Don't hurry, be happy
Den Fuß vom Gas nehmen, zurückschalten und Schritttempo fahren, das können „Slobbies“. Sie verstehen sich auf die Kunst der Entschleunigung, den Kick der Langsamkeit. Für sie zählt Qualität, Genuss des Gegenwärtigen, Eile mit Weile. Sie stehen damit nicht allein.
Viele Menschen wollen dem Stress entkommen und mehr Zeit haben für sich selbst, für Familie und Freunde, für ein Hobby oder die Fragen des Lebens. Mehr als 80 Prozent der Deutschen klagen über zu viel Stress am Arbeitsplatz, jeder Dritte kann sich Umfragen zufolge dem ständigen Druck, den die Umwelt ausübt, nicht entziehen und selbst in der Freizeit nicht richtig abschalten. Viele Menschen wollen dem Stress entkommen und mehr Zeit haben für sich selbst, für Familie und Freunde, für ein Hobby oder die Fragen des Lebens. Mehr als 80 Prozent der Deutschen klagen über zu viel Stress am Arbeitsplatz, jeder Dritte kann sich Umfragen zufolge dem ständigen Druck, den die Umwelt ausübt, nicht entziehen und selbst in der Freizeit nicht richtig abschalten.
FREIZEITKRANK
Für körperliche Probleme oder schwere Erkrankungen, die sich ausgerechnet in der Freizeit einstellen, haben findige Forscher an der Universität Tilburg eine englische Bezeichnung geprägt: Leisure sickness. Zu Deutsch: Freizeit-Krankheit. Eine fatale Diagnose, die besagt: Wir haben verlernt, eine Auszeit zu nehmen, zu uns und unseren Tätigkeiten auf Distanz zu gehen, mal eine „kreative Pause“ einzulegen. Auch Slobbies (von slow but better working people) hatten erfahren, dass ihr eigenes Leben im gnadenlosen Arbeitsrhythmus längst auf der Strecke geblieben war.
Seit gut drei Jahren lebe ich in den Niederlanden. Mit Erstaunen beobachte ich, dass viele meiner Bekannten echte Multitasker sind. Sie schaffen es, ein Gespräch zu führen und dabei auf dem Handy die eingehenden SMS zu checken, sie bereiten parallel mehrere Konferenzen vor und bedienen fast lückenlos ihr weitgespanntes Netzwerk an Kontakten und Beziehungen, sie erinnern sich daran, dem Nachbarn zum Geburtstag zu gratulieren, und bringen abends noch ein Essen für die Familie auf den Tisch. Sicher, die moderne Technik hilft dabei, zumindest „medial“ an vielen Orten gleichzeitig präsent zu sein. Aber es beeindruckt mich, die Geschwindigkeit zu sehen, mit der sich alles abwickelt.
ZEITFALLE MULTITASKING
Natürlich gehen Tempo und Vielfalt in der modernen Medienwelt auch an mir nicht spurlos vorüber. Über Google rufe ich in Sekundenschnelle die nötige Information für ein Referat ab, mit einem Mausklick kommt die Korrespondenz in Windes-eile auf meinen Computer, über Skype halte ich gratis Telefonkontakt mit Menschen in aller Welt... Aber dabei geschieht es auch, dass ich in eine Falle tappe. Eigentlich sitze ich am Computer, um einen Vortrag auszuarbeiten, und lasse mich vom Internet „verführen“. Schnell mal eben die E-mails checken, was gibt es Neues im Tagesgeschehen… Unbewusst werde ich abgelenkt, und es braucht einen Kraft- und Willensakt, um mich aus dem Bann zu lösen.
Wenn dann das wohlverdiente Wochenende oder gar die Urlaubszeit kommen, fällt es schwer, aus dem schnelllebigen Alltag auszusteigen und sich auf Entspannung einzustellen. Runterschalten am Wochenende, loslassen im Urlaub hört sich einfacher an, als es ist. Aber mit etwas Übung und gutem Willen ist es dann doch leichter als gedacht. Eine gute Bekannte erzählte: „Wir haben vereinbart, im Urlaub zu einer festgesetzten Stunde am Tag kurz die Mails zu checken und das zu beantworten, was nicht warten kann.“ Konsequent wird der Computer dann wieder ausgeschaltet und übernimmt nicht die Herrschaft über den Urlaub.
UMPROGRAMMIEREN
Die Erholung, so sagen Experten, sollte eine gewisse Herausforderung in sich tragen, auf die wir uns konzentrieren müssen und so abschalten und entspannen können. Das kann zum Beispiel körperliche Betätigung sein. Mediziner erklären, dass Glückshormone bereits nach 30 Minuten Bewegung ausgeschüttet werden. Meine bislang schönsten Ferien haben mit einer Einladung begonnen, die mir zunächst schlaflose Nächte bereitete. Ich, die ich meinen Urlaub stets am Meer verbrachte, weit weg von den Bergen, die in mir Höhenangst hervorrufen, wurde gefragt, ob ich mit in die Dolomiten kommen wolle. Zu meiner großen Überraschung fand ich mich am Ende der Ferien auf dem Gipfel eines 2.000 Meter hohen Berges wieder, ein unvergessliches Erlebnis!
ZEIT-OASEN FÜR NEUES
Sicherlich liegt ein Geheimnis für gelungene Erholung darin, etwas völlig anderes zu tun, als man gewohnt ist. Und dafür benötigt man keine teuren Fernreisen. So haben Kinder von Freunden begeistert reagiert, als der geplante Urlaub in Frankreich platzte. „Da können wir endlich mal in das Affenfreigehege hier in der Nähe gehen! Und danach Fleischbällchen bei Ikea essen!“ Schon Goethe (ein verkappter „Slobbie“?) wusste: „Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“
Beliebt ist in meinem Freundes- und Bekanntenkreis der Häusertausch. Da zieht die Familie aus ihrem engen Häuschen in Holland für zwei Wochen in eine Villa an einem schwedischen See, andere vertauschen ihr typisches norwegisches Holzhaus mit einer Wohnung am Bodensee. Davon habe auch ich dieses Jahr profitiert, habe den Schreibtisch mit dem Fahrrad getauscht und Briefe auf Blumenpapier geschrieben.
Feste Strukturen und Planungen sind für den Alltag nötig. Doch ab September werde ich mir mehr Frei-Räume und Zeit-Oasen als bisher gönnen. Dann kann ich Neues auf mich zukommen lassen, Situationen, Fragestellungen und Menschen. Mit der Gelassenheit eines „Slobbie“, der neugierig bleibt auf das Leben – sein eigenes wie das der anderen. Zumindest will ich es versuchen. Denn ich weiß: Mir gehört immer nur die Zeit, die ich mir nehme. Für mich, für andere. Und wie steht es bei Ihnen? Haben Sie Mut zur Langsamkeit, zur Entschleunigung! Es lohnt sich.