Tod durch Tod vergelten?
Spektakuläre Entführungs- und Mordfälle, zumal wenn Kinder die Opfer sind, terroristische Übergriffe, bei denen Tote zu beklagen sind, sind begehrte Ware der Medien und lassen, eben von jenen Medien bisweilen angestachelt, die so genannte Volksseele überkochen. Dann wird hinter vorgehaltener Hand oder auch in dreister Lautstärke nach der Stärke des Staates gerufen, der monströse Taten nicht ungesühnt lassen dürfe. Rübe ab ist dann durchaus auch von sonst besonnenen Gemütern zu vernehmen, wenn die Leiche eines ermordeten Kindes gefunden wurde und sich die Frage stellt, wie denn mit dem Mörder verfahren werden soll. Lebenslange Strafen sind nicht genug, die Todesstrafe muss es sein, um ein Exempel zu statuieren, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Medienspektakel Hinrichtung. Zugegeben, die Diskussion um dieses existentielle Thema ist in unserem Land gewöhnlich eher leise und latent, nicht so ganz gewollt oder vorhanden, aber in einem Land unseres Kulturkreises, in Amerika, Anlass immer heftiger werdender Auseinandersetzungen.
Ganz aktuell und von den Medien entsprechend breit getreten der Fall Timothy McVeigh: Sechs Jahre nach seinem Bombenanschlag auf ein Bundesgebäude in Oklahoma, bei dem 168 Menschen (darunter 19 Kinder) und mehrere Hundert verletzt wurden, sollte der Attentäter am 16. Mai dieses Jahres hingerichtet werden. Die Exekution des 33-jährigen wurde schließlich aufgeschoben, weil in buchstäblich letzter Minute 4000 Seiten Aktenmaterial auftauchten, die vom FBI versehentlich vergessen worden waren! Der Angeklagte verzichtete auf eine Berufung und wurde – natürlich in penibler Einhaltung einer bürokratischen Prozedur – vom Leben zum Tode befördert.
Letzterer dauerte exakt vier Minuten, ein sanftes Entschlafen im krassen Gegensatz zum grausamen Ende seiner Opfer – so unisono die Fraktion der Befürworter der Todesstrafe. Und wie sich im Mittelalter die Zuschauer von Hinrichtungen um die besten Plätze balgten, so lauerten 1500 Reporter auf der Wiese vor dem Todestrakt vergeblich auf sensationelle Bilder. Ein Aufgebot wie bei einem Mega-Sportereignis mit überdachten Bühnen für jede amerikanische Fernsehgesellschaft, verkabelt mit Kilometern von Leitungen. Wissenschaftlich nüchterne Computersimulationen machten das geheimnisvolle und grausame Geschehen im Innern des Death House anschaulich.
Sauberer Tod. Zehn Angehörige der Attentatsopfer und handverlesene Medienvertreter waren direkte Zeugen, als der ruhig und gefasst erscheinende Mörder, der sich selbst zum Einzelkämpfer hoch stilisiert hatte, durch drei Giftinjektionen starb. Drei verschieden wirksame Drogen müssen es wohlgemerkt sein. Das erste Gift macht den Delinquenten bewusstlos, das Zweite lähmt den Atemapparat und das Dritte bewirkt schließlich den Herzstillstand. Kein Detail wird hier dem Zufall überlassen – ein sauberer Vorgang, der die hässliche Seite eines Staates in angenehmerem Licht erscheinen lässt. Klinisch rein, der Hinrichtungsraum dezent grün gekachelt, der Hinrichtungstisch mit brauner Kunstlederpolsterung und schwarzen Nylongurten.
