Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

17. Juni 2024 | von

Es muss ein gutes Gefühl sein, wenn man glaubt, endlich am richtigen Ort zu sein. Und wenn die Menschen um einen herum ähnliches spüren, dann scheint die Welt in Ordnung. Und plötzlich sind Dinge möglich, von denen man kaum zu träumen wagte. In Padua ist Antonius am richtigen Ort angekommen.

Wohl jeder Mensch hat eine große Sehnsucht danach, angekommen und angenommen zu sein. Und je mehr der Mensch unterwegs und auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben ist, desto größer dürfte diese Sehnsucht sein. Die Sehnsucht danach, einfach sein zu dürfen, es geschafft zu haben, am Ziel angekommen zu sein. 
Antonius ist uns immer wieder begegnet als ein Mensch, der unterwegs ist. Zunächst im Wortsinn, weil er als Minderbruder mit einem Predigtauftrag zahllose Städte besucht – weil er im Zuge der Kapitel von einem Ort zum nächsten versetzt wird. Aber er ist uns noch sehr viel grundsätzlicher begegnet als ein Mensch, der nach seiner Berufung sucht. War er zunächst als Augustiner-Chorherr ins Ordensleben gestartet, hat ihn das Martyrium der franziskanischen Erstlingsmärtyrer in Marokko fasziniert und dazu bewegt, selbst in die franziskanische Gemeinschaft zu wechseln – voll von brennendem Eifer, sein Leben für Christus als Märtyrer zu opfern. Als der Plan schiefging, musste er, gestrandet in Sizilien, mit seiner noch jungen franziskanischen Berufung seinen Platz im fremden Land suchen und – wohl über den einen oder anderen Umweg – wieder neu finden. Als er mehr und mehr Predigtaufträge erhält und voll und ganz im Dienst der göttlichen Botschaft steht, scheint er seine endgültige Bestimmung für diese Welt gefunden zu haben. Als Verkünder des Wortes Gottes erreicht er die Menschen. Er setzt sein Leben und seine Gabe dafür ein, Menschen mit dem Evangelium in Kontakt zu bringen und ihnen die Worte der Schrift zu erschließen. „Es würde zu lang dauern“, weiß der Verfasser der Biografie Assidua, „zu erzählen, in wie vielen Provinzen er unterwegs war, auf wie viele Teile der Erde er den Samen des göttlichen Wortes in Fülle verteilte.“

Menschenmassen im Bann
Immer wieder schon hat er sich in Padua, der Stadt, die zum unverzichtbaren Bestandteil seines Namens wurde, aufgehalten. Doch nun, um die Fastenzeit des Jahres 1230 herum, erfährt sein Leben dort einen neuen Höhepunkt – und vielleicht so etwas wie ein endgültiges Ankommen hier auf Erden. Der Verfasser der Assidua berichtet: 
„Nachdem dem Diener Gottes die Möglichkeit zur Predigt äußerst günstig erschien und das Volk in einer dichten Menge gleich einem nach Regen lechzenden Boden von überall her bei ihm zusammenströmte, legte er tägliche Zusammenkünfte in den Kirchen der Stadt fest. Aber das Fassungsvermögen der Kirchen stellte sich bald als völlig unzureichend heraus, solche Mengen aufzunehmen, da so viele Frauen und Männer herbeieilten. Und weil die Anzahl der Zuhörer weiter beständig anwuchs, ging er nach draußen, um dort auf den weitläufigen Plätzen zu predigen. Es kamen fast unzählbare Scharen beider Geschlechter aus der Stadt, von den Burgen und Dörfern um Padua herum. Alle waren begierig, mit größter Andacht das Wort des Lebens zu hören, weil sie die feste Hoffnung hatten, etwas für ihr eigenes Heil zu tun, wenn sie seinen Unterweisungen folgten. Sie standen bereits mitten in der Nacht auf, weil der eine schneller als der andere sein wollte, und ausgestattet mit Lampen eilten sie in großer Erwartung zu dem Ort, wo die Predigt stattfinden würde. Du hättest Edelherren und adelige Damen zu nächtlicher Stunde herbeieilen sehen können, und Leute, die gewöhnlich einen nicht geringen Teil des Tages damit zubrachten, sich in weichen Betten zu rekeln, und die nun, so wird erzählt, ohne Mühe wach blieben, um den Prediger sehen zu können. Es kamen die Alten, es rannten die Jungen herbei, Frauen und Männer jeden Alters und jeglicher Stellung. Und alle trugen sie, nachdem aller Schmuck abgelegt war, etwas wie – so würde ich fast sagen – einen Habit nach Art der Ordensleute. Auch der ehrwürdige Bischof der Paduaner, Bischof Jakob di Corrado (1229-1239), folgte gemeinsam mit seinem Klerus andächtig der Predigt des Antonius, des Dieners Gottes, und indem er seiner Herde als Vorbild voranging, lehrte er sie das Zuhören durch sein demütiges Beispiel.“

