Würdevolles Leben bis zuletzt
Die Chefärztin der Abteilung für Palliativmedizin am Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt macht vertraut mit einer Einrichtung der aktiven Lebenshilfe, in der schwerkranke Menschen mit einer begrenzten Lebenserwartung gepflegt und menschlich begleitet werden.
Palliativ kommt vom lateinischen Wort pallium, es bedeutet Mantel. Wie ein Mantel umgibt die Palliativmedizin den schwerkranken Menschen und sorgt sich auch um seine Angehörigen und Freunde. Palliativmedizin ist die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten, die an einer fortschreitenden Erkrankung mit einer begrenzten Lebenserwartung leiden. Hierbei besitzt die Beherrschung von Krankheitsbeschwerden und die psychologische, soziale und seelsorgerische Betreuung höchste Priorität.
VERBESSERUNG DER LEBENSQUALITÄT
Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung des Leidens mittels frühzeitiger Erkennung und korrekter Beurteilung, sowie der Behandlung von Schmerzen und anderen Beschwerden körperlicher, psychologischer und spiritueller Art.
Medizinische, pflegerische, therapeutische und menschliche Zuwendung sollen ein würdevolles Leben bis zuletzt ermöglichen. Die Behandlung mit dem Ziel der Heilung weicht der Behandlung mit dem Ziel der Linderung. Die Konzentration ist auf den ganzen Menschen gerichtet, der an einer Krankheit leidet, und nicht allein auf die Krankheit. Der Patient steht als Mensch im Mittelpunkt, als Einheit mit physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen. Trotz inkurabler Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung: Lebensqualität für die verbleibende Lebenszeit ist das Ziel.
HOSPIZ-IDEE ALS BASIS
Die Palliativmedizin basiert auf der Hospizidee, die das Sterben als einen natürlichen, zum Leben gehörenden Prozess betrachtet. Patienten sollen in dieser für sie schweren Lebensphase mit all ihren Bedürfnissen würdevoll begleitet werden.
Hier einige Daten zur Entwicklung der modernen Palliativmedizin: Cicerley Saunders eröffnet 1967 das erste Hospiz, das St. Christopher Hospiz in London. 1983 wird in Deutschland die erste Palliativstation an der Universität in Köln eröffnet. 1993 fördert die Bundesregierung pro Bundesland eine Palliativstation. 1994 wird die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin gegründet. 2014 gibt es in Deutschland über 180 Palliativstationen und über 160 Hospize.
MENSCHLICHE BEGLEITUNG
Aufgaben der Palliativmedizin sind die Linderung der Symptome durch ganzheitliche medizinische und pflegerische Betreuung und Beratung, die Unterstützung von Familie und Freunden, die Kontaktherstellung zu ehrenamtlichen Hospizhelfern, die Vorbereitung einer sicheren Entlassung, die Betreuung von Patienten in der Sterbephase und die Begleitung der Angehörigen in der Trauer. Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Ängste schränken den Patienten ein. Sie bringen ihn und sein soziales Umfeld an persönliche Grenzen.
Es geht um die Behandlung und menschliche Begleitung in diesen Grenzsituationen. Oftmals ist es die Angst und die Befürchtung vor unerträglichen Schmerzen. Bis zu 90 Prozent der Tumorpatienten benötigen eine palliative Behandlung im Rahmen einer Schmerztherapie oder Symptomkontrolle und erfahren dadurch eine deutliche Verbesserung ihrer
Lebensqualität.
Weitere Symptome, die gelindert werden können, sind Atemnot, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation oder Diarrhoe, Inappetenz, Schwäche und Mundtrockenheit. Diese Beschwerden treten im Rahmen einer nicht mehr heilbaren Krankheit auf und werden häufig zu einer eigenen Erkrankung.
OFFENHEIT UND WAHRHAFTIGKEIT
Es gibt oftmals seelische Reaktionen auf eine schwere Erkrankung. Die Hoffnung auf Heilung schwindet. Körperliche Kräfte lassen nach. Beschwerden nehmen zu. Es ist eine Ahnung des nahenden Todes im Raum. Fragen und Ängste beschäftigen Patient und Angehörige gleichermaßen. Bei vielen Patienten erfolgt ein Rückblick auf das bisherige Leben, der Wunsch nach Regelung von Unerledigtem. Ausdruck der seelischen Reaktion auf eine schwere Erkrankung kann Niedergeschlagenheit, Rückzug, Aggressivität und körperlicher Schmerz als Ausdruck des seelischen Schmerzes sein.
Offenheit und Wahrhaftigkeit sind die Grundlage für das Vertrauensverhältnis unter allen Beteiligten. Der Tod wird weder beschleunigt noch hinausgezögert.
Um Palliativpatienten ganzheitlich begleiten zu können, braucht es ein multiprofessionelles Team, bestehend aus Arzt/Ärztin, Pflegekräften, Seelsorger/-innen, Brückenpflegeteam, Physiotherapeut/-in, Hauswirtschaftshelferinnen, Kunst-/Musiktherapeutinnen, Hospizhelfer/-innen.
GANZHEITLICHE PFLEGE
Die Aufgabe der speziell in palliative care ausgebildeten Pflegekräfte ist die ganzheitliche Pflege mit viel Phantasie und Kreativität, nach den Bedürfnissen des Patienten gestaltet, mit intensivem Kontakt zu Patient und seinen Angehörigen.
Die Aufgabe der Physiotherapeuten ist es, Körper- und Organfunktionen positiv zu beeinflussen. Dies kann durch aktive und passive Mobilisation, Entspannung, Körperwahrnehmung, Atemtherapie, Massagen, Lymphdrainagen und Akupressur geschehen.
Aufgabe der Brückenpflege ist die Vorbereitung von Aufnahme und Entlassung, die vor- und nachstationäre Beratung und die Öffentlichkeitsarbeit.
AKTIVE LEBENSHILFE
In der Palliativmedizin geht es um aktive Lebenshilfe. Sterben und Tod werden weder beschleunigt noch hinausgezögert. Diese Art von Begleitung kann eine Antwort sein auf die viel diskutierte aktive Sterbehilfe und den Suizid.
Auch die Trauerbegleitung hat ihren Platz auf der Palliativstation. Da ist die Trauer über das Lebensende, das Zurücklassen der Angehörigen, unerfüllte Hoffnungen und Wünsche, unerledigte und nicht erlebte Dinge, den Verlust. Es geht darum, der Trauer Raum zu geben und die Trauer miteinander zu teilen. Die Begleitung der Angehörigen erfolgt auch über den Tod des Patienten hinaus.
Man kann mit einem Mantel nicht den Winter ändern und mit der Palliativmedizin die Krankheit nicht zur Heilung bringen. Wenn aber diese Menschen bestmöglich betreut sind, dann hilft es, dass das Leben wieder lebenswert ist – bis zum letzten Atemzug!