Dass der Delinquent eine saubere Figur abgeben soll, versteht sich von selbst. Nicht etwa in Sträflingskleidung tritt er seinen letzten Gang an, sondern in frisch gewaschenen Khakihosen, weißem T-Shirt und bequemen Slippern mit weichen Sohlen! Dies ist kein Scherz sondern bitterer Ernst. Eine zynische und brutale Dramaturgie wird hier aufgebaut, aber es gibt ja immerhin die Gnade des sanften Todes. Bei der Anwendung des elektrischen Stuhls (auch Old Sparky genannt, etwa mit alte Funkenmaschine übersetzbar), mittlerweile von der Giftspritze fast gänzlich verdängt, schlug auch schon mal eine Stichflamme aus dem Körper, das Blut begann zu kochen, es roch penetrant nach verbranntem Fleisch – kein Wunder bei angelegten 2000 Volt und durchaus längerem Todeskampf.
Genugtuung. Timothy McVeigh hatte während des ganzen Prozesses geschwiegen und zeigte keinerlei Reue – Verschwörungstheorien um angebliche Hintermänner tauchten immer wieder auf. Der Delinquent wähnte sich in der Hölle in bester Gesellschaft und hinterließ lediglich sein Lieblingsgedicht (Ich bin der Meister meines Schicksals, der Kapitän meiner Seele). Amnesty International beklagte, dass wieder einmal die Rache über die Gerechtigkeit gesiegt hätte, aber die 200 Angehörigen der Opfer, die über einen Live-Video-Kanal die Hinrichtung des Mörders eines ihrer Angehörigen verfolgen durften, hatten ihre Genugtuung.
Dieses legitime Interesse der Angehörigen wird ja auch von den Befürwortern immer wieder als gewichtiges Argument ins Felde geführt. Dass aber die Hinrichtung kein Opfer wieder lebendig macht, und nicht wenige Angehörige mit dem Tod des Täters ihre persönliche Tragödie nicht gemildert sehen – eher das Gegenteil ist der Fall – wird dabei in den Hintergrund gedrängt.
Auge um Auge. Die Todesstrafe ist per definitionem die Hinrichtung eines Verurteilten als Sühne für begangenes Unrecht und begleitet die Menschheit durch alle Kulturen und Zeitalter hindurch – bis heute.
Im Alten Testament wird noch Auge um Auge bezahlt. Ob dies allerdings als Aufforderung zur Anwendung der Todesstrafe zu betrachten ist, bleibt Interpretationssache und hier außen vor. Ein wichtiger geschichtlicher Punkt ist die Constitutio Criminalis Carolina, kurz C.C.C. oder auch als Carolina bekannt. Eine so genannte peinliche Gerichtsordnung, 1532 von Karl V. auf dem Reichstag zu Regensburg erlassen. Sie hat das deutsche Straf- und Strafverfahrensrecht über Jahrhunderte beherrscht. Ebendort ist von leichteren Todesstrafen die Rede, wie dem Erhängen oder Erschießen. Unter den verschärften Prozeduren werden der Feuertod, Pfählen, Rädern, Vierteilen (an jedem Gliedmaß zieht ein Pferd...) und Ertränken aufgelistet.
Dass diese schwersten Strafen für vergleichsweise harmlose Delikte wie kleine Diebstähle oder Betrügereien verhängt wurden, lässt uns heute nur noch erschauern. Erst im 18. Jahrhundert wird eigentlich erstmals das Recht des Staates in Zweifel gezogen, die Sühne eines Verbrechens mit der Todesstrafe, seinem äußerstem zur Verfügung stehenden Machtmittel, herbeizuführen. Der liberale und aufgeklärte italienische Jurist Cesar Beccaria erkennt die Zeichen seiner Zeit und stellt mit seiner Schrift Von den Verbrechen und Strafen (1764) die Todesstrafe in Frage. Damit sticht er aber gleichsam in ein Wespennest – insbesondere von Seiten der Kirche wird sein Traktat verboten.
Politikum Todesstrafe. Noch um 1800 kann in England die Todesstrafe für 200 verschiedene Delikte verhängt werden. Für Ladendiebstähle im Gegenwert von über 5 Pence etwa (eine für damalige Verhältnisse eher bescheidene Summe) oder für das Stehlen von Briefmarken auf der Poststation.
