Die Eiszeit ist vorbei
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Zeichen des Umbruchs. Der kleine Dawit, Sohn meiner georgischen Freundin Ia, der mit mir durch die Straßen seines südländisch wirkenden Heimatortes geht, denkt nicht daran, dass Tiflis nur 120 km von der tschetschenischen Grenze entfernt ist und dass 250.000 Abchasen in Georgien darauf warten, in ihr benachbartes Vaterland zurückzukehren, aus dem sie zwischen 1992 und 1994 wegen des Bürgerkrieges fliehen mussten.
Dawits Mutter ist katholisch, sein Vater orthodox, und so lebt er bereits Ökumene ohne es zu wissen. Die Flüchtlinge gehören für den Sechs-Jährigen zum gewohnten Bild. Er ist noch zu klein, um zu verstehen, dass sein Land sozial und religiös an der Schwelle des Umbruchs steht.
Im November 1999 war Papst Johannes Paul II in das Geburtsland Stalins gekommen und wurde vom Ex-Außenminister der Sowjetunion, dem heutigen Präsidenten Georgiens, Edward Schewardnaze, in Tiflis empfangen.
Karol Wojtyla war der erste Papst in der Geschichte, der Georgien besuchte. Zehn Jahre waren seit dem Fall der Berliner Mauer vergangen und seit acht Jahren war Georgien unabhängige Republik.
Einst Urlauberparadies. Einst war Georgien das Urlaubsparadies der UdSSR. Die 3,5 Millionen Einwohner hatten mit dem sowjetischen und ostdeutschen Tourismus ein gutes Auskommen, und die Landwirtschaft florierte. Ein Klima wie in Spanien, das Schwarze Meer, über 5000 Meter hohe Berge, guter Wein, eine üppige südländische Küche und Vater Staat, der sich um die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung kümmerte, garantierten ein verhältnismäßig sorgenfreies Leben.
Heute, nach dem abrupten Ende der Sowjetunion, gehört Georgien zu einem der ärmsten Länder der ehemaligen UdSSR. Über 80 Prozent Arbeitslosigkeit, unzureichende Versorgung mit Strom und Wasser und Lebensmittelknappheit prägen den Alltag der Bewohner und haben aus dem Urlaubsparadies ein Armenhaus gemacht.
Papst und Patriarch. Ich komme, um eine Brücke zwischen Völkern, Nationen, Religionen und Kulturen zu schlagen, hatte der Papst in einer seiner Ansprachen am 8./9. November 1999 in Tiflis gesagt. Diese Botschaft wurde damals von den Georgiern begeistert aufgenommen, auch deshalb, weil sie sich von jeher in einer Vermittlerstellung zwischen West und Ost sehen.
Die orthodoxe Kirche hielt sich jedoch bei den Kontakten mit dem Oberhaupt der Katholiken sehr zurück. Der Patriarch von Georgien, Ilia II., hatte verlauten lassen, dass der Papstbesuch ein wichtiges politisches Ereignis sei. Wahrscheinlich hatte er es so formuliert, weil das kleine Georgien geographisch zwischen Ost und West liegt, sich aber, im Gegensatz zu Armenien beispielsweise, von Russland lossagen und sich an den Westen anschließen möchte. Deshalb konnte der hohe Besuch aus Rom als Zeichen dafür gewertet werden, dass der Westen wohlwollend auf Georgien blickt. Der Patriarch unterstrich aber auch immer wieder, dass das georgische Volk bei allen Problemen in der Vergangenheit und heute immer von der orthodoxen Kirche gestützt worden sei. Und das bleibe auch in Zukunft so. Wir werden die Orthodoxie nicht verraten hatte der Patriarch nachdrücklich erklärt.
Damit wollte er wohl auch den Gegnern des Papstbesuches Antwort geben, die befürchteten, von der katholischen Kirche vereinnahmt zu werden. Die kleinen Nationalkirchen der Armenier und Georgier haben nämlich Angst um den Verlust eines jeden Gläubigen an andere Konfessionen und an die katholische Kirche, denn sie sehen Volkstum und Religion eng aneinander gebunden.
Stalin-Kult in Gori. Von der Hauptstadt Tiflis führt eine steinige Bergstraße über den Kaukasus in den westlichen Teil Georgiens nach Kutaisi. Der Weg geht über Gori, eine 58.000 Einwohner zählende und verloren wirkende Stadt, die jedoch Geburtsort eines berühmten Sohnes dieses Landes ist. Hier befindet sich das Häuschen, in dem Josef Dschugashvili, besser bekannt als Stalin, seine frühe Kindheit verbrachte. In Gori steht das einzige Stalindenkmal in der gesamten ehemaligen Sowjetunion, denn hier ist er nicht Diktator, sondern eine Kultfigur. Sogar der Eisenbahnwaggon, mit dem er stets fuhr, angeblich auch 1945 zu der berühmten Konferenz nach Potsdam, protzt neben dem Museum und ist beliebtes Fotomotiv für einige Touristen, die sich hierher verirren.
