Bestattungskultur im Wandel

21. Oktober 2011 | von

In Deutschland gibt es inzwischen mehr Einäscherungen als Erdbestattungen. Manche wollen der nachfolgenden jüngeren Generation mit einer kostenträchtigen Grabpflege nicht unnötig zur Last fallen. Es stellt sich vermehrt die Frage nach einem würdigen Platz für die Urne. Leer stehende Kirchen werden zu Kolumbarien umgewidmet. Ist die Urnenbeisetzung unter einem Baum im Friedwald noch Ausdruck christlicher Auferstehungshoffnung? Eine Anfrage an Theologie und Seelsorge.





In dieser unserer Zeit werden die Angebote und Möglichkeiten in jedem Bereich des Lebens vielfältiger, Traditionen brechen zunehmend zusammen. Auch die klassische Bestattungskultur ist vor diesem Wandel nicht gefeit, so dass vielfach neue Trends erkennbar sind. Zumeist fehlt den Angehörigen einer noch lebenden alternden Person schon die Zeit, sich um diese ausführlich und intensiv zu kümmern. Der Beruf, bei dem hohe Flexibilität auch in der Wahl des Wohnortes gefordert ist, oder mangelnde Kräfte und Erfahrungen scheinen die Gründe dafür zu sein, den Alternden nicht mehr zu Hause pflegen zu können. Ebenso ist es bei der Grabpflege auf dem bisher klassischen Friedhof nach dem Tod des Angehörigen. Mit der Hektik und der Schnelllebigkeit einher geht die zunehmende Vereinsamung älter werdender Menschen, die keinen anderen Weg sehen, als sich anonym „irgendwo“ bestatten zu lassen, da sie niemanden haben, der sich um ihre Grabstätte kümmern könnte. Wenn sie noch Angehörige haben, wollen sie diesen zumeist keine Mühe aufbürden und selbst im Tod keine etwaige Belastung darstellen.



FRIEDWALD UND RUHEFORST

Diese Gründe führen dazu, dass es schon heute in Deutschland mehr Kremationen als „herkömmliche“ Bestattungen im Sarg gibt. Gegenwärtig werden bundesweit bereits etwa 60 Prozent aller Verstorbenen eingeäschert. Diese Zahl weist darauf hin, dass für die Beisetzungen von Urnen nach neuen Formen gesucht werden muss. Denn: der Bedarf scheint da zu sein. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Im Vergleich zur Sarg- ist eine Urnenbestattung eine kostengünstigere Lösung. Immer häufiger führen finanzielle Aspekte bei den Menschen zur Suche nach alternativen Formen.

Die alternativen Formen zur Erdbestattung sind zahlreich: Weltraumbestattung, Seebestattung, Luftbestattung, Diamantbestattung… Nicht alle Modelle sind gesetzlich in Deutschland erlaubt. Am meisten nachgefragt ist zum einen der Friedwald bzw. Ruheforst: Auf einem ausgewiesenen Waldstück wird die Asche des Verstorbenen in einer verrottbaren Urne an den Wurzeln eines Baumes beigesetzt. Noch zu Lebzeiten kann man sich den Baum, an dem man später einmal bestattet werden möchte, aussuchen. Die Preise variieren je nach Lage des Baumes im Friedwald oder hängen davon ab, ob die naturbezogene Bestattung an einem „Familienbaum“, einem „Gemeinschaftsbaum“ mit etwa acht Urnenplätzen oder in einer Einzelgrabstätte erfolgt. Der Name des Verstorbenen kann auf einer Metallplakette am Baum befestigt werden.



TAUBENHÄUSER

Während der festgesetzten Ruhezeit von 20 Jahren ist keine besondere Pflege des Baumes oder des Grabplatzes davor nötig und sogar auch nicht erwünscht. Der ganze Friedwald soll den natürlichen Zustand eines Waldes behalten. Ohne Kerzen, ohne Blumen. Die Grabpflege übernimmt die Natur. Inzwischen sind in Deutschland weit über 80 Friedwälder oder Ruheforste entstanden. Das zweite, relativ neue Phänomen in der Bestattungskultur ist das Kolumbarium. Hier dient eine Kirche als Urnenbegräbnisstätte. Das Wort Kolumbarium stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Taubenschlag und dann auch Totenkammer. Das Kolumbarium als Begräbnisort für Urnen war bereits in römischer Zeit bekannt und ähnelte tatsächlich Taubenhäusern, wovon der Name abgeleitet wurde. Im heidnischen Rom um 50 v. Chr. war das aufkommende Kolumbarium vornehmlich eine Grabstätte für finanziell Minderbemittelte bzw. vor allem für Sklaven, deren reiche Herren sie preisgünstig und ohne Aufwand bestatten wollten. Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. nahm diese Form der Beisetzung zugunsten der Ganzkörperbestattung ab. Das erste Kolumbarium in Deutschland entstand durch die Einführung der Feuerbestattung 1878/79 in Gotha in Form einer Säulenhalle.