Ein Rechtswesen muss sehr im Argen beziehungsweise in seinen letzten Zügen liegen, wenn es nur noch mit solch brachialen und unmenschlichen Methoden funktionieren kann. Dass die Problematik der Todesstrafe immer auch ein Politikum ist, erläutert seine Geschichte in Deutschland. Nach 1848 stand das Land immer knapp vor der Abschaffung dieser archaischen Strafe. Aber die liberale politische Bewegung, die dieses Relikt aus feudalen Zeiten ausmerzen und damit eine symbolträchtige Absage an unselige Vergangenheiten erteilen wollte, war immer wieder zum Scheitern verurteilt.
1870 war es fast so weit, aber Reichskanzler Bismarck intervenierte mit der Begründung, der Staat dürfe wie Gott über die Menschen richten – wenn er es für nötig erachte. Die Motive: Stärke zeigen, beziehungsweise natürlich nur die Bürger vor Mördern und dergleichen zu schützen. So wurden in Deutschland zwischen 1900 und 1920 jährlich an die 100 Hinrichtungen vollzogen. Dieses Zahl stieg während der NS-Diktatur sprunghaft an. Schätzungen gehen von etwa 12.000 Hinrichtungen in dieser Zeit aus.
Exekution in Europa. Auch in Italien, das die Todesstrafe bereits 1889 abgeschafft und auch nicht mehr angewandt hatte, änderte sich dies mit dem Aufkommen des Faschismus. Mussolini führte sie 1930 wieder ein – natürlich auch nur, um unliebsame politische Gegner leichter eliminieren zu können.
In Frankreich – um bei unseren europäischen Nachbarn zu bleiben – wurde die Guillotine erst 1981 vollständig abgeschafft, nachdem sie noch vier Jahre zuvor zwei Mörder enthauptet hatte. Laut einer Umfrage waren aber in jenem Jahr der Abschaffung noch 62 Prozent der Franzosen für die Beibehaltung dieses ultimativen Staatsrechtes.
Bei uns ist die Todesstrafe laut Artikel 102 des Grundgesetzes seit 1947 abgeschafft, wiewohl es gerade in den 70er Jahren mit den Anschlägen des Linksradikalismus durchaus ernst zu nehmende Bestrebungen politischer Gruppierungen gab, dies zu ändern. Österreich schaffte die Todesstrafe 1950 ab, in der Schweiz wird sie seit 1907 nicht mehr praktiziert und wurde 1942 offiziell und endgültig abgeschafft. Eine lange, vor allem auch philosophische Auseinandersetzung kam damit – zumindest in Deutschland – zu ihrem Ende.
Grausige Fakten. Um noch einmal in die unselige Vergangenheit einzutauchen: Das Scharfrichterdasein war schon von jeher ein besonderes Los. Figuren, die verabscheut wurden, aber zugleich von einer geheimnisvollen Aura umgeben waren, mussten sie doch eine Kapuze tragen, speziell um anonym zu bleiben und sich so vor Racheanschlägen zu schützen.
Nichtsdestotrotz bekam ein Buchautor, der sich in den 70er Jahren mit dem Thema Knast oder Galgen beschäftigte, Anfragen, wie und wo man den Scharfrichter werden könne! Einige spezielle Zeitgenossen wollten es wohl gerne dem Nürnberger Henker aus dem 16. Jahrhundert gleichtun, der 1100 Urteile vollstreckt haben soll, oder gar dem berüchtigten Scharfrichter Reichart in München, der von 1933 bis 1945 fast 3000 Delinquenten hingerichtet haben soll.
Doch die Gegenwart geizt auch nicht mit grausigen Fakten: In Saudi-Arabien etwa kann man für die Zerstörung eines Bauwerke mit dem Tode bestraft werden, genauso wie für den Drogenkonsum im Wiederholungsfall. Und bei Sexualdelikten droht die Steinigung (wir sprechen wohlgemerkt von der Gegenwart).