Ganz Ohr
So manch ein Prediger unserer Tage würde sich vermutlich eine solche große und eifrige Zahl von Zuhörern wünschen. Aber gewiss auch umgekehrt: Antonius scheint es wie kaum jemand vor oder nach ihm zu verstehen, mit seiner Auslegung der Heiligen Schrift die Herzen der Menschen direkt zu erreichen: „Das Verlangen aller, das zu hören, was der Heilige predigte, war so stark, dass man – wie man sich erzählt – kein Seufzen oder Murmeln aus der Menschenmenge vernahm, und das, obwohl nicht selten 30.000 Personen anwesend waren, um die Predigt zu hören. In ausdauernder Stille und so, als ob nur eine einzelne Person anwesend wäre, waren Herz und Ohr dem zugewandt, der da sprach. Und selbst die Händler, die in ihren Läden Waren aller Art zum Verkauf hatten, boten ihre Produkte den Vorübergehenden erst nach dem Ende der Predigt an, weil auch sie von dem Wunsch beseelt waren, ihn zu hören.“
Antonius und Padua, das scheint ein „perfect match“ zu sein – der Prediger und „seine“ Stadt scheinen perfekt zueinander zu passen und wie füreinander bestimmt zu sein. Antonius ist angekommen. 

Predigt mit Wirkung
Und es dürfte ihn dann auch glücklich gemacht haben, dass seine Worte nicht ins Leere laufen. Seine Predigten lösen etwas aus. Es sind nicht nur „fromme“ Worte, die bald wieder verhallen. Und selbst wenn die Beschreibung aus der Assidua auf einen gewissen „Personenkult“ schließen lässt und manches ein klein wenig übertrieben sein mag, so ist es doch beeindruckend, auf wie vielen Ebenen die Stadt Padua mit ihren Bewohnern durch Antonius in Bewegung kommt: „Die Frauen trugen Scheren mit sich und versuchten im Feuereifer der Frömmigkeit ein Stück aus seiner Kutte herauszuschneiden, so als ob diese eine Reliquie wäre. Diejenigen, denen es gelang, auch nur den Saum seines Habits zu berühren, schätzten sich glücklich. Er hätte sich nicht vor dem Gedränge schützen können, wenn er nicht umgeben gewesen wäre von einer ordentlichen Zahl starker junger Männer, oder wenn er sich nicht eilig an einen geeigneten Ort zurückgezogen hätte, um dort zu warten, bis die Menschenmenge sich verlaufen hätte. Wo gestritten wurde, stellte Antonius den brüderlichen Frieden wieder her. Er gab den Gefangenen ihre Freiheit wieder zurück. Er sorgte dafür, dass das zurückerstattet wurde, was mit Wucherei oder Gewalt geraubt worden war. Und es kam sogar so weit, dass man Häuser und Grundstücke mit Hypotheken belastete, um den Erlös zu Füßen des Heiligen niederzulegen. Auf seinen Rat hin wurde den Geschädigten ihr Gut zurückgegeben, egal ob es vorher auf gütlichem oder gewaltsamem Weg den Besitzer gewechselt hatte. Er befreite die Prostituierten aus ihrem abscheulichen Geschäft und für ihre Missetaten berüchtigte Räuber hielt er davor zurück, mit ihren Fingern die Sachen anderer zu stehlen. Auf diese Weise hat er dank seines Eifers eine dem Herrn wohlgefällige Ernte eingefahren, nachdem die 40 Tage vergangen waren.“

Hinter ihm: ein langer Weg 
Dass sein Leben irgendwann so „läuft“, dürfte Antonius wohl kaum geahnt haben. Der übergetretene Augustiner-Chorherr, gescheiterte Märtyrer, gestrandete Missionar, übriggebliebene Mitbruder – was hat er nicht alles an Durststrecken aushalten müssen, bevor er dann nach seiner „Entdeckung“ in Montepaolo/Forlì seine höchste Wirksamkeit erfährt. Jetzt ist er am richtigen Platz, jetzt ist er angekommen. Aber nie wäre er dort und nie wäre er so dort wie jetzt, hätte er nicht alle Stufen vorher mit- und durchgemacht. Es gab für ihn keine Garantie, wie sein Leben „ausgeht“. Aber er war bereit, sich auf das einzulassen, was das Leben an Überraschungen und Wendungen bereithielt. – Ganz gewiss eine Ermutigung für alle, die sich noch nicht am Ziel, noch nicht am „richtigen“ Ort wissen. Das Entscheidende liegt vor uns. 

Zuletzt aktualisiert: 17. Juni 2024
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