Wunden – nicht ohne Wirkung

25. November 2024 | von

Mit mehreren Beiträgen haben wir das Stigmata-Jubiläum im Laufe des Jahres 2024 bereits gewürdigt. Abschließend ein Bericht von einem Studientag zu diesem Anlass im Konvent Würzburg.

Im Jahr 1224 – um das Fest Kreuzerhöhung – hielt sich Franz von Assisi für mehrere Wochen in der Toskana auf dem Berg La Verna auf. Hierher hatte er sich zu Fasten, Gebet und Meditation zurückgezogen. In dieser Atmosphäre größtmöglicher Nähe zu Gott wurden ihm die Wundmale geschenkt. Selbst spricht er nie darüber, doch aufgrund zahlreicher Zeugnisse geht er, wie Niklaus Kuster OFM Cap. feststellt, „als erster Mystiker in die Geschichte ein, von dem das unerklärliche Phänomen der Stigmata zweifelsfrei bezeugt ist.“
Dieses Ereignis fasziniert bis heute, und die franziskanische Familie feiert in diesem Jahr „800 Jahre Stigmata“. Die Oberzeller Franziskanerinnen und die Franziskaner-Minoriten haben dieses Jubiläum am 17. September mit einem Studientag gewürdigt. Viele interessierte Zuhörer/innen – unter ihnen auch der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung und der emeritierte Weihbischof Ulrich Boom – kamen ins Würzburger Minoritenkloster, um sich mit Vorträgen und Impulsen mit diesem Teil franziskanischer Spiritualität tiefer auseinanderzusetzen. Der Studientag bot die Möglichkeit, Franziskus’ radikalen Weg der Nachfolge Christi neu zu entdecken – verbunden mit der Einladung, eigene Verwundbarkeit zuzulassen.

Wunderbar und rätselhaft
Br. Andreas Murk, Provinzialminister der Provinz St. Elisabeth, gab im ersten Vortrag des Tages unter der Überschrift „Wunderbar und rätselhaft“ einen Überblick über das Phänomen der Stigmata. Er blickte in die franziskanische Quellenlage, die laut dem Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter „außerordentlich beweiskräftig“ ist. Dennoch gab es offensichtlich schon kurz nach dem Tod Zweifel, ob die Stigmata des Heiligen echt oder vielleicht doch nur eine Erfindung seien. Aus der wissenschaftlichen Forschung präsentierte Br. Andreas verschiedene Erklärungs- und Interpretationsmodelle, die es auch dem modernen Menschen ermöglichen könnten, an die Tatsächlichkeit der Stigmata zu glauben. Mit dem französischen Historiker André Vauchez kann gesagt werden: „Die Wundmale sind das physische Zeichen einer inneren Erschütterung, die ihre Wurzeln in der leidenschaftlichen Verehrung des Kreuzes durch Franziskus und in seinem inbrünstigen Wunsch hat, selbst an den Leiden Christi teilzuhaben.“ Damit werden sie zum Ausdruck der innigen Gott-Beziehung des hl. Franziskus.

Wunden, die bleiben
In der anschließenden Vesper versuchte der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung eine geistliche Deutung der Stigmata des hl. Franziskus. Er betonte, dass Wunden „auf die offenen Wunden der versehrten Menschheit verweisen, auch wenn wir diese gerne ausblenden und nicht wahrhaben wollen.“ Er ermutigte dazu, die Wunden wahrzunehmen und sie in einem Akt gemeinsamer Solidarität zu heilen. Bischof Franz machte aber auch deutlich, dass es Wunden gibt, die bleiben: „So bleibt die Einladung, sich in seinen Wunden zu bergen, wie sich auch der stigmatisierte Franziskus in den Wunden des Herrn geborgen hat, um in Christus ganz heil zu werden.“ Die Vesper wurde von Radio Horeb live im Radio übertragen und erreichte deutlich über 200.000 Zuhörende.
Nach einem kurzen Imbiss, zu dem die Brüder im Kreuzgang eingeladen hatten, referierte Sr. Dr. Katharina Ganz, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, unter dem Titel „Verwundet und verwundbar. Franziskanische Impulse für eine ‚schwache Theologie‘“. Sie verglich das heutige Streben nach Unsterblichkeit in der Technologie (z.B. durch Persönlichkeiten wie Mark Zuckerberg) mit dem christlichen Glauben, der die menschliche Sterblichkeit und Verletzlichkeit akzeptiert. Franz von Assisi habe einen tiefgreifenden Wandel erlebt von einem jungen, ehrgeizigen Mann hin zu einem Demütigen, der sich den Armen zuwandte. 

Gott: Identifiziert mit den Schwachen
Seine Abkehr von weltlichen Besitztümern sowie seine Kompromisslosigkeit in der Nachfolge Christi machten ihn zu einem Außenseiter, in der Gesellschaft wie auch in der Kirche. Seine Stigmata symbolisierten nicht nur physische Wunden, sondern auch seine tiefe Verbindung zu den Verwundeten und Ausgegrenzten seiner Zeit. Sr. Katharina hob hervor, dass Franziskus als eine Figur der „schwachen Theologie“ verstanden werden kann, einer Theologie, die Gott nicht als allmächtig und distanziert sieht, sondern als mitleidenden Gott, der sich mit den Schwachen identifiziert.
Die Wundmale Jesu seien zudem eine doppelte Spiegelung: „Beim Betrachten der Wunden Jesu können wir wie in einem Spiegel unser eigenes Leid sehen. In den Wunden des Gekreuzigten sind auch unsere Nöte und Sorgen gut aufgehoben. Wir dürfen sie an das Kreuz heften, an das sich Jesus hat annageln lassen.“ Bewusst in den Spiegel des Kreuzes Jesu zu schauen, könne die Menschen sensibler und einfühlsamer machen. „Es kann unser Mitgefühl wecken und unsere Solidarität fördern mit Menschen, die heute in den Sackgassen des Lebens gefangen sind, die nicht mehr aus noch ein wissen, die sich danach sehnen, dass jemand ihr Kreuz mitträgt, ihre Wunden aushält und verbindet, Gesten der Menschlichkeit zeigt und auch in den schlimmsten Situationen nicht von ihrer Seite weicht.“ In der Nachfolge Christi und in der Spur des hl. Franziskus unterwegs zu sein, heißt also, die eigene Verwundbarkeit anzuerkennen und sich selbst verwunden zu lassen. Nicht, weil das so schön wäre, sondern weil es ein Weg der Menschwerdung ist.
Am Ende eines gelungenen Studientages dankte Br. Andreas allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen und verwies mit einem Schmunzeln darauf, dass es ja in den nächsten Jahren noch weitere franziskanische Jubiläen gäbe, für die man ähnliche Veranstaltungen anbieten könne.

Zuletzt aktualisiert: 25. November 2024
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