Mut zum Kind!
Wie kommt es, dass Paare in Deutschland immer weniger Nachwuchs haben? Ein Kind ist nach Einführung der Pille keine Selbstverständlich-keit mehr, sondern eine bewusste Entscheidung. Viele wagen den Schritt dazu nicht. Verantwortung übernehmen, auf Wohlstand, Karriere, Selbstverwirklichung verzichten scheint ihnen ein zu hoher Preis. Und auch das gesellschaftliche Klima ist nicht gerade förderlich.
„Die Deutschen sterben aus“ und viele andere reißerische Titel dieser Art lenken unseren Blick auf eine Problematik, die in letzter Zeit viel diskutiert wird. Erst seit wenigen Jahren, als die Geburtenzahlen in unserem Land drastisch zu sinken begannen, rückte allmählich ins breite Bewusstsein, welche gesellschaftlichen Auswirkungen uns damit ins Haus stehen. Und viele Fragen werfen sich auf wie etwa: Wer soll denn dereinst unsere Ren-ten bezahlen? Werden wir eine Gesellschaft von Greisen?
Wer sich ein Bild über die Thematik verschaffen will, muss sich durch ei-ne Flut von Analysen und Umfrageergebnissen kämpfen, die regelmäßig durch die Gazetten geistern, und darf sich die mehr oder minder klugen Meinungen von Gesellschaftspolitikern zu Gemüte führen.
Selbstverständlich gibt es auch Fachliteratur bis zum Abwinken: „Deutsch-land – armes Kinderland“, „Familienreport“, „Die Kinderfrage“, „Die kin-derfeindliche Gesellschaft“… Kluges und Geschwätziges gibt es darüber hinaus zuhauf.
Relikt Familienglück? Immer wieder im Blickpunkt die Frage: Warum ist es für die jüngere Generation nicht mehr selbstverständlich, Kinder in die Welt zu setzen? Denn der Kinderwunsch, der in den Jahren des „Baby-Booms“ noch so untrennbar mit „Familienglück“ verbunden war, ist ein aussterbendes Relikt.
Früher war die Institution Ehe untrennbar mit der Mutterschaft verbunden. Eine Frau ohne Kinder war suspekt oder wurde mitleidsvoll betrachtet.
Noch im 19. Jahrhundert waren Kinder als billige Arbeitskräfte oder Al-tersversorgung hochwillkommen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wur-den Kinder als Erfüllung der Weiblichkeit betrachtet. Noch in den sechziger Jahren war die Familie der zentrale Lebensinhalt fast jeder Frau. Ganz selbstverständlich musste neben diesem die eigene Arbeit in den Hinter-grund treten. Diese Werteskala hat sich innerhalb weniger Jahre grundle-gend gewandelt: Auf ihr rutschte der Wunsch nach Kindern nach ganz un-ten.
Konstruiertes Glück. Die Lebenspläne haben sich dramatisch geändert:
Der heutigen Generation im gebärfähigen Alter ist ihr persönlicher Frei-raum, in dem Kinder keinen Platz mehr haben, sehr viel wichtiger gewor-den. Was muss heutzutage nicht alles miteinander vereinbar sein. Die Be-rufsplanung gibt den Rahmen ab, in den Kinder passen müssen. Und wer betreut mein Kind, während ich Karriere mache? Außerdem muss mein Partner bei all dem auch mitspielen. Und die Wohnung ist sowieso zu klein…Es ließen sich noch viele andere „Aber“ aufzählen.
Für viele, die das Problem vordergründig betrachten, ist die Pille „schuld“ daran. Fakt ist, seit Mitte der sechziger Jahre kann jede Frau damit verhü-ten. Diese Möglichkeit zur Geburtenkontrolle, quasi in eigener Verantwor-tung über das Wie und Wann der eigenen biologische Funktion entscheiden zu können, ist aber nicht die Ursache für unseren heutigen Geburtenrück-gang. Wenn die eigenen Wünsche die ausschlaggebende Motivation sind, Kinder zu bekommen oder nicht, dann sind Kontrazeptiva lediglich ein Re-gulativ.
