Was für ein Durcheinander!
Wer sich mit dem Tod des hl. Antonius beschäftigt, der kommt sich manchmal vor wie in einem Krimi. Denn um seinen Leichnam entbrennt ein heftiger, unwürdiger Streit. Doch irgendwie klärt sich auch dieses Durcheinander.
Das Gebet um eine gute Sterbestunde: Gerade wenn Menschen älter werden, gehört dieses Anliegen oft zu dem, worum Gott gebeten wird. Da ist man irgendwann bereit, aus dieser Welt zu gehen, man hat akzeptiert, dass dieses Leben endlich ist und hat vor dem, was kommt, vielleicht auch keine Angst. Nur: Das Sterben ist eben doch eine unbekannte Größe. Eine gute Sterbestunde, das kann vielleicht heißen, dass man einschläft ohne Schmerz, dass man sich von seinen Lieben hat verabschieden können, dass man versöhnt und friedlich dieses Leben zurücklässt.
Unterwegs sterben?
Wer sich mit dem Tod des hl. Antonius beschäftigt, der findet in den Quellen jede Menge Aufregung, ein fast unwürdiges Hin und Her. Und das, obwohl Antonius zunächst alles daran setzt, niemandem zur Last zu fallen. In Camposampiero, wo er sich eigentlich erholen und wieder zu Kräften kommen wollte, erleidet er eines Tages einen Schwächeanfall. Als er sich zu Tisch gesetzt hat, so berichtet der Verfasser der Assidua, „da legte sich die Hand des Herrn auf ihn und plötzlich verließen ihn alle Kräfte. Als sich diese Krankheit nach und nach verschlimmerte, erhob sich der Heilige mit Hilfe der Brüder vom Tisch. Es gelang ihm aber nicht, den erschlafften Körper aufrecht zu halten und er brach auf einer Pritsche zusammen.“ Antonius spürt wohl, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er tatsächlich stirbt und er bittet Br. Rüdiger, einen engen Gefährten: „Bruder, wenn du einverstanden bist, dann möchte ich nach Padua gehen, an den Ort der heiligen Maria, um den Brüdern hier nicht weiter zur Last zu fallen.“ Wer könnte sich diesem letzten Wunsch des großen Predigers verwehren? Ein Gespann wird vorbereitet und man macht sich auf die letzte Reise. Der Krankentransport ist der Stadt schon nahe, als man befürchtet, Antonius könnte unterwegs auf dem Karren sterben. Das will man ihm ersparen. In Arcella gibt es ein Schwesternkloster, daneben ein Haus der Minderbrüder. Dort wird ein Stopp eingelegt – und es wird tatsächlich der Ort sein, an dem Antonius stirbt.
Öffentliche Anteilnahme
Der eigentliche Tumult beginnt erst jetzt. Plötzlich eilen Kinder durch die Stadt und vermelden den Tod des Antonius – und auf einmal machen sich alle auf in Richtung des Hauses der Brüder. Die Assidua berichtet: „Die Niederlassung der Brüder wurde wie von Bienenschwärmen umzingelt. Als erste von allen stürzten – gleichsam wie ein Blitz – die Bewohner von Capo di Ponte, einem kleinen Dorf nördlich von Padua, in großen Scharen herbei. Unter ihnen waren zahlreiche starke junge Männer, und ohne lange zu zögern, stellten sie bewaffnete Wachen rings um den Konvent. Dann erschienen verschiedene Ordensleute; es kamen Menschen beiderlei Geschlechts, Jugendliche und Kinder, Alte und Heranwachsende, Kleine und Große, Freie und Sklaven. Und alle begannen mit vereinter Stimme und verbunden durch gemeinsame Trauer zu jammern, um so durch Klagen und Tränen ihre aufrichtige Anteilnahme auszudrücken.“
Kampf um den Leichnam
Und bald beginnt, man kann es nicht anders sagen, der Kampf um seinen Leichnam. Die Schwestern sind die ersten, die die Idee äußern, man könne ihn doch hier vor Ort bestatten. Die Dorfbewohner ziehen sie rasch auf ihre Seite. Doch die Brüder aus Padua sind mit diesem Vorschlag nicht einverstanden. Sie wollen „ihren“ Antonius bei sich haben. Der Bischof wird zu Rate gezogen. Man wartet auf eine Entscheidung des Provinzialministers und muss sich in Arcella schließlich dazu durchringen, den Leichnam wegen der Hitze provisorisch zu bestatten. Das soll möglichst heimlich geschehen, was dann das Gerücht entstehen lässt, die