NUTZUNG ALS BEGRÄBNISKIRCHE

Im Kirchenraum selbst durften zunächst nur hochrangige Geistliche, später auch Adlige und andere wichtige Personen bestattet werden, bis die Körperbestattung in Kirchenräumen im 18. Jahrhundert verboten wurde. Es gilt Canon 1242 des katholischen Kirchenrechts: „In Kirchen dürfen Leichname nicht begraben werden, sofern es sich nicht um die Beerdigung des Papstes, der Kardinäle oder der Diözesanbischöfe, auch emeritierter, in ihrer eigenen Kirche handelt.“ Wenn daher heute eine Kirche als Begräbnisstätte für die Allgemeinheit genutzt wird, ist eine (Teil-) Profanierung, eine Entweihung, unerlässlich.

Die erste Begräbniskirche konnte 2004 in der Pfarrkirche Erscheinung Christi der altkatholischen Gemeinde Krefeld eröffnet werden. 2006 schloss sich das erste Kolumbarium in der römisch-katholischen Kirche St. Josef in Aachen an, 2007 dann in der Allerheiligenkirche Erfurt. Inzwischen sind viele weitere Kolumbarien in Kirchenräumen entstanden, einige in Planung.



URNEN IM KOLUMBARIUM

Kaum ein Bistum in Deutschland befindet sich momentan nicht in einer Strukturreform, bei der ehemals selbständige Pfarreien zusammengelegt oder Kirchen als gewöhnlicher Gemeindegottesdienstraum geschlossen werden. Somit bietet sich grade die Nutzung einer solchen „ausrangierten“ Kirche, die als reiner Gottesdienstraum keine Verwendung mehr findet, als Kolumbarium an. Für die Mitglieder der Gemeinde, zu der eine solche Kirche gehört, scheint diese Lösung – trotz vieler schmerzhafter Prozesse, die mit einer Umnutzung „ihrer“ Kirche zusammenhängen – eine geniale zu sein: Der Kirchenraum als solcher bleibt bestehen und findet weiterhin eine, wenn auch anders geartete Verwendung, die dennoch mit dem christlichen Glauben in Einklang zu bringen ist.

Die Kategorialseelsorge in der Kirche nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Ein Kolumbarium kann daher einhergehen mit der Einrichtung eines seelsorglichen Schwerpunktes für Trauerbegleitung innerhalb einer (Groß-) Pfarrei, eines Dekanates oder einer Stadt. Folglich rücken der Verstorbene und die Angehörigen gleichermaßen ins Blickfeld: Für den Verstorbenen wird bei der Trauerfeier gebetet, und auch den Angehörigen mit ihren je eigenen Bedürfnissen der Trauerbewältigung wird man gerecht.



PASTORALE HERAUSFORDERUNG

Trotz aller Gründe, die für die Eröffnung eines Kolumbariums in einem Kirchenraum angeführt werden können, äußert Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Albert Gerhards Kritik und erwähnt, „dass es sich dabei keineswegs um ein Allheilmittel handelt, dass vielmehr eine Reihe von Umständen zusammenkommen muss, um ein solches Vorhaben zu rechtfertigen“. Angesichts der vielfältigen Bestattungsangebote, die großteils auch außerhalb der christlichen Tradition anzusiedeln sind, steht die Kirche vor einer Herausforderung. Sie muss auf den momentanen Wandel in der Bestattungskultur reagieren und sich dadurch auszeichnen, dass sie z.B. den würdevollen Umgang mit den Toten fördert und die Trauernden stärkt. Dies kann vor allem dadurch geschehen, dass sie die frohe Botschaft des Evangeliums bezeugt und damit die den Menschen geschenkte Hoffnung auf die Auferstehung stärker in Erinnerung ruft. Grade die liturgischen Texte eines katholischen Begräbnisses sehen zahlreiche Trost- und Hoffnungsworte vor, die den Umgang mit Tod und Trauer in ein anderes Licht stellen. Eine erste Reaktion zeigte die Kirche bereits 1963, als sie das Verbot der Kremation Verstorbener aufhob. Wenn durch eine Einäscherung der Glaube an die Auferstehung nicht geleugnet wird, ist sie durchaus erlaubt. Da der Leib des Menschen aber „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19) ist, betont die Kirche dennoch: „Wie in den ersten Christengemeinden gilt in der Kirche bis heute das Erdbegräbnis als die vorrangige und bevorzugte Form der Bestattung. (…) Gerade in der Beerdigung des Leibes bezeugt der christliche Glaube die Würde der Schöpfung.“ Eine Spannung also besteht. Wichtig jedoch bleibt: Da der Mensch vor Gott einzigartig und von ihm geschaffen ist, MUSS bei einem katholischen Begräbnis sowohl im Kolumbarium als auch auf dem Friedwald der Name bei der Urne geschrieben stehen.



