Weihnachtsbild voller Symbolik

22. Dezember 2022 | von

Was sich an einer Darstellung der Geburt Jesu alles entdecken lässt, verdeutlicht unser Autor am Beispiel des Sarner Weihnachtsbilds.

Als Maria und Josef in Betlehem ankamen, um sich dort in die Steuerlisten eintragen zu lassen, gebar Maria ihren Sohn und legte ihn in eine Krippe. Kein Wort von einem Ochsen oder von einem Esel, die unserer Vorstellung nach unbedingt dazugehören. Die verdanken ihre Anwesenheit nicht den neutestamentlichen Verfassern, sondern einem etwa im 7. Jahrhundert entstandenen Kindheitsevangelium eines unbekannten Verfassers: „Bei der Krippe knieten auch der Ochs und der Esel und beteten das Jesuskind an. So erfüllte sich das Wort des Propheten Jesaja: Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ (vgl. Jes 1,3) Bei Jesaja versinnbildlichen die beiden Tiere das von Gott geführte Volk Israel, das sich zu Gott bekennt. Die Botschaft ist klar: Ähnlich wie Israel Gott als seinen Herrn anerkennt, soll die Menschheit Jesus als ihrem Retter huldigen.

Palast oder Stall?

Die Erwähnung einer Krippe veranlasste unzählige Künstler, als Kulisse für die Niederkunft Marias einen Stall zu wählen; nur dort konnte ja wohl eine Futterkrippe stehen.

Andere Maler verlegen das Geschehen in einen verfallenen Palast mit angebautem Koben. Dabei handelt es sich um dieRuinen des Palasts des Königs David. Damit sollte die Ablösung des Alten durch das Neue Testament symbolisiert werden. Diese Darstellungen gehen auf einen Spruch des Propheten Amos zurück: „An jenem Tag richte ich die zerfallene Hütte Davids wieder auf und bessere ihre Risse aus. Ich richte ihre Trümmer auf und stelle alles wieder her.“ (Am 9,11) Dass viele mittelalterliche Künstler Jesu Geburt in oder neben einem verfallenen Königspalast stattfinden lassen, beruht darauf, dass der Apostel Jakobus dieses Prophetenwort in einer Rede nun auf Jesus anwendet (Apg 15,16): Er ist es, der Davids verfallenden Palast wiederherstellt – will sagen, den mit Israel geschlossenen Bund erneuert und auf die gesamte Menschheit ausweitet.

Erstaunen mag, dass das Jesuskind mitunter nicht in einer Krippe, sondern nackt auf einem Tuch am Boden liegt. Das verdankt sich einer Vision der heiligen Birgitta von Schweden (1303-1373): „In einem einzigen Augenblick gebar Maria ihren Sohn, von dem ein so unsagbarer Strahlenglanz ausging, dass die Sonne nicht damit zu vergleichen war. Ich sah aber gleich das Kind nackt und klar leuchtend auf dem Boden liegen.“ Wobei der Strahlenglanz, der das Kind umgibt, nicht nur auf Birgittas Vision von der Geburtsszene zurückzuführen ist, sondern auch auf den Propheten Maleachi, der davon träumt, dass dereinst „die Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) aufgehen wird. Diese Verheißung wurde schon seit dem frühen Christentum auf Jesus bezogen, der sich dem Johannesevangelium zufolge als „Licht der Welt“ verstand (Joh 9,5; vgl. 12,46).

Der Josefszweifel

Ähnlich wie auf manchen spätmittelalterlichen Weihnachtsbildern erweckt Josef auch auf dem Sarner Weihnachtsbild den Eindruck, als würde ihn das ganze Geschehen überhaupt nicht betreffen.

Dieser Anschein trügt. Josef ist nicht abwesend; er grübelt nach. Gewisse Bedenken, von denen er laut Matthäusevangelium schon vor Jesu Geburt heimgesucht wurde (er wollte ja seine Braut zunächst entlassen!), scheinen sich erneut zu regen in seinem Herzen. War es vielleicht doch nicht Gott, sondern ein ihm unbekannter Mann, der seine Hand im Spiel hatte, als seine Braut schwanger wurde? Dieses vor allem in der ostkirchlichen Kunst verbreitete Motiv des Josefszweifels (so der kunsthistorische Fachausdruck) erregte nicht nur bei den Kirchenoberen, sondern auch beim Kirchenvolk zunehmend Anstoß, weshalb es immer seltener wurde und um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert fast gänzlich verschwand. Dass der rechtliche Vater Jesu auf mittelalterlichen Bildern häufig keinen Heiligenschein trägt, hängt damit zusammen, dass sein liturgischer Gedenktag erst im 15. Jahrhundert eingeführt wurde. Erst danach tritt auch er fast immer mit einem Nimbus in Erscheinung.

Symbole und Zeichen

Bekleidet ist Josef auf frühen Darstellungen der Geburt Jesu häufig mit einem Mantel. Den trägt er allerdings nicht der Kälte wegen. Vielmehr hat dieser Überwurf Symbolcharakter. Gezeigt wird, dass Jesus ein Mantelkind, will sagen „nur“ der Adoptivsohn Josefs, ist. 1179 legte Papst Alexander III. fest, dass außer- oder voreheliche Kinder legitimiert werden konnten, indem der Vater im Lauf einer öffentlichen Zeremonie seinen Mantel über sie breitete. Kinder, die auf diese Weise der Familiengemeinschaft eingegliedert wurden, bezeichnete man als filii mantellati, als Mantelkinder.

Symbolisch sind auf unserem Bild auch die Ährengarbe am Boden hinter Josefs Rücken und der Bocksbeutel mit Wein auf dem Tisch zu verstehen. Es handelt sich um Hinweise auf das von Jesus später eingesetzte Abendmahl. Das Motiv findet sich unter anderem auch im Dom zu Augsburg auf einer Darstellung der Geburt Christi von Jörg Stocker (1484) und in der römischen Kirche Santa Maria del Popolo auf einer Anbetung des Jesuskindes von Pinturicchio (um 1499).

Wie unzählige andere zeigt auch das Sarner Weihnachtsbild eine das Jesuskind anbetende Madonna. Ursprünglich hatten die Künstler keinerlei Hemmungen, Maria als ermattete Wöchnerin abzubilden. Im Spätmittelalter vertraten Theologen die Meinung, dass Maria ohne Schmerzen niederkam. Diese Vorstellung vertrug sich schlecht mit der Annahme, dass sie nach der Entbindung aufgepäppelt werden musste. Deshalb liegt Maria spätestens seit dem 15./16. Jahrhundert nicht mehr im Wochenbett, sondern kniet andachtsversunken vor dem Krippenkind.

Auf den meisten Verkündigungs- und Weihnachtsbildern trägt Jesu Mutter kein Kopftuch. Wie aus zahlreichen profanen Porträts hervorgeht, war es im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit in nordischen Ländern üblich, dass verheiratete Frauen ihre Haarpracht verhüllten. Wenn die damaligen Maler Maria nach ihrer Niederkunft ohne Kopftuch zeigen, deuten sie damit an, dass sie mit Josef nur verlobt und nach wie vor Jungfrau war.

Zuletzt aktualisiert: 22. Dezember 2022
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