Kostspielig. Auf der Suche nach den ausschlaggebenden Gründen für oder gegen Nachwuchs trifft man immer wieder auf die Frage: Kind oder Kon-sum? Ist sie wirklich so lapidar zu stellen? Geht es nur noch darum, sich ein Kind leisten zu können. Wie viel ist es wert? Unsere Wohlstandsentwick-lung ist zu einem Kraken geworden. Die Standards sind ins Unermessliche gestiegen. Der Maßstab des Kindes als eigene Persönlichkeit (den es früher so nicht gab), der man alles bieten können muss, hat das Elternsein kost-spielig gemacht wie nie zuvor. Lange Ausbildungszeiten müssen finanziert werden, zusätzlicher Wohnraum ist teuer, notwendige Anschaffungen von neuen Schuhen bis zum Büchergeld und zusätzliche „Luxusausgaben“ (Reitstunden etc.) - davon können alle Eltern ein Lied singen.
Gerade heute, wo die ökonomische Unsicherheit wächst, tun sich Barrieren speziell bei finanziell schlechter gestellten Gesellschaftsschichten auf. Erst eine materielle Basis scheint hier die notwendige Sicherheit zu schaffen.
Aber auch mit höherem Bildungsniveau gehen Ängste einher. Verliert man mit Kindern die eigene Unabhängigkeit oder Aufstiegschancen im Be-rufsleben? Außerdem muss doch auch der „richtige Zeitpunkt“ für das Kin-derkriegen gefunden werden und natürlich der „richtige“ Mann mit der richtigen Einstellung und entsprechendem Verantwortungsbewusstsein. So stellen viele Frauen ihren Kinderwunsch hintan, um ihn dann bei „Bedarf“ und Möglichkeit abzurufen. Dabei geraten sie leicht in die biologische Fal-le. Wenn sie sich dann beruflich so weit etabliert haben, dass Sie sich ein Kind „leisten“ könnten, ist es oft zu spät.
Selbstrechtfertigung. Gründe für die eigene Kinderlosigkeit werden wie aus der Schublade gezogen: „Ich habe nicht alle Voraussetzungen“, „Risiko Kind“, „ schlechte Umweltbedingungen“ und dergleichen mehr spiegeln Angst vor der Verantwortung und oft auch eine gehörige Portion Bequem-lichkeit wider.
Wer verunsichert ist, greift einfach zur Medienhilfe à la „Kinderkriegen, ein Nachdenkbuch“, um sich dort Anweisungen zum „richtigen“ Kinder-wunsch zu holen. Denkkategorien haben sich inzwischen breit gemacht, die manch Soziologen die fast ausschließlichen Wunschkinder nur noch als „Kopfgeburten“ bezeichnen lassen.
Dieses eine Wunschkind ist aber dann oft auch der Sinnmittelpunkt, auf den alle Wünsche und Erwartungen der Eltern projiziert werden. Das früher e-her negativ besetzte Bild vom Einzelkind hat sich inzwischen auch gewan-delt, was einen weiteren Geburtenrückgang bedingt.
Hemmschuh Kind. Sind wir zu kinderfeindlich? Das findet immerhin je-der Zweite in unserem Land (das mit die niedrigste Geburtenrate weltweit hat!). Seit 1970 werden die Alten immer mehr, Familien werden zu einer Minderheit, die Anzahl der Geschiedenen und der Singles hat sich verdop-pelt. Die wenigen Kinder sind Wunschkinder, die Abtreibung unliebsamen Lebens gesellschaftsfähig geworden. Kinder sind der Hemmschuh für die Selbstverwirklichung durch Karriere, Lebensqualität und traute Zweisam-keit.
Mit steigendem Einkommen und mehr Freizeit (das gab es früher ganz einfach nicht) hat der Spaß Hochkonjunktur. In einer Zeit des übersteiger-ten Individualismus verschlingt das Outfit für die neue Modesportart viel Geld. Die schnelle Scheidung ebenso...
Wachsende Zukunftsangst ist eine billige Ausrede, wenn Menschen keine Verantwortung für einen kleinen Menschen übernehmen wollen. Die Er-wartungshaltung an staatliche Unterstützung ist aber gleichzeitig immens.
