich!" Und Österreich freut sich auf den Papst.
Vom 7. bis 9. September 2007 wird Papst Benedikt XVI. Österreich einen offiziellen Besuch abstatten. Obwohl der Grund für diese Österreichreise die 850-Jahr-Feier von Mariazell ist, gilt diese auch als Staatsbesuch.
Der Papst in Österreich. In deren Rahmen wird der Heilige Vater am Nachmittag des Ankunftstages einen Gottesdienst in der Wiener Innenstadt feiern und am Abend in der Wiener Hofburg mit den Spitzen der Politik und des Staates wie den akkreditierten Diplomaten zusammenkommen. Nach der ersten Nächtigung in der Wiener päpstlichen Nuntiatur wird das Oberhaupt der katholischen Kirche am 8. September, dem Fest Mariä Geburt, dem Patrozinium von Mariazell, mit einem Hubschrauber zum nächstgelegenen Flugplatz Sankt Sebastian geflogen und von dort mit dem Papamobil zur Basilika gefahren. Nach dem Gebet vor der Mariazeller Gnadenstatue wird Papst Benedikt mit den Mariazellpilgern, unter denen sich Vertreter der im März in ganz Österreich neu gewählten Pfarrgemeinderäte befinden, im Freien den Jubiläumsgottesdienst feiern. Zurück in Wien erfolgt die zweite Nächtigung in der Nuntiatur. Am Sonntag, dem 9. September, zele-briert der Papst eine Eucharistiefeier im Wiener Stephansdom und kehrt nach einem Besuch einer sozialen Wohlfahrtsstätte nach Rom zurück.
Als Kurienkardinal war Joseph Ratzinger im Jahre 2004 zweimal in Österreich. Im März jenes Jahres hielt er im Wiener Stephansdom als Papst-Delegierter das Requiem für Kardinal Dr. Franz König und im Oktober war er Hauptzelebrant bei einer Wallfahrtsmesse der Notare Mitteleuropas in der Mariazeller Basilika. Vor Papst Benedikt XVI. gab es zwei Päpste, die Österreich beehrten. Papst Pius VI. besuchte Kaiser Joseph II., um dessen Kirchenreform entgegenzuwirken, und Papst Johannes Paul II. besuchte Österreich dreimal, 1983, 1988 und 1998.