Wie beugt ein Kardinal sein Knie

21. Dezember 2010 | von

Als historischer und theologischer Berater begleitete unser Autor die Dreharbeiten zu dem Fernsehzweiteiler „Gottes mächtige Dienerin“ und erklärte der Filmcrew, wie man sich in klerikalen Kreisen korrekt kleidet und bewegt. Die deutsch-italienische Produktion erzählt die Geschichte der bayerischen Ordensfrau Pascalina Lehnert, die 40 Jahre lang Papst Pius XII. den Haushalt führte. Der Vatikanexperte genoss seinen Ausflug in die Filmwelt und war besonders beeindruckt von der Wandlungsfähigkeit der Hauptdarstellerin Christine Neubauer: Sie verkörpert für ihn vollkommen die resolute Nonne.



Der Anruf kam Anfang 2009. „Haben Sie Lust darauf, unser Filmprojekt als historischer Berater zu begleiten?“, erkundigte sich Marcus O. Rosenmüller. Der deutsche Filmemacher, der in den vergangenen Jahren sowohl öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten als auch Privatsendern Quotenhits bescherte, plante Martha Schads „Gottes mächtige Dienerin“ in Szene zu setzen. Martha Schads Biografie der bayerischen Ordensschwester Pascalina Lehnert, die über vier Jahrzehnte Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. (1939-1958), als Haushälterin und Privatsekretärin hilfreich zur Seite gestanden hatte, sollte für die ARD verfilmt werden. Ja, ich hatte Lust darauf, an dem Projekt mitzuwirken, sogar große Lust, und sagte deshalb zu. Aber schon beim Auflegen des Telefonhörers ahnte ich, dass alles nicht so einfach werden würde. Wenige Tage später bekam ich das Drehbuch. Ich las es, machte die notwendigen Korrekturen und schlug eine Reihe von Änderungen vor.

Die Arbeit verlief zunächst in ruhigen Bahnen, dann aber setzte ein doch recht lebhafter Informationsaustausch ein. Neben dem Regisseur war es vor allem die Kostümdesignerin, die mich immer wieder kontaktierte, via Email oder per Telefon. Mit der Zeit wurde es nötig, dass ich mich mit Mirjam Muschel, die an vielen internationalen Produktionen mitgewirkt hatte, persönlich traf. Unser Treffen begann vormittags in einem Cafe meiner Heimatstadt. Wir wälzten dicke Fotobände und tauschten über die mitgebrachten Notebooks Bilder aus: Aufnahmen von Papstgewändern, Kardinalsroben, Ordenstrachten und Uniformen päpstlicher Soldaten.

Ich versuchte zu skizzieren, was wann und wie zu tragen sei. Die römische „Kostümwelt“ sei unglaublich interessant, gestand mir Mirjam Muschel. Vom Cafe wechselten wir ins Restaurant, natürlich in ein italienisches. Auch der mittägliche Imbiss wurde zum reinen Arbeitsessen – die vorzüglichen scaloppine al limone und der erfrischende Tropfen aus den Castelli Romani erfuhren nicht die notwendige Wertschätzung. Durch ein detailliertes Auflisten der erforderlichen Gewänder erkannten wir bald, dass uns der Bestand der römischen Kostümverleihe und das Budget der Produktionsfirma Grenzen setzen würden. Nach einem erneuten Umzug ins Cafe bemühten wir uns, gestärkt von koffeinhaltigen Getränken und der Zuführung von vielen Litern Mineralwasser, um Problemlösungen. Am späten Nachmittag stand für uns fest, dass man das Budget für die Kostüme voll ausschöpfen müsse, ja um eine Aufstockung nicht umhin käme.



Warm-up in Wuppertal

Mitte August begannen in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen die Dreharbeiten. Die Location-Scouts der Produktionsfirma waren fündig geworden und hatten in Wuppertal und Krefeld ideale Sets ausgemacht – Villen, Säle und Bahnhöfe, die es in München und Berlin, den Städten, in denen Eugenio Pacelli als Apostolischer Nuntius gewirkt hatte, so nicht mehr gab. Die leerstehende Gründerzeitvilla eines Industriellen wurde zur fahnengeschmückten Residenz des päpstlichen Gesandten, ein alter Vorstadtbahnhof verwandelte sich in den Hauptstadtbahnhof „Berlin-Tiergarten“. Beim Warm-up-Abend in Wuppertal trafen sich erstmals Crew und Cast des Films. „Ah, Sie sind der, der alles weiß, und die Produktionskosten in die Höhe treibt“, begrüßte mich der Executive Producer, der ausführende Produzent. „Lassen Sie sich nicht ärgern“, flüsterte mir eine der Schauspielerinnen zu und drückte mir aufmunternd ein Glas Sekt in die Hand. Ich hatte mich gefragt, wie man mir begegnen würde. Ein Theologe, katholisch, und dann noch jemand, der sich hauptsächlich mit dem Vatikan beschäftigte. Konflikte, zumindest kritische Distanz, schienen vorprogrammiert. Doch ich konnte aufatmen. Mir wurde schnell klar, dass man vor allem neugierig auf mich war – und mich mit Fragen löcherte. Ressentiments bekam ich nicht zu spüren.



