Schelm mit subtilem Sprachwitz
„Als ich geboren wurde, war ich noch sehr jung…" So beschreibt Heinz Erhardt seine eigene Geburt vor 100 Jahren. Bis er zu einem der berühmtesten Komiker Deutschlands wurde, arbeitete er in dem Musikgeschäft seines Großvaters in Riga und trat auf Kleinkunstbühnen auf.
„Es war an einem 20. Februar. Das Thermometer zeigte 11 Grad minus und die Uhr 11 Uhr vormittags, als vor unserem Haus das Hauptwasserrohr platzte." Mit diesem bemerkenswerten Ereignis lässt der Humorist Heinz Erhardt einen gleichfalls bemerkenswerten Tag in seinem Leben beginnen. „Im Nu war die Straße überschwemmt und im gleichen Nu gefroren. Die umliegenden Kinder kamen zuhauf, um auf ihren Schuhen schlitt zu laufen. Ich selbst konnte mich an diesem fröhlichen Treiben nicht beteiligen, weil ich noch nicht geboren war."
Denn erst am Abend eben dieses Tages erblickt Heinz Erhardt in Riga das Licht der Welt – am 20. Februar 1909. Noch ahnt niemand, dass er in den 50er, 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu Deutschlands beliebtesten Komikern gehören würde und bis heute unvergessen ist. Der Anfang zu seiner Karriere wurde vor 100 Jahren gelegt: „Jeder hat einmal klein angefangen; ich zum Beispiel als Baby." Die erste, die ahnt, dass aus dem jungen Erhardt einmal ein Dichter werden könnte, ist seine Tante: Sie hatte ein faltenreiches Gewand und ein ebensolches Gesicht. Sie schritt auf meine Lagerstatt zu und sprach also: „Na, mein Junge, was willst du denn mal werden?" Ich antwortete – im Hinblick auf meine ziemlich feuchten Windeln: „Ach, gute Tante, vor allem möcht ich gern ‚dichter’ werden." Das hatte die Fee missverstanden …
Heimweh nach Riga
Nicht lange nach der Geburt ihres Sohnes trennen sich die Eltern: Sein Vater strebt eine Karriere als Kapellmeister in Deutschland an, seine Mutter zieht nach Sankt Petersburg. Und so wächst der junge Heinz zunächst in Riga bei seinen Großeltern auf: „Meine Eltern waren meine Großeltern. Sie waren so gut zu mir, dass es schon wieder schlecht war! Wenn ich, Gott behüte, nur einmal nieste, musste ich für eine Woche ins Bett, und hustete ich gar, für zwei Wochen! Schließlich war ich derart verweichlicht, dass ich nur noch nieste oder hustete – oder beides. Trotzdem erinnere ich mich eines Tages, an dem ich nicht im Bett lag."
Kurz vor der Einschulung wird er schließlich von seiner Mutter nach Sankt Petersburg geholt, wegen Heimweh darf er jedoch bald wieder zu seinen Großeltern nach Riga zurück. Wenige Jahre später ist es dann der Vater, der den zehnjährigen Heinz nach Deutschland holt und mit auf Tournee nimmt. Heinz Erhardt fasst zusammen: „Man reichte mich ständig herum, und manchmal reichte es mir!"
Lustlos im Musikgeschäft
1926, zwei Jahre nach seiner erneuten Rückkehr nach Riga, um dort die Schule abzuschließen, gibt er dieses Unternehmen schließlich auf und verlässt das Gymnasium ohne Abschluss. Doch kein Grund für Pessimismus – „Pessimisten sind Leute, die mit der Sonnenbrille in die Zukunft schauen" – denn sein Großvater Paul Neldner hat ihn längst als Erben seiner Musikalienhandlung und Konzertagentur ausersehen. Um sich auf diese Aufgabe vorbereiten zu können, wird er nach Leipzig in die Lehre geschickt. Nebenbei – oder eigentlich mehr hauptsächlich – studiert er Klavier und Komposition am Leipziger Konservatorium und sammelt erste Erfahrungen als Stegreifkomiker. Zurückgekehrt nach Riga arbeitet er im Musikgeschäft seines Großvaters, mehr oder weniger lustlos. „In Wirklichkeit ist es völlig wurst, ob man mit Käse handelt oder mit Musik: immer kauft man billig ein, um teurer zu verkaufen."
Nach dem Tod seines Großvaters steigert sich seine Unlust, wird aber ausgeglichen durch zunehmende Auftritte auf Vereins- und Familienfesten. 1932 steht er dann schließlich zum ersten Mal auf einer richtigen Bühne in Riga – von der Presse gefeiert, doch der Fortsetzungserfolg lässt auf sich warten.