In China werden mit Vorliebe vor wichtigen Feiertagen öffentliche Aburteilungen angeordnet, des Erziehungseffektes wegen. Es sind dies Massenversammlungen mit bis zu 100.000 Teilnehmern und natürlich Fernsehübertragung zur besten Sendezeit.
Allein 1984 soll es zu 10.000 Hinrichtungen gekommen sein und beim Massaker vom 4. Juni 1989 wurden angeblich 1300 Menschen von Sicherheitskräften getötet.
USA voll dabei. Die meisten Todesurteile werden mittlerweile in nur noch wenigen Staaten verhängt. Unrühmlich tun sich hier hervor: Kongo, Iran, China (89 Prozent), im Schnitt 1000 pro Jahr, USA (1998: 68 Vollstreckungen), während sich bereits 1899 Costa Rica, San Marino und Venezuela von dieser Strafform verabschiedet haben.
Faktisch wurde die Todesstrafe mittlerweile in 108 Ländern abgeschafft, wohingegen in 87 Staaten noch entsprechende Gesetze existieren, die UN-Menschenrechtskommission aber wird nicht müde, diese Länder zu einem Hinrichtungsmoratorium zu bewegen. Die Gegner sind weltweit auf dem Vormarsch und im Schnitt schaffen zwei bis drei Staaten jährlich die Todesstrafe ab.
Die USA scheint aber bei aller Diskussion noch weit davon entfernt zu sein. Seit 1977 wurden 650 Urteile vollstreckt, davon allein 223 im Staate Texas. Durchschnittlich 7 Jahre verbringt der Verurteilte in der Todeszelle und das Verhältnis Befürworter zu Gegnern steht immer noch 4 zu 1! Das wirklich Fatale an dieser ganzen Situation ist, dass seit 1900 in den USA 350 Unschuldige zum Tode verurteilt wurden. Auch die Willkür bei den Verurteilungen ist eklatant – nur 1 Prozent der Morde werden durch die Todesstrafe gesühnt. Wenn das Opfer der dominierenden Gesellschaftsschicht, sprich der weißen, angehört, der Täter aber einer gesellschaftlichen Minderheit, sprich Schwarzer ist, ist eine rassistische Benachteiligung an der Tagesordnung, der white-victim-effect tritt ein. In Relation werden ganz einfach mehr Schwarze, zumal aus verarmten Schichten, verurteilt. Menschen sind fehlbar und eine lange Liste von unfairen Prozessen und Fehlurteilen ließe sich hier auftun – eine Hinrichtung lässt sich aber nun mal nicht mehr rückgängig machen.
Missachtetes Menschenrecht. Da wird dem Druck der öffentlichen Meinung nachgegeben, die das Prinzip der Vergeltung fordert. Sündenböcke sind immer dann gefragt, wenn eigene Schwäche und eigenes Versagen nicht mehr kaschiert werden können.
Ein Widerspruch tut sich auf: Mit der Erklärung der Menschenrechte darf der Staat nur in Notwehr töten, die Rechte und das Leben des Einzelnen sind zu schützen. Mörder bestimmen die Moral – der Staat steigt auf das selbe Niveau hinab. Wo ist eigentlich die Grenze zur (verdammten) Folter, wenn wie in Florida ein elektrischer Stuhl seit 73 Jahren in Betrieb ist, der sich immer durch Ausfälle hervortut? Dürfen Minderjährige oder geistig Kranke hingerichtet werden, wie das in der Hälfte der amerikanischen Bundesstaaten der Fall ist?
Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Todesstrafe in irgendeiner Weise abschreckend auf Gewaltverbrecher wirkt. Terroristen lassen sich doch auch zu gerne auf eine Märtyrerrolle ein.
Das letzte schlagende Argument haben amerikanische Todesstrafengegner so formuliert: Warum töten wir Menschen, die Menschen getötet haben? Um zu zeigen, dass es Unrecht ist, Menschen zu töten?