Kardinal Julius Döpfner
Hundert Jahre wäre er heuer am 26. August alt geworden, ist aber bereits mit 62 Jahren verstorben. Noch im Königreich Bayern geboren, hat er zwei Weltkriege erlebt. Drei Bistümer waren ihm anvertraut: Würzburg, Berlin und München. Als einer der vier Moderatoren prägte er das Zweite Vatikanische Konzil. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz verantwortete die „Königsteiner Erklärung“ und war Präsident der Würzburger Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland.
Praedicamus crucifixum – Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten, diesen Satz aus dem ersten Korintherbrief (1,23) wählte der 35-jährige Priester Julius Döpfner, als er im Jahr 1948 zum jüngsten katholischen Bischof ernannt und geweiht wurde. Julius Döpfner hatte den Blick auf den leidenden Christus sicher bewusst gewählt, denn dies entsprach seinen bisherigen Lebenserfahrungen; er hatte bis zu diesem Moment schon das Grauen der beiden Weltkriege erlebt.
KINDHEIT VOLLER ENTBEHRUNG
Julius Döpfner wurde am 26. August 1913 in dem kleinen Ort Hausen bei Bad Kissingen geboren. Er war das vierte von fünf Kindern von Matthäus und Maria Döpfner. Der Vater arbeitete als Hausdiener in einem Hotel in Bad Kissingen. Die Mutter führte den Haushalt und bestellte mit den Kindern die Felder mit Kartoffeln, Hülsenfrüchten und Getreide. Das Wasser mussten sie am Brunnen holen und das Holz im Wald sammeln. Not, Krankheit und auch der Tod prägten die ersten Lebensjahre des jungen Julius. Am 4. August 1923, Julius war noch keine zehn Jahre alt, starb sein Vater.
Lehrer und Kaplan erkannten die Begabung des Jungen und drängten die Mutter, ihren Sohn auf das Gymnasium zu schicken. Das erste Jahr des Gymnasiums absolvierte er in Münnerstadt, dann wechselte Döpfner 1925 in die Bischofsstadt Würzburg, lebte im bischöflichen Knabenseminar und besuchte das Neue Gymnasium (heute: Riemenschneider Gymnasium). Als Klassenbester legte er 1933 das Abitur ab.
WEG ZUM PRIESTERBERUF
Schon früh war in Julius Döpfner der Wunsch erwacht, Priester zu werden. „Ich habe als Kind erlebt, was die Kirche für den Menschen bedeutet, und zumal in den Krankheitstagen meines Vaters gesehen, was ein eifriger Priester dem Menschen geben kann“, sagte er einmal rückblickend in einem Interview. Nach einem Semester an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg setzte Döpfner im Herbst 1933 seine Studien der Philosophie und Theologie in Rom fort. Er studierte an der päpstlichen Universität Gregoriana und lebte im „Germanicum“, dem von Jesuiten geführten Priesterseminar der deutschen Bistümer, bis heute eine Art „Kaderschmiede“ für künftige deutsche Bischöfe. Im Oktober 1939 empfing er in Rom die Priesterweihe. Nach weiteren zwei Jahren hatte er seine Doktorarbeit über John Henry Newman fertiggestellt und kehrte 1941 nach Würzburg zurück.
In den Jahren des Zweiten Weltkriegs mit ihren unermesslichen Leiden für viele Familien wirkte Julius Döpfner als Kaplan in Großwallstadt, Schweinfurt und Gochsheim. 1944 wurde er zunächst als Präfekt am diözesanen Knabenseminar Kilianeum, ab 1945 dann als Subregens im Würzburger Priesterseminar eingesetzt. Als der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried im Mai 1948 starb, wurde der 35-jährige Julius Döpfner von Pius XII. zu dessen Nachfolger ernannt.
JÜNGSTER BISCHOF EUROPAS
Die Herausforderungen an den jungen Bischof waren gewaltig: Der Krieg hatte verheerende Zerstörungen hinterlassen, vor allem auch in seiner Bischofsstadt Würzburg. Millionen von Heimatvertriebenen mussten integriert werden, die wirtschaftliche Not war allerorten spürbar, aber vor allem bedurfte es neuer geistiger und ethischer Orientierung nach dem Rassenwahn der Nationalsozialisten. Oskar Neisinger schreibt über das Wirken Döpfners: „Wo immer Döpfner sprach in Kirchen oder Versammlungsräumen, da lauschten Menschen, denen sehr irdische Sorgen das Herz schwer machten – wo bekomme ich Dachpappe für mein Nothaus, was essen wir morgen, wie finde ich Arbeit? –eng geschart auf sein Wort.“ Diese Zeilen belegen, dass Döpfner als Seelsorger und Bischof den Menschen nahe war, ihre Nöte und Sorgen teilte und Initiativen ergriff, um diese zu lindern.
