Wenn Vatikan und Kirche zum Tatort werden

29. Januar 2013 | von

„Was haben die nur verbrochen, dass sie in jedem dahergelaufenen Thriller den Sündenbock spielen müssen?“, fragte sich vor kurzem ein Zeitungsredakteur. Gemeint sind Papst und Kardinäle, Mitglieder des Opus Dei und durch Kapuzen verhüllte Mönche, die immer wieder einen spektakulären Auftritt in sogenannten Kirchenkrimis haben.





Pfarrer und Religionslehrer wundern sich oft darüber, welche absonderliche Vergehen der katholischen Kirche nachgesagt werden. Von furchtbaren Verbrechen, an der sie beteiligt sei, und der brutalen Entstellung geschichtlicher „Fakten“ ist die Rede. Es scheint so gut wie keine Schandtat zu geben, die man der Institution Kirche nicht zutraut. Vor allem der Vatikan gerät in den Fokus der Anschuldigungen. Im Schulunterricht, bei Hausbesuchen, ja selbst auf Sitzungen des Pfarrgemeinderates tauchen die Vorwürfe auf.



VATILEAKS

Man sollte dann aber nicht allzu verblüfft sein und in Hilflosigkeit versinken. Verunsicherten Gläubigen – Theologen und Pädagogen eingeschlossen – fehlt manchmal nur ein gründlicher Blick auf das Angebot der diversen Buchverlage; auch die aufmerksame Lektüre von TV-Zeitschriften und das Durchforsten eines Kino-Magazins dürften zur Klärung des Phänomens hilfreich sein. In der Belletristik, der Unterhaltungsliteratur, stößt man heute auf eine unglaubliche Menge von Kirchen- und Vatikankrimis. Ebenso hält der DVD-Markt eine riesige Palette an entsprechenden Filmen bereit.

Das Jahr 2012 bescherte dem kleinsten Staat der Erde, dem Vatikan, einen Kriminalfall, der weltweit für Aufsehen sorgte. Vertrauliche Schreiben und Gesprächsnotizen des Papstes waren der Öffentlichkeit zugespielt worden. Jesuitenpater Federico Lombardi, der Pressesprecher des Papstes, gab dem Phänomen in Anspielung auf „Wikileaks“, der illegalen Veröffentlichung geheimer amerikanischer Regierungspapiere im Internet, die Bezeichnung „Vatileaks“. Ein Mitglied des päpstlichen Haushalts hatte Tausende von Unterlagen vom Schreibtisch des Heiligen Vaters gestohlen und an einen Journalisten weitergegeben.



REZEPT FÜR THRILLER

Eine deutsche Tageszeitung sah in der unschönen Affäre „ein Rezept, aus dem man Thriller macht“. Aber mit dem, was in Buchhandlungen, in Kinosälen und auf den Fernsehbildschirmen als „Vatikanthriller“ angeboten wird, hat „Vatileaks“ nur wenig zu tun. Der Dokumentenflucht aus dem Apostolischen Palast fehlt das gewisse Etwas, nämlich genau das, was bei der Lektüre oder der Filmversion eines Thrillers den „Thrill“, einen Schauder, eine faszinierende Anspannung ausmacht. Bestseller oder Erfolge an den Kinokassen, deren Handlung in der Kirche, vor allem im Vatikan, angesiedelt ist, benötigen eine andere Rezeptur.

Ein Kapitel der Kirchengeschichte scheint es den meisten Autoren besonders angetan zu haben: die Zeit der Kreuzzüge. Der Templerorden und die Suche nach dem Heiligen Gral werden zum Thema gemacht. Aus apokryphen Schriften, Pseudoevangelien und haarsträubenden Interpretationen der Kirchengeschichte entstehen dann Stories, die fern jeder Realität sind, aber publikumsgerecht aufgemacht die Geldtaschen ihrer Schöpfer füllen.



THE DA VINCI CODE

Ein klassischer Vertreter dieses Genre ist Dan Browns Roman „The Da Vinci Code“, im deutschen Sprachraum unter dem Titel „Sakrileg“ veröffentlicht. Er erzählt die Mär von der angeblichen Ehe Maria Magdalenas mit Jesus und deren Nachkommenschaft. Den Templern kommt in diesem Fantasiegebilde die Rolle der Hüter des Geheimnisses zu.

Ein Großteil der Vatikankrimis scheint nicht ohne den mittelalterlichen Ritterorden auskommen zu können. „Wir haben uns schon einen Spaß daraus gemacht, darauf zu wetten, auf welcher Seite der erste Templer in Erscheinung tritt“, verrät lächelnd der Kirchengeschichtsprofessor einer römischen Universität. Doch in dem Metier geht es noch weit mystischer zu. So bemüht Jörg Kastner in seinen Vatikan-Thrillern die Welt der Engel und Dämonen und holt sie unbekümmert auf die Erde. Und auch neuere kirchliche Ereignisse, wie jene, die sich 1917 in einem bekannten portugiesischen Wallfahrtsort ereigneten, taugen zur lukrativen Vermarktung. Warum daher nicht ein drittes „entstelltes“ Geheimis von Fatima, oder sogar ein viertes und fünftes?