Etikette am Päpstlichen Hof

Marcus Rosenmüller bat mich, mit der Besetzung „religiöse Gesten“ (Kreuzzeichen, Gebetshaltung) und die „Etikette am Päpstlichen Hof“ (Kniefall, Ringkuss, Körperhaltung, militärische Ehrenbezeugungen) zu besprechen und einzuüben. Die Scheu davor, so renommierten internationalen Schauspielern wie Christine Neubauer und Remo Girone gegenüberzutreten, verlor ich bald; beide machten mir die Zusammenarbeit leicht und angenehm.

Remo Girone begegnete ich mit gebotener Ehrfurcht: Zu der Zeit, als ich in den Achtziger Jahren in Rom studierte, sah man sein Gesicht ständig auf dem Bildschirm, zunächst in Italien, dann auch in Deutschland. In der Serie „Allein gegen die Mafia“ brillierte er in der Rolle des Tano Carridi als eiskalter, berechnender und angsteinflößender Bankier des Organisierten Verbrechens. Remo Girone ist durch und durch ein Profi. Meine Anwesenheit am Set nutzte er hemmungslos aus. Jede Bewegung und Mimik als Nuntius, Kardinal und Papst wollte er von dem vaticanista, dem Vatikanexperten, bestätigt wissen. In den Drehpausen sprach ich mit ihm, im wahrsten Sinne des Wortes, über Gott und die Welt – und den Vatikan. Der Schauspieler hatte wenige Monate zuvor in den Vatikanischen Museen eine Lesung gehalten. Das Honorar sei eine Pontifikatsmedaille gewesen, berichtete er schmunzelnd.

 

Paraderolle fürs Vollweib

Christine Neubauer ist eine der meist beschäftigten Schauspielerinnen im deutschen Sprachraum. Als bekannt wurde, dass die Rolle der Pascalina mit ihr besetzt würde, reagierte man in den Medien verblüfft. „Das Vollweib als Nonne“, titelte ein bekanntes Boulevardblatt. Eine Redakteurin von Radio Vatikan fragte mich unverblümt, wie man denn auf diese Besetzung gekommen sei. Auch ich hatte mich zunächst gewundert und darüber nachgedacht, ob man hier wohl die rechte Wahl getroffen habe. Doch als ich Christine Neubauer im Habit vor der Kamera agieren sah, erschrak ich und glaubte, die resolute Ordensfrau, welche im Vatikan die Einschätzung von Frauen als schwachem Geschlecht Lügen gestraft hatte, leibhaftig vor mir zu sehen. Alle Schauspieler erwiesen sich als unglaublich gut vorbereitet. Sie hatten sich in die entsprechende Literatur eingelesen und eine beträchtliche Reihe „kirchlicher“ DVDs am heimischen Fernseher konsumiert. Viele, die in die Rolle von Ordensfrauen schlüpfen mussten, waren für ein oder mehrere Tage in Klöstern vorstellig geworden, um sich über ihre „Mitschwestern“ zu informieren. In ihrem Habit waren sie von echten Nonnen kaum mehr zu unterscheiden, nur noch dann, wenn sie in den Pausen genüsslich an einer Zigarette zogen oder eine Cola Light schlürften.

Mit dem Regisseur besprach ich ausführlich die Szenen, die in Rom und Umgebung gefilmt würden – die relativ lange Drehzeit, die hierfür vorgesehen war, machte es mir unmöglich, am dortigen Set immer präsent zu sein. Bis oft nach Mitternacht diskutierten wir in der Hotellounge bei kalter Pizza und alkoholfreiem Bier die komplizierten Szenen im Vatikan. Alles sollte so nah wie möglich am Original sein, Authentizität vermitteln. Was so einfach klingt, ist aber oft sehr schwer – und manchmal nur bedingt – umsetzbar.



Kein Dreh am Petersplatz 

„Gottes mächtige Dienerin“ wird als Zweiteiler (mit jeweils 90 Minuten Spielfilmlänge) im Abendprogramm der ARD laufen, und zwar zur besten Sendezeit. Das heißt: Die Geschichte, die der Film erzählt, muss verständlich und spannend „herüberkommen“. Von den Hürden, die der Streifen beim Drehen zu nehmen hat, darf der Zuschauer später nichts mitbekommen. Aber diese Hürden machten einen Parcours mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad aus.     

Dreharbeiten im Apostolischen Palast, auf dem Petersplatz oder in der Sixtinischen Kapelle waren von vornherein kein Thema – nicht etwa, weil der Vatikan sich diesen kategorisch verweigert hätte, sondern weil sie schlicht und einfach aus technischen Gründen nicht realisierbar sind. Die Vorzimmer des Papstes, die Piazza S. Pietro und die Sixtina sind täglich „in Gebrauch“ und können für Filmaufnahmen nicht einmal stundenweise gesperrt werden. Zudem entsprechen die Audienz- und Wohnräume Benedikts XVI. nicht denjenigen aus den Pontifikaten Pius’ XI. und Pius’ XII., die heutige Sixtina erstrahlt in damals unbekannter Farbenpracht und der Petersplatz zeigt sich durch die Absperrungen und Bestuhlung für die wöchentlichen Generalaudienzen als hoffungslos verbaut.