Junge katholische Gemeinden. In Kutaisi gibt es eine junge katholische Gemeinde, die sich 1994 nach der Ankunft der Stigmatiner (eine italienische Kongregation) zusammengefunden hat. Es sind vorwiegend Jugendliche und einige ältere Frauen, die sonntags zum Gottesdienst kommen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist orthodox und mit Scheu werden die Katholiken eher aus der Ferne beäugt. So manch eine Familie hat bei sich zu Hause Heiligenbilder katholischen Ursprungs gefunden, die jetzt den Schwestern nachts heimlich in den Flur gestellt werden. Die orthodoxe Kirche ruft allem Katholischen gegenüber streng zur Vorsicht auf, und die Bewohner fürchten vielleicht den Einfluss des Teufels, wenn sie diese Erbstücke unter dem eigenen Dach behalten.
In Kutaisi trifft sich die Gemeinde in einem Andachtsraum im Haus der Priester. Eine Kirche darf nicht gebaut werden, und wie die ersten Christen versammeln sich die Gläubigen an privaten Orten.
In Alkasheni jedoch, drei Autostunden von Kutaisi entfernt, haben die Stigmatiner ein Gotteshaus errichtet. Fast die gesamte Bevölkerung des Dorfes ist katholisch, eine Seltenheit für Georgien, und in aufopfernder Arbeit haben P. Giuseppe und P. Gabriele der Gemeinschaft vor Ort ein Dach gegeben. Jeden Sonntag lesen sie dort die heilige Messe und geben Religionsunterricht. Die kleine Kirche ist modern gestaltet und fügt sich harmonisch in die Umgebung ein. Die Wandmalereien wurden von einem georgischen Künstler verwirklicht.
1996 wurde P. Giuseppe Pasotto zum Apostolischen Administrator des Kaukasus für alle Gläubigen des lateinischen und assyrisch-caledonischen Ritus ernannt. Am 6. Januar 2000 weihte ihn der Papst zum Bischof für den Kaukasus. Der frühere Pfarrer von Alkasheni war im September 1994 vom Heiligen Stuhl, zusammen mit seinem Mitbruder P. Gabriele Bragantini, nach Tiflis in Georgien geschickt worden, um die wenigen Katholiken, die über das ganze Land verstreut waren, zusammenzuführen. Von den heute knapp 5 Millionen Einwohnern des Landes sind nur cirka 100 000 Katholiken, die von 10 Priestern und 25 Ordensleuten betreut werden. Unsere Autorin führte mit dem Bischof ein kurzes Gespräch. Gibt es Ihrer Meinung nach Differenzen in der Position des Patriarchen und der Heiligen Synode der orthodoxen Kirche von Georgien? Natürlich muss der Patriarch die Stimmen in der Heiligen Synode respektieren, die zum Beispiel 1999 gegen den Papstbesuch waren. Die geplante Messe auf dem größten Platz von Tiflis musste in ein Stadion verlegt werden, weil die Heilige Synode gegen öffentliche Kundgebungen der katholischen Kirche ist. Deshalb konnten nur 10.000 Gläubige an der Papstmesse teilnehmen. Was bedeutete diese Entscheidung für Sie persönlich? Natürlich war sie für mich schmerzvoll, aber man muss auch die globale Situation sehen. Wie in allen ex-sozialistischen Ländern befindet sich die Kirche in einem Prozess des Neuanfangs. In Gegenden mit vorwiegend orthodoxem Glauben braucht es unendlich viel Geduld, um zu zeigen, dass wir eine Schwesterkirche sein wollen und nicht Konkurrenten sind. Wir müssen das suchen, was uns vereint und nicht das unterstreichen, was uns trennt. Sie sind seit 22 Jahren Priester und seit 7 Jahren in Georgien. Wie sehen Sie Ihre Arbeit hier? Wie Sie ja vielleicht wissen, ist das Motto meines Amtes als Apostolischer Administrator Ut Unum Sint (Dass alle eins seien). Ich möchte Georgien die Schönheit der Kirche zeigen, die in der Vielfalt der Charismen liegt. Seit einigen Jahren arbeiten die Neokatekumenalen in einer Tifliser Gemeinde und die Gemeinschaft von St. Egidio hat erste Schritte unternommen, in Kutaisi zu arbeiten. Auch die Gemeinschaft der Fokolare knüpft bereits Kontakte, und ich glaube, dass mit Hilfe der neuen Bewegungen für dieses Land, wie der Papst mehrfach sagte, der Winter vorbei ist. |