Zehn Grundhaltungen und Grunderfahrungen

17. Juni 2019 | von

Ein prominenter Autor aus dem Gebiet der franziskanischen Spiritualität hat erfreulicherweise zugesagt, für den Sendboten künftig die Reihe zur „Franziskanischen Spiritualität“ zu gestalten. Freuen Sie sich mit uns über den ersten Beitrag des Schweizer Kapuziners Niklaus Kuster!

Es freut und ehrt mich, als Franziskusforscher in die Nachfolge von Anselm Kraus zu treten und diese Seiten künftig zu gestalten. Mein erster Beitrag zielt etwas verspielt auf Grundlegendes. Vor Jahren war ich im Kloster Oberzell eingeladen, das Franziskanische in einer Festpredigt zu skizzieren. Ich buchstabierte dazu den Namen Franziskus. Das tue ich hier erneut. Die Beiträge der nächsten zehn Hefte werden Raum geben, auf jede dieser Grundhaltungen näher einzugehen.

F – wie Freude am Leben
Franziskus war kein Kind von Traurigkeit. Er wächst auf der Sonnenseite seiner Stadt auf, privilegiert, sorglos und mit besten Perspektiven. Er wird Kaufmann, Modeexperte, Mitglied der führenden Zunft. Anders als sein Vater, gibt er das verdiente Geld auch gern aus. Ein Sunnyboy voller Lebensfreude, erfolgreich auf den Märkten, umschwärmt bei nächtlichen Festen. Und von Gott zunächst noch keine Spur: „Ich habe gelebt, als ob es Gott nicht gäbe“, schreibt er im Testament. Es geht zwanzig Jahre gut ohne echte Gottesbeziehung! Und Gott hat Geduld: Er kann warten, bis Menschen ihn suchen. Ist das nicht tröstlich in einer Zeit, in der Viele das Leben religiös unmusikalisch genießen? Der junge Kaufmann wird durch Krieg und Krankheit erschüttert. Doch er findet seine Lebensfreude auf dem Weg seiner Berufung wieder. Als Spielmann und Sänger Gottes wird er die Herzen von Tausenden gewinnen: für eine tiefgründige Freude am Leben, die sich nicht beruflichem Erfolg und gelungenen Festen verdankt.

R – wie Risiko
Ins Leben verliebt, hat der junge Mann auch ehrgeizige Ziele und träumt von sozialem Aufstieg. R wie Ritterträume! Als neureicher Sohn zur führenden Zunft zu gehören, genügt ihm nicht. Er will in die soziale Spitze und kulturelle Elite aufsteigen. Träume zu träumen reicht nicht. Um seine Träume zu realisieren, zieht der 20-Jährige in den Kampf. Ritterträume suchen Ruhm durch Risiko! Es ist gut, Träume zuzulassen, denn sie sagen uns, dass mehr möglich ist als das, was wir aktuell leben! Es ist gut, Sehnsucht ernstzunehmen. Franziskus erlebt zunächst ein Debakel, in dem seine Träume zerbrechen. Er wird auch danach Risiken eingehen: in der Enterbung materiell, in der Gründung der Bruderschaft personell, in Friedensmissionen existenziell. Er wird darüber staunen lernen, wieviel Risiko Gott auf sich nahm, als er selber Mensch wurde.

A – wie Abstieg und Armut
Statt Aufstieg erlebt Franziskus in der Schlacht am Tiber einen tiefen Absturz! Statt Erfolg ein dunkles Loch in Kriegsgefangenschaft. Statt Sieg Angst! Statt Jubel mit Freunden der Terror der Feinde! Ein ganzes Jahr dauert die Kerkerhaft in Perugia. In einen Keller gesperrt, wird das Lichtkind krank. Als man ihn nach einem Jahr in seine Heimatstadt zurückkarrt, sind die politischen Freiheiten, die er als 16-Jähriger mit erkämpft hatte, dahin. Und das Leben am Abgrund geht weiter: Weder das Geld des Vaters, noch die Sorge der Mutter und die ärztliche Kunst helfen dem Schwerkranken. Der Absturz weckt Franziskus‘ Seele: Er wird sensibel für die Gesichter der Armut in der Stadt und vor ihren Mauern. Und er wird jene, die sich ihm anschließen wollen, zu den Aussätzigen schicken: Weil Gott selber sich ihm da überraschend nahe gezeigt hat: Ein Gott, der menschliche Armut aus eigener Erfahrung kennt und die Ärmsten seine liebsten Geschwister nennt.