Alles in allem ist die moderne Familie „museumsreif“. Fatalerweise pro-voziert dieser Satz gar nicht mehr.
Die demographischen Veränderungen sind gravierend. Zum Erhalt unserer jetzigen Bevölkerungsstruktur müsste jede Frau hierzulande im Schnitt 2,1 Kinder gebären, in Wirklichkeit sind es aber nur 1,3 (in den neuen Bundes-ländern liegt der Schnitt gar unter einem Kind pro Frau). Und das obwohl doch einer Befragung zufolge 70 Prozent der Deutschen eigentlich zwei Kinder ideal fänden.
Aber den „Deutschen scheint der Mut zum Kind zu fehlen“, denn trotz ihres Wunsches verzichten viele freiwillig auf Kinder. In der Politik wird dies immer nur auf die fehlenden Kinderbetreuungplätze geschoben. Eine Formel, die aber zu kurz greift.
Fehlender Rückhalt. Familien haben keine Lobby mehr, da sie mittlerwei-le zu wenig Wählerpotential darstellen, und Kinderlose sehen Kinder und Jugendliche sowieso immer kritischer. Die Kinderfeindlichkeit äußert sich vielfältig: Ob das nun fehlende Kindergartenplätze sind, unflexible Arbeits-plätze für Eltern, Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr oder steigende Umweltbelastungen. Diskussionen schüren zunehmend Ängste, und Kinder bedeuten in den Augen vieler doch nur Probleme, Stress und Nervenkrisen. So einfach ist das.
Und man/frau könne schließlich auch ohne Kinder glücklich sein, das be-haupten immerhin 44 Prozent auf die Frage nach den Gründen für ihre Kin-derlosigkeit. Die Kosten sind übrigens „nur“ für 30 Prozent abschreckend.
Familie macht glücklich. Dem sollte man aber entgegnen, dass laut einer anderen Umfrage 86 Prozent mit ihrer Familie glücklich sind, nachdem sie der „Sehnsucht nach Familie“ gefolgt sind und Elternsein als Chance beg-riffen haben und Kinder als ein Geschenk (der Liebe).
Auffallend oft dreht sich bei dieser Thematik viel um das liebe Geld, wie wenn es das Allheilmittel wäre, um Kinder auf die Welt zu locken. Die Verheißungen des Sozialstaats, mehr Kindergeld zu zahlen oder irgendei-nen „Famlienlastenausgleich“ zu schaffen, erhitzen die Gemüter.
Keine Frage: Die Rahmenbedingungen - vor allem für sozial Schwache - müssen stimmen. Das hat auch Kardinal Lehmann in einem Interview pos-tuliert und betont, dass es absolut inakzeptabel sei, dass Kinder ein Armuts-risiko darstellen. Aber am Klima der Kinderfeindlichkeit, in dem Kinder durch ihr bloßes Vorhandensein oder gar ihre Lautstärke lästig sind, wer-den auch bessere gesellschaftspolitische Voraussetzungen nichts ändern.
Keimt Hoffnung auf mit der bundesweiten Aktionswoche für das Leben der deutschen Kirchen im April dieses Jahres? Die Veranstaltungen standen un-ter dem Motto „Ein neuer Aufbruch mit Kindern“ und wollten das Be-wusstsein stärken, dass Kinder eine Chance und keine Belastung sind. Die positiven Werte der Familie werden auch immer wieder von Politikern be-tont wie etwa von Bundespräsident Horst Köhler kurz nach seiner Wahl im Mai 2005: „Kinder bedeuten Neugier, Kreativität und Zuversicht. Kinder sind Brücken in die Welt von morgen.“
Schlüssel zum Selbst. Sie sind eine große Chance zur Selbstverwirkli-chung und gegen den Trend, allem hinterher zu hecheln was gerade „in“ ist. Sie bieten die Chance, uns mit ihnen persönlich weiterzuentwickeln, Fähig-keiten wieder zu entdecken, die mit unserem durchrationalisierten Erwach-sensein verloren gegangen sind. Als Gegenpol zu einer rein Zweck orien-tierten Welt, in der insbesondere in der Berufswelt immer weniger Platz für Gefühle ist, kann durch Kinder ein Rücktausch an Spontaneität, Unbefan-genheit, Kreativität und Neugier auf die vielen Geheimnisse unseres Lebens geschehen. Selbstverständlich müssen Eltern viel an Zeit, Geduld, Einfüh-lung und Verständnis einsetzen, aber ist verhält sich damit in etwa wie mit dem Glauben: den bekommt der Mensch auch nicht einfach geschenkt, sondern muss ihn sich immer wieder erarbeiten. Aber dafür erhält er doch so viel zurück...