IM VATIKAN UMHERSCHLEICHEN

In den letzten Jahren nahmen der Vatikan und seine Vertreter auch in digitalen Thrillern, in Computergames, an Bedeutung zu. In „Testament of Sin. Das Vermächtnis“ agiert der Spieler als Archäologin, die auf Malta nach einem verschollenen Professor sucht, der bei seinen Ausgrabungen dem Geheimnis der Tempelritter gefährlich nahe gekommen ist. Die Archäologin „begibt sich bei ihren Recherchen in tödliche Gefahr. Sind es Menschen, die sich ihr in den Weg stellen, oder eine übernatürliche Kraft?“ Seltsame Schriftzeichen müssen entschlüsselt, uralte Steine untersucht und das Rätsel einer merkwürdigen Sternenkonstellation gelöst werden. Zu den Aufgaben des Spielers gehört es, verkleidet als Ordensfrau durch den Vatikan zu schleichen und den Tresor eines Kardinals zu plündern.

Das Point & Click-Adventure „Belief & Betrayal“, zu deutsch „Glaube und Verrat“, spricht unverblümt davon, dass sich der Spieler „im sehr beliebten Kirchenverschwörungs-Szenario“ wiederfinden wird – mit einer „Jahrhunderte überspannenden Verschwörung“, geheimnisvollen Artefakten (ein aus den Silberlingen des Judas gefertigtes Medaillon, zwei Stofffetzen vom Kleid der Gottesmutter) und geschichtsträchtigen Schauplätzen. Das Spiel erlaubt seinem Käufer, den Apostolischen Palast in Rom zu betreten und an der Seite des vatikanischen Geheimdienstes gegen einen kirchlichen Geheimbund zu operieren. In gerenderten (animierten) Zwischensequenzen tauchen sogar Sportwagen mit den Autokennzeichen der Vatikanstadt auf. 



DIE HAND GOTTES

Eine neue „Qualität“ in den aktuellen Vatikan-Thrillern erfährt man durch Thore D. Jansens „Die Hand Gottes“. In der Werbung für die über fünfhundert Seiten starke Publikation liest man, dass es entstand, „um eines der letzten Tabus unserer Zeit zu lüften – die Verbrechen, die der Vatikan an der keltischen Elite beging, um die eigene Macht zu sichern“. In der Beschreibung des Buches heißt es: „Vor 1700 Jahren wurden die Kelten, die Meister der alten Welt, in einer grausamen Allianz zwischen Bischöfen und Kaisern vernichtet und der kulturelle Wettlauf der Menschheit entschieden. Doch kein Verbrechen läßt sich ewig verbergen.“

Thore D. Jansen schickt den „Heiler“ Adam Shane und ihm Gleichgesinnte zur Jagd auf den Vatikan, dem „Ursprung einer unglaublichen Serie von Verbrechen gegen die Menschlickeit“ (Seite 155 des Buches). Vor dem Obersten Gerichtshof der USA soll dem Papst und der Kirche der Prozess gemacht werden.



VATIKAN IM VISIER

In seinem Buch charakterisiert der Autor einen seiner Protoganisten, Ronald Mac Clary, den Vorsitzenden Richter am Supreme Court in Washington, mit den Worten: „Die Entstehungsgeschichte der Kirche ist für ihn so etwas wie die Gründungsgeschichte einer kriminellen Vereinigung. Diese Tatsache und alle Argumente dafür will er so unwiderlegbar dokumentieren, dass es die Öffentlichkeit endlich akzeptiert und der Vatikan seinen Einfluss verliert“ (S. 177).

Hier zeigt sich also des Pudels Kern. Der Roman ist ein Plädoyer, eine Kampfschrift gegen den Vatikan – und vielleicht ist seine neuheidnische Prägung nur ein Mittel zum Zweck. Das Bewerben des Buches in atheistisch und „humanistisch“ geprägten Kreisen lässt diese Vermutung aufkommen.



DER PAPST KOOPERIERT

Aber es gibt, Gott sei Dank, auch Vatikan-Thriller, die ohne die Ingredienz von uralten Mythen und ohne die Dominanz billiger Polemik gegen die katholische Kirche auskommen. Der amerikanische Bestsellerautor Daniel Silva, ein langjähriger Auslandskorrespondent des Fernsehsenders CNN, lässt in einer Reihe seiner zahlreichen Romanveröffentlichungen den israelischen Geheimagenten Gabriel Allon agieren. Die actionreichen Abenteuer des Agenten führen auch in den Vatikan – und lassen Gabriel Allon sogar mit dem Papst höchstpersönlich zusammenarbeiten. Silva zeigt eindrucksvoll, dass man auf Verschwörungen – auch innerkirchliche – nicht zu verzichten braucht, und dass sie durchaus den Leser in atemlose Spannung versetzen, ohne aus kruden Phantasien schöpfen zu müssen.