N – wie Nacktheit
Zunächst kehrt der genesene Kaufmann zurück ins Geschäft und zu Festen – und erschrickt: Job und Freizeit sind nur scheinbar wieder lichtvoll. Die Stadt und das Leben verlieren ihre Farben. Franziskus stellt sich bedrängenden Fragen in seiner Seele: Wozu dienen schöne Kleider, wenn du innerlich nackt bist? Was nützen alle Erfolge, wenn das Leben plötzlich an einem Faden hängt? Was helfen Trinklieder, die deinen Durst nach Lebensinn nicht stillen? Was helfen viele Freunde, wenn du mit ihnen nicht über innere Nöte sprechen kannst?
N – wie no future! Franziskus entdeckt Assisis Schattenseiten, das Leben der Menschen, die um ihre nackte Existenz kämpfen. Als er zwei Jahre später nackt vor Vater und Bischof steht, zieht er die Konsequenz aus dieser Erfahrung: Er bricht mit einer Stadt, in der es Wenigen auf Kosten Vieler gut geht und mit einem Leben, in dem Vieles nur äußerlich glänzt und innerlich leer ist.

Z – wie Zeit
Franziskus steigt aus, ohne zu wissen, wie sein Weg weitergeht. Aussteigen braucht Mut und ist erst die halbe Lösung. Er wird Zeit brauchen und sich gedulden müssen, bis er seinen neuen Lebenssinn findet. Zwei Jahre verbringt er als Einsiedler mit Randständigen in San Damiano und erneuert das Landkirchlein. Sechs Jahre sind es seit der Schlacht am Tiber, als er den Auftrag erkennt, mit dem Christus ihn in seine Fußspuren ruft. Viel Zeit, um in sich hineinzuhören, die Welt wacher zu sehen und sich selber zu erkennen. Zeit, die Franziskus sich später immer wieder nehmen wird, wenn er für Tage oder Wochen in die Stille geht. Zeit, in der Gott an uns handeln, uns formen und uns neu entflammen kann.
F-R-A-N-Z! Den ersten fünf Buchstaben folgen fünf weitere im Namen des Heiligen:

I – wie Inspiration
Der Durchbruch in seiner Sinnsuche geschieht in der Portiunkula. In einem Festgottesdienst berührt ihn das Evangelium der Jüngersendung. Franziskus fühlt sich im Innersten angesprochen. „Das ist es!“ antwortet er: Den Fußspuren Jesu zu folgen wie die Apostel! Mit leeren Händen und innerstem Feuer! Frieden in die Häuser und in die Stadt zu tragen! Ausgeschlossene wieder in die Gemeinschaft zurückzubringen! Niedergeschagene aufzurichten! Die Sendung Jesu weiterzuführen, hier und jetzt, befreiend und heilsam. Franziskus hat in San Damiano Gott auf Augenhöhe entdeckt: ein Bruder und Freund. Im Prozess vor dem Bischof hat er an Gott, den Vater aller Menschen, erinnert. In der Portiunkula erfährt er Gott auch innerlich – Geist, Feuer, Klarheit. Die Erfahrung, dass jeder Mensch inspiriert ist, lässt ihn später alle Gesetze in Staat und Kirche relativieren. Was uns im Tiefsten leiten soll, ist die innerste Stimme, Gottes Stimme in jedem Menschen.

S – wie Stadt und Stille
Gott begegnet uns mitten in der Welt und in der Stille. Franziskus pendelt daher mit seinen Gefährten zwischen Stadt und Stille. Beherztes Engagement schöpft seine Kraft aus stillen Zeiten vor Gott: Die Brüder verbinden „das Leben Martas“ mit „dem Leben Marias“.

K – wie Kirche
Franziskus und seine Brüder leben ihre Sendung innerhalb der Kirche. So krisenhaft sich ihnen die Institution auch zeigt: Sie halten in ihr aus und erneuern die Kirche von unten – so wie es der Laie Jesus in seiner jüdischen Mutterreligion gemacht hat. Die Brüder tun es geschwisterlich, wie Jesus, der nur einen Abba im Himmel und keine Väter auf Erden kannte. Die franziskanische Bewegung belebt die Kirche mit Freiheit und Geschwisterlichkeit.

U – wie universal
Der Papst erlaubt den ersten zwölf Brüdern, lauter Laien, überall auf Erden zu predigen, mit der einzigen Einschränkung, dass ihre Predigt lebenspraktisch sei! Die Brüder werden die erste Bewegung in der Kirche, die universal denkt und wirkt. Ihre Mission überwindet jede Grenze. Franziskus trifft den Sultan und schreibt Briefe an alle Menschen, die er als Geschwister erkennt! Sie bilden eine universale Familie in verschiedenen Religionen.

S – wie Schwestern und Brüder
Bald stoßen auch Schwestern zu den Brüdern. Sie finden eine sesshafte Form der Nachfolge und verbinden in San Damiano das Leben Martas mit dem Marias! Franziskus öffnet seine fraternitas für Frauen und bald auch für Singles und Familien, die in ihren Häusern und Berufen bleiben. Gemeinsam erfahren sie die Wahrheit der Verheissung: Wer sich auf den Weg Jesu einlässt, „wird hundertfach erhalten: Mütter, Schwestern, Brüder, Kinder, Äcker und Häuser“ (Mk 10).

Zuletzt aktualisiert: 17. Juni 2019
Kommentar