Wo das berufliche Glück noch aussteht, ist das private schon greifbar nah: 1934 lernt er, „ein harmloser Langweiler, mit Hemmungen bis über die Hutschnur", die Italienerin Gilda Zanetti kennen. Ein Jahr später heiratet er die Liebe seines Lebens. Im Juni 1936 kommt das erste Kind zur Welt: Töchterchen Grit, der noch drei weitere Geschwister folgen.
Seine Frau ermutigt ihn zu einem Umzug nach Berlin, wo die Möglichkeit besteht, vor einem größeren Publikum zu spielen. Nach anfänglichen Absagen gelingt ihm im Jahr 1938 mit einem Engagement am renommierten „Kabarett der Künstler" endlich der ersehnte und verdiente Durchbruch.
Ein Einschnitt erfolgt 1941 mit seiner Einberufung in die Wehrmacht: „Am 16. November 1941 zog ich aus; denn man zog mich ein! Der Wehrbezirkskommandant begrüßte mich, als seien wir Freunde: ‚So, Sie können Klavier spielen? Das ist ja großartig! Das Musikkorps der Kriegsmarine in Stralsund sucht einen Klavierspieler. Für was sie den brauchen, weiß ich nicht! Die werden doch nicht, wenn sie durch die Stadt marschieren, ein Klavier vornewegschieben?! Ha-ha-ha! Ist ja auch egal! Hätten Sie Lust?!’ Na und ob! Und so kam ich als Nichtschwimmer und Brillenträger zur Marine…!"
Von nun an reist er als komödiantischer Truppenbetreuer von Standort zu Standort.
Zum Purzelbaumschlagen
Nach einer halbjährigen Kriegsgefangenschaft und einem kürzeren Aufenthalt in Schleswig-Holstein wagt Heinz Erhardt 1946 einen Neuanfang in Hamburg. Beim Radiosender NWDR moderiert er fortan die Morgensendung „So was Dummes". Die zensurberechtigten Engländer urteilen: „Sie sind der einzige Deutsche, über den wir lachen können, ohne dass wir ein einziges Wort verstehen!"
Weitere Erfolge sind vorprogrammiert. Erhardt tritt in einigen Hamburger Theatern auf und 1947 gelingt ihm mit der Komödie „Lieber reich, aber glücklich" der endgültige Durchbruch – das Publikum ist begeistert. Und Heinz Erhardt, der ganz in seiner Arbeit aufgeht, genießt den Erfolg: „Ich könnte manchmal vor Glück eine ganze Allee von Purzelbäumen schlagen."
Auf Tournee bereist er das Land, fein säuberlich dokumentiert in insgesamt 19 dicken Alben, in denen er Zeitungsartikel und Programmhefte seiner Auftritte sammelt.
In den 50er Jahren folgen umjubelte Kinoproduktionen, da-runter „Der müde Theodor" und „Witwer mit fünf Töchtern". Seit den 60er Jahren ist er auch zunehmend im Fernsehen zu erleben, auch wenn seine 1961 gegründete Fernseh-Produktionsgesellschaft nach einigen Jahren mangels Erfolg wieder aufgelöst werden muss. 1963 erscheinen dann seine Gedichte erstmals auch in gedruckter Form.
Das bisschen Leben
Im Dezember 1971 wird seine Karriere jäh abgebrochen. Ein Schlaganfall, der ihn halbseitig gelähmt und mit irreparablen Schäden am Sprachzentrum zurücklässt, hindert ihn an weiteren Auftritten. „Wenn ich nicht mehr gehen kann", so hatte er früher zu Freunden gesagt, „dann müsst ihr mich eben auf die Bühne tragen. Solange ich nur sprechen kann, werde ich es schaffen, das Publikum zum Lachen zu bringen." – Es ist ihm und dem Publikum nicht mehr vergönnt. Eine letzte Fernsehproduktion, „Noch ‘ne Oper", in die seine Stimme aus früheren Radioaufnahmen hineingemischt wird, entsteht 1979 unter Federführung seines Sohnes Gero. Im selben Jahr erhält er das Große Bundesverdienstkreuz – kurz darauf, am 5. Juni 1979, stirbt Heinz Erhardt.
Er bleibt unvergessen bis heute – seine Gedichtbände sind immer noch im Buchhandel zu haben, Wiederholungen werden im Fernsehen ausgestrahlt und auch im Internet erlebt er eine postume Karriere: nicht zuletzt unter www.youtube.com findet man zahlreiche seiner Auftritte.
Und wenn er, der große Humorist, jetzt das letzte Wort bekommt, dann zeigt sich auch seine nachdenkliche Seite:
„Nicht so eilig, nur nicht so eilig,
Wenn du dir Zeit lässt, hast du vom Leben mehr.
Langsam, langsam, nur immer schön langsam,
Bei zu viel Vollgas, da ist der Tank bald leer.
Nicht so hastig, nein – nur nicht so hastig,
Denn dass man Zeit spart, das ist ein Selbstbetrug.
Sachte, sachte, nur immer schön sachte,
das bisschen Leben, das vergeht noch schnell genug."