ILLUMINATI UND ANTIMATERIE-BOMBE

Manchmal fällt die Verfilmung eines Romans besser aus als das gedruckte Original. Im Mai 2009 lief in den USA Ron Howards „Angels & Demons“ an; in Deutschland kam er unter dem Titel „Illuminati“ in die Kinosäle. In dem Hollywoodspektakel, das auf dem gleichnamigen Buch von Dan Brown basiert, wird der Vatikan von einer Verschwörung bedroht, hinter der die Illuminaten vermutet werden; die Petersbasilika und die Vatikanstadt sollen durch eine Antimaterie-Bombe ausgelöscht werden.

Mit einem ungeheuren Kostenaufwand entstanden auf dem Gelände der Tri-Star Studios in Los Angeles Teile des Petersplatzes und der Fassade von Sankt Peter. Die beiden Sicherheitsdienste des Vatikans, die Päpstliche Schweizergarde und das Gendarmeriekorps, wurden in der Verfilmung überraschend positiv dargestellt. Kirchliche Proteste gegen den Film gab es kaum. Der „Osservatore Romano“ empfand den Film als „eine harmlose Unterhaltung“ und kommentierte: „Das Thema ist immer dasselbe, eine Sekte gegen die Kirche; und dieses Mal ist die Kirche auf der Seite der Guten.“



DEUTSCHE SERIEN ÜBERZEUGEN NICHT

Deutsche Fernsehsender konnten weniger mit ihren im Herzen der katholischen Christenheit angesiedelten Produktionen punkten. Ab Mai 2008 strahlte das ZDF die Serie „Ihr Auftrag, Pater Castell!“ aus. Im Mittelpunkt der Folgen stand der Sonderbeauftragte des Vatikans, ein Jesuitenpater, der gemeinsam mit einer Ermittlerin des bayerischen Landeskriminalamtes schwierige Mordfälle im kirchlichen Milieu lösen musste. Trotz kirchlicher Unterstützung und Werbung konnten die Episoden nicht überzeugen. Bei Schweizergardisten, die sich mit ihrer Erfahrung die „Fälle“ anschauten, lösten sie ein bemitleidendes Lächeln aus.



JUNGER KAMPFMÖNCH

Noch wirklichkeitsfremder war die Action-Serie „Lasko – Die Faust Gottes“. RTL und ORF schickten von 2008 bis 2010 einen jungen Kampfmönch ins Rennen. Lasko und seine Mitbrüder aus dem Orden „Pugnus Dei“ (Die Faust Gottes) kämpften mit halsbrecherischen Stunteinlagen gegen die Unterwanderung des Vatikans durch eine Loge. „Schwurbel-Esoterik, ein Geheimorden mit dem bescheuerten Namen Pugnus Dei, gotische Gewölbe und eine amtliche Verschwörung, natürlich im Vatikan – klingt nach einem Quotenrenner“, spottete die Kritik. Als die Serie im italienischen Fernsehen lief, waren es diesmal die päpstlichen Gendarmen, die über die wehrhaften Ordensmänner und eine fiktive weibliche Vatikan-Polizistin schmunzeln durften.

Im Sommer 2011 wunderten sich die Leser des „Osservatore Romano“ über einen Artikel seines Chefredakteurs Gian Maria Vian. Die Zeitung des Papstes lobte die Vatikanromane, die aus der Feder des australischen Schriftstellers Morris L. West stammen. Der bekennende Katholik brachte spannende Literatur zuwege, die sich kritisch, aber fair mit der Kirche und dem Vatikan auseinandersetzte.



KLERIKER IM FREIEN FALL

Wer den Beitrag im „Osservatore Romano“ aufmerksam las, konnte in ihm nicht nur das Lob auf einen bedeutenden zeitgenössischen Autor entnehmen, sondern auch die Aufforderung, das weite Feld und breite Spektrum der Kirchenkrimis nicht allein den Gegnern des christlichen Glaubens zu überlassen.

Im deutschsprachigen Raum sind seit einiger Zeit vielversprechende Pflänzlein auszumachen, so Paul Baldaufs „Kleriker im freien Fall“, Steffen Mohrs „Himmlische Kriminalfälle“ und Ralph Sanders „Kater Brown und die Klostermorde“. Noch beschränken sich diese und andere solide Geschichten auf deutsche Bistümer und Klöster. Aber vielleicht wagt sich ein Autor in naher Zukunft einmal entschlossen und tapfer an die Gestade des Tiber.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016