TRAUERBEGLEITUNG UND GEBET

Die Einrichtung eines Kolumbariums bietet eine gute Gelegenheit, ausführliche Konzepte einer Gemeinde zur Trauerpastoral in dieser umgenutzten Kirche zu gestalten mit dem Ziel, das Thema Tod zu enttabuisieren, der Kirche Fernstehende zu erreichen und Trost zu spenden in individueller Trauerbegleitung der Angehörigen. So können die christliche Auferstehungshoffnung und die Trostzusagen, die der Glaube bereithält, neu in den Blick genommen und damit Geborgenheit vermittelt werden.

Die Auferstehungskirche Heilig Kreuz in Mülheim an der Ruhr macht es beispielhaft vor. Dass es sich dabei mehr als bloß um einen Bestattungsort für Urnen handelt, zeigt bereits der Titel „Pastorales Trauerzentrum und Urnenbegräbnisstätte“. Neben Trauerseminaren, Trauercafés, Informationsveranstaltungen, Konzerten und seelsorglicher Begleitung in Gruppen- oder Einzelgesprächen wird zur regelmäßigen Feier von Gottesdiensten eingeladen. In der heiligen Messe am Sonntagabend wird namentlich der verstorbenen Mülheimer Christen der jeweils vergangenen Woche gedacht, freitags um 15 Uhr wird eine Andacht zur Sterbestunde des Herrn gehalten. Unterhalb der Kirche liegt der „Saal der Begegnung“, der als Tagungsraum auch für Trauergäste vor und nach der Trauerfeier genutzt werden kann.



ARCHITEKTONISCHE GESTALTUNG

Ein weiteres Element der Trauerbewältigung ist das Angebot für die Angehörigen, während der ersten sechs Wochen nach der Beisetzung einen Schlüssel zur Kirche zu erhalten, um den Begräbnisplatz des Verstorbenen auch in den Abendstunden aufsuchen zu können.

Dass bei der Einrichtung und Neugestaltung eines Kolumbariums eine architektonisch-theologische Ausgeklügeltheit dessen Attraktivität steigert, zeigen die Entwürfe für die Grabeskirchen Hl. Herz Jesu in Hannover-Misburg und Heilige Familie in Osnabrück. Bei ersterer sollte als „Urnenstelen“ ein Feld von dünnen, zwei Meter hohen Bronzestäben aufgestellt werden, die zwei Aschekapseln, also das Innere der normalerweise bekannten Schmuckurnen, aufnehmen. Die Vielzahl der Stäbe erinnert an ein Getreidefeld, bezugnehmend auf das Johannesevangelium 12,24: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Am oberen Ende der Stäbe ist eine kreuzförmige Einkerbung zu finden, die eine Ähre symbolisiert. Diese Frucht ist Zeichen für die Verbindung von Tod und Auferstehung. Der Mensch muss durch den Tod gehen, um zum Leben zu gelangen. Der Name des Verstorbenen sollte in den Stab eingraviert werden. Dieses theologisch durchdachte Konzept konnte wegen Finanzierungsschwierigkeiten nicht realisiert werden. Stattdessen kam es zu einer Aufstellung von übereinander an dünnen Eisenstäben befestigten Glasschreinen, die die Himmelsleiter in der Jakobsgeschichte aus dem Buch Genesis versinnbildlichen. In den Glasschrein wird die Schmuckurne hineingesetzt.

Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück hingegen ist eine Rundkirche, deren ursprünglicher Gottesdienstraum verkleinert wurde. Das Rund der Kirche wird in den eingefügten Urnenwänden, die den Gottesdienstraum wie einen Mantel umgeben, übernommen. In die Urnenwand werden die Urnen hineingesetzt und mit Verschlussplatten aus heller Bronze, Zeichen für das Himmlische, versehen. Interessant ist, dass hier Gemeindekirche und Kolumbarium in einem Raum eine Synthese eingehen und so die Verbindung von Tod und Leben sehr deutlich wird, vor allem durch den Taufbrunnen am Eingang der Kirche hinten.



DISKUSSION MUSS GEFÜHRT WERDEN

Es gibt zahlreiche Blickwinkel, aus denen eine Befürwortung oder Ablehnung eines Kolumbariums in einer Kirche gesehen werden können. Theologische, wirtschaftliche und pastorale Gesichtspunkte spielen bei der Frage der Einrichtung eines Kolumbariums eine Rolle und werden weiterhin heiß diskutiert werden und vermutlich umstritten bleiben. Ob ein Kolumbarium tatsächlich die beste Lösung ist, auf die gegenwärtigen Trends zu reagieren, bleibt offen. Prof. Gerhards ist sich aber sicher: „Grabeskirchen sind eine Herausforderung, der zu stellen es sich lohnt.“



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016