Brüder hätten den Leichnam weggeschafft. Da ist die Aufregung natürlich erst recht groß. Noch einmal die Assidua: „Als das Volk diesen Ruf vernahm, bestürmte es tumultartig mit Schwertern und Knüppeln die Bleibe der Brüder. Und nachdem es Türen und Barrikaden gewaltsam niedergehauen hatte, stürzte es in ganzer Menge in Richtung des Ortes, wohin man den heiligen Körper gelegt hatte. Es beruhigte sich nicht bis sie – wie soll ich sagen: aus Wut oder blindem Eifer? – die Erde umwühlten, um den Sarg zu finden, in dem der kostbare Schatz verborgen war. Und nachdem sie ihn gefunden hatten, glaubten sie auch den Brüdern nicht, die ihnen versicherten, dass sich der Körper im Sarg befinde. Deshalb schlugen sie mit einer Stange darauf herum, bis sie durch den dumpfen Klang Gewissheit hatten.“ – Ein wahrhaft unwürdiges Spektakel! Selbst als die Obrigkeiten vom Bürgermeister über den Provinzialminister bis hin zum Bischof Einigkeit erzielen, dass Antonius nach Padua gebracht werden solle, formieren sich noch Dorfbewohner – mit den drastischen Worten der Assidua – „in Schlachtreihen“, um den Leichentransport zu verhindern. Erst reichlich spät werden sich die Beteiligten ihres unwürdigen Verhaltens gewahr. Die Wogen glätten sich, alle bereuen ihre Aufregung und es formiert sich eine feierliche Prozession nach Padua, wo Antonius seine letzte Ruhe findet.
Unverschuldet, aber aussichtslos
Ein derartiges Durcheinander rund um den Tod eines Menschen hat – Gott sei Dank – gewiss eher Seltenheitswert. Doch es wird wohl jeder auch von Situationen berichten können, wo es vor, während oder nach Beerdigungen zu heftigen Auseinandersetzungen kommt. Da streiten sich plötzlich Hinterbliebene um den Ablauf der Beerdigung, die Größe der Blumengestecke, die Gestaltung des Grabs oder gar um Erbe und Nachlass. Der Verstorbene bekommt von all dem nichts mehr mit. Es bleibt ihm erspart. Er mag zwar irgendwie der Anlass sein, doch wirkliche „Schuld“ trägt er an den Streitereien nicht.
Vielleicht ist dieses Durcheinander rund um den Tod des hl. Antonius eine gute Illustration dafür, wie der Mensch manchmal in Auseinandersetzungen gerät, für die er gar nicht unmittelbar etwas kann. Ohne dass man selbst die Verantwortung trägt, entsteht um einen herum ein großes Chaos. Eigentlich bricht alles zusammen. Es erscheint wie ein komplett verworrenes Knäuel, voll mit Knoten – und ohne absehbare Lösung.
Göttliche Vorsehung
Dass wir es beim Autor der Assidua mit einem frommen Gläubigen zu tun haben, wird deutlich, wenn er inmitten des ganzen Durcheinanders seine Erklärung einstreut: „Und Gott, der es niemals versäumt, Mitleid zu haben, kam im richtigen Augenblick zu Hilfe. Er, dessen Vorsehung niemals fehlgeht, ihre Ziele zu erreichen, hatte es tatsächlich geduldet, dass die Leute – um seiner größeren Ehre willen – in solche Verwirrung gerieten, um schließlich darin auf wunderbare Weise das zu vollbringen, was er verfügt hatte. Der ewig Gute würde das Schlechte in der Gemeinschaft nicht zulassen, wenn er nicht gleichzeitig wüsste, daraus einen Vorteil zugunsten der Guten zu ziehen.“
Der Autor ist davon überzeugt, dass Gott inmitten des ganzen Durcheinanders und Schlamassels schon immer eine Lösung parat hatte, und vielleicht ist das Ganze ja nur so entstanden, damit sich erweisen konnte, wie wunderbar Gott in die Geschichte eingreifen kann. Das unwürdige Chaos mit dem erbitterten Streit um den Leichnam hat ja schlussendlich doch eine Lösung gefunden – und zwar eine solche, dass bis heute das Grab des hl. Antonius in Padua eine viel besuchte Pilgerstätte für Menschen aus aller Welt ist. Und die meisten werden die turbulente Geschichte, die der Leichnam auf dem Weg zu seiner letzten Ruhestätte hinter sich bringen musste, in ihren Details gar nicht kennen. Vielleicht auch ein Trost: So manches Durcheinander gerät bald wieder in Vergessenheit.