Nicht umsonst heißt es, dass Kinder der „magische Schlüssel“ zur eigenen Kindheit sind und helfen, dass Eltern das eigene Verhalten, ihre Schwächen und Stärken besser einordnen können.
Ist es nicht so, dass angesichts der eigenen Kinder, und auch ihrer Nöte und Sorgen, sich der Erwachsene selbst wieder erkennt, in einer Art Zeitspiegel, der seine Träume und Projektionen aufnehmen kann. Bleibt bei all unserem Wohlstand und Aktivitäten nicht irgendwann einmal (spätestens in Situati-onen, in denen ein Resümee des eigenen Lebens gezogen werden muss) ein Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit zurück? Das Unbehagen, ohne Kinder etwas Authentisches verpasst zu haben? Die Frage stellt sich dann doch, ob man sich wirklich „selbst verwirklicht“ oder nicht doch etwas verpasst hat.
Grundlagen des Menschenlebens. Es ist wahrlich nicht einfach, die Be-dürfnisse eines Kindes zu erfüllen. Oder doch? Es braucht als Basis Nähe und Zuwendung, die Vermittlung von Geborgen- und Sicherheit - und Zeit. Das bedeutet auch, dass es nicht zu jeder Veranstaltung mitgeschleppt wer-den sollte und dass ihm auch Freiräume zur Entfaltung seines eigenen We-sens geboten werden sollten. Denn es darf nicht nur nach den Bedürfnissen der Eltern, wie beispielsweise ihrem Ehrgeiz, geformt werden.
Welches sind denn die elementaren Grundlagen und -erlebnisse eines Menschenlebens? Der Glaube an eine höhere Macht, die Geburt eines Kin-des, der Tod der Eltern, das Heranwachsen des Kindes zu beobachten, seine Fortschritte zu sehen, sein Lächeln - im Alter vielleicht nicht allein sein zu müssen...
Lösung in Sicht? Unser Bevölkerungspegel bricht ein, in den Städten se-hen wir immer weniger Kinder, dafür umso mehr Autos. 2,9 Millionen über 80-Jährige leben in unserem Land, in 20 Jahren werden es 5 Millionen sein. 40 Prozent der Akademikerinnen des Jahrgangs 1965 werden kinderlos bleiben. Wir stehen auf der Geburtenbremse.
Wer soll diese Krise lösen? Jemand mit der Einstellung „Was geht mich das an, nach mir die Sintflut!“ bestimmt nicht. Sie ist aber symptomatisch für den Egoismus in unserer Gesellschaft. Kinder sind aber auch kein Pri-vatvergnügen wie ein schickes Auto, denn es geht um unsere lebenswerte Zukunft. Ein Umdenken ist gefragt und neue politische Weichenstellungen müssen getroffen werden, die nicht nur solche „familienpolitischen Meilen-steine“ wie Erhaltung und Ausbau von Kindergartenplätzen bringen, son-dern auch pragmatische Unterstützung für Familien, indem sie helfen, deren finanzielle Lasten besser auf die Solidargemeinschaft zu verteilen.
Wenn wir einmal alt sind, wer wird uns anlächeln? Mein 9-jähriger Sohn tut dies jeden Morgen, wenn wir (nach der Diskussion um sein nicht aufge-räumtes Zimmer) vor der Schule voller Spaß unser obligatorisches Tisch-fußballspiel absolvieren und jeder dann seinem Tagwerk nachgeht.