Gelungenes Wagnis

Die Produktionsfirma hatte von vornherein nach geeigneten Ersatzdrehorten Ausschau gehalten und sie auch gefunden. Für einige computergenerierte Szenen waren jedoch Standfotos von der Zentralloggia der Peterskirche und aus einem Fenster des Apostolischen Palastes nötig. Hier halfen diskrete Telefonanrufe, um von den Verantwortlichen im Vatikan die entsprechende Erlaubnis zu erhalten. Einer „Promotion“, wie sie die Produzenten von Dan Browns Vatikan-Thriller „Illuminati“ geschickt angelegt hatten, bedurfte man nicht. Ein vorgebliches Ansuchen an die Diözese Rom, in den Kirchen der Stadt drehen zu dürfen, war damals wie erwartet abgelehnt worden. „Für gewöhnlich lesen wir erst einmal die Drehbücher durch“, hatte Don Marco Fibbi vom Pressebüro der Diözese den Medien bekannt gegeben, „aber diesmal reichte ein Namen: Dan Brown. „Kreuzzug gegen Dan Brown“, „Der Vatikan sperrt ‚Illuminati’-Team aus“, berichteten die Zeitungen prompt. Don Marco war in die Falle getappt – und bescherte dem Film kostenlose und effiziente Werbung sowie der Kirche einen vermeidbar gewesenen Imageschaden.

Die Biografie einer Ordensfrau in einem Fernsehfilm darzustellen, ist an sich schon ein gewagtes Unternehmen. Wenn aber dann noch der Großteil der Szenen in einer Apostolischen Nuntiatur und im Vatikan selbst spielt und zudem in einer kontrovers diskutierten Zeitepoche abläuft, ist von allen Beteiligten eine gehörige Portion Mut und viel Engagement gefordert. In einem sehr weltlichen und der Kirche oft äußerst negativ gegenüberstehenden Medium ein Thema mit durch und durch religiösem Hintergrund zu präsentieren, ist ungewöhnlich, schwierig, aber durchaus machbar. Bei der Arbeit an einem solchen Projekt ideologiefrei, sachlich zu argumentieren und offene, freund(schaft)-liche Gespräche zu führen, ist oberstes Gebot.

Vor allem heißt es, sich selbst als Experte vernünftig und bescheiden in das Entstehen des Films einzubringen und Kompromisse einzugehen. Die große Zahl der an ihm Beteiligten, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Fähigkeiten und produktionsbedingte Umstände erfordern dies. Denn schließlich sollen die Zuschauer bei der Ausstrahlung zu Ostern 2011 den Fernseher nicht vorzeitig ausschalten oder zu einem anderen Programm wechseln. Mit besonderem Interesse werden wohl die Sendbotenleser den Zweiteiler verfolgen, nachdem sie mit dem Vatikankenner einen Blick hinter die Kulissen werfen durften.



„Gottes mächtige Dienerin“ beschreibt den Lebensweg von Pascalina Josefine Lehnert (1894-1983). Die aus Bayern stammende Ordensfrau wurde als Haushälterin an die Apostolischen Nuntiaturen in München und Berlin berufen und stand dort dem damaligen diplomatischen Vertreter des Heiligen Stuhls, Mons. Eugenio Pacelli, hilfreich zur Seite. 1930 folgte sie ihm, der mittlerweile zum Kardinalstaatssekretär ernannt worden war, nach Rom. Als Eugenio Pacelli 1939 den Stuhl des heiligen Petrus bestieg, übernahm sie den Haushalt des Papstes im Apostolischen Palast und verblieb dort bis zum Tode des Pontifex im Jahre 1958.

„Madre Pascalina“ war mehr als eine Haushälterin, ihrem Dienstherrn half sie auch bei der Erledigung der Korrespondenz. Das Vertrauen des Papstes in die Ordensschwester war so groß, dass er ihr schon in den Kriegsjahren die Führung eines Hilfswerkes übertrug. Am 13. November 1983 verstarb Pascalina Lehnert. In seiner Predigt zum 10. Todestag von Schwester Pascalina zeichnete Kardinal Josef Ratzinger ein Bild der bayerischen Ordensfrau, die ihr Leben ganz in den Dienst Papst Pius’ XII. gestellt hatte. Madre Pascalina Lehnert habe es „als Haushälterin und Sekretärin durch ihre praktische, nüchterne Art verstanden, für Pius XII. den menschlichen Lebensraum zu schaffen, den er brauchte, um seiner Aufgabe in einer schwierigen Zeit gerecht werden zu können“, so der heutige Papst.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016