So gründete er im Januar 1949 das St.-Bruno-Werk als Wohnungsbaugenossenschaft. Sein programmatischer Satz „Wohnungsbau ist heute in Wahrheit Dombau, Wohnungssorge ist Seelsorge“ verdeutlicht seine Nähe zu den Menschen in Not und auch die Klarheit seiner Theologie aus dem Geheimnis der Inkarnation (Menschwerdung) Gottes. Auch die Katholische Akademie Domschule wurde von ihm gegründet, um die geistigen und spirituellen Fundamente der Menschen zu stärken. Rastlos war Döpfner neun Jahre lang in den Gemeinden seines Bistums unterwegs, vom Spessart bis zum Steigerwald, von der Rhön bis zum Ochsenfurter Gau. Auch den 30.000 Katholiken in der thüringischen Diaspora unter russischer Besatzung galt seine Aufmerksamkeit und Sorge.
Bei der Einweihung der neu erbauten Zuckerfabrik Ochsenfurt kam es im Juni 1953 zu einem Eklat. Entgegen den damaligen Vereinbarungen wollte auch der evangelische Dekan sich an der Segnung beteiligen. Als Döpfner das kurz vor Beginn der Feier erfuhr, drohte er mit seiner Abreise. Die Segnung wurde daraufhin – wie zunächst vereinbart – nur von ihm durchgeführt. Er selbst bezeichnete später diese Affäre, die bundesweite Wellen schlug, als „die schwerste Prüfung meiner fränkischen Jahre“. Wenige Wochen später schrieb er in einem Versöhnungsbrief an den evangelischen Dekan: „Sie wissen aus meinen Erklärungen, dass mir an dem bitteren Tag von Ochsenfurt eine Kränkung der evangelischen Christen, der evangelischen Kirche und damit auch Ihrer Person völlig fernlag.“
BISCHOF IN BERLIN
Wie ein Schlag traf 1957 die Würzburger Diözesanen die Meldung, dass Papst Pius XII. ihren Bischof zum Bischof von Berlin ernannt hatte. Schweren Herzens nahm Julius Döpfner Abschied von seinem Heimatbistum und stellte sich mit Entschiedenheit den neuen Aufgaben in Berlin.
Im August 1958 fand der 78. Deutsche Katholikentag in Berlin statt. Ein letztes Mal konnten ca. 60.000 Katholiken aus dem Gebiet der DDR daran teilnehmen. Bewegend blieben Döpfners Schlussworte an die Versammelten: „Wir gehen auseinander und bleiben doch zusammen. Wir bleiben zusammen mit helfenden Händen … Wir bleiben zusammen mit betenden Herzen … Wir gehören zusammen im Herzen Christi, aus dem uns das Heil geflossen ist.“ Um den Kontakt mit den Gläubigen in der DDR zu halten, wählte Döpfner das Medium des Rundfunks. Sein „Wort aus Berlin“ erreichte sie nun alle 14 Tage via Radio. Im Dezember 1958 ernannte der damals neu gewählte Papst Johannes XXIII. in seinem ersten Konsistorium Julius Döpfner zum Kardinal, eine Ehrung für seine Person wie auch für das bedrängte Bistum Berlin.
EIN MANN KLARER WORTE
In Döpfners Berliner Jahre gehört auch eine Initiative der Aussöhnung mit Polen. In der Hedwigs-Predigt 1960 wurde er sehr deutlich: „Ich meine, beide Völker müssten völlig darauf verzichten, sich gegenseitig Untaten vorzurechnen. … Für die Zukunft ist die friedvolle Gemeinschaft der Völker und Staaten wichtiger als Grenzfragen.“ Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil führten die dort versammelten deutschen und polnischen Bischöfe diese Initiative mit einem offiziellen Briefwechsel weiter. Bei einem Gottesdienst zu Ehren des seliggesprochenen Minoritenpaters Maximilian Kolbe sagte Döpfner im Oktober 1971: „Pater Kolbe ist ein Märtyrer der Versöhnung. Es treibt uns, von unseren polnischen Brüdern Vergebung für alles Böse zu erbitten, was sie durch Deutsche erleiden mussten, und allem Geist des Aufrechnens zu entsagen.“
Döpfner war ein Mann, der klare Worte liebte und Halbheiten ablehnte. Deswegen war es ihm ein besonderes Anliegen, für die Opfer der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Zeit der Nazidiktatur (1933-1945) eine Kirche zu errichten. Am 12. November 1960 legte er den Grundstein für die Kirche Maria Regina Martyrum, die er auch am 5. Mai 1963 konsekrierte. Seit 50 Jahren wird dort der bekannten (Bernhard Lichtenberg, Alfred Delp SJ) und unbekannten Menschen gedacht, die dem Rassenwahn und den Gräueln der NS-Zeit widerstanden und diesen Einsatz mit dem eigenen Leben bezahlten.
MÜNCHEN UND KONZIL
Papst Johannes XXIII. ernannte im Sommer 1961 Kardinal Julius Döpfner zum Erzbischof von München und Freising. Die ersten Jahre in seinem neuen Erzbistum waren bestimmt durch Döpfners Mitarbeit beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Schon in Berlin hatte er sich an den Vorbereitungsarbeiten mit den von ihm verfassten „Consilia et Vota“ beteiligt. Johannes XXIII. hatte ihn auch in die vorbereitende Zentralkommission berufen. Mit dem Kölner Kardinal Frings bildete Döpfner auf dem Konzil eine „Art Doppelspitze der deutschen Bischöfe“ (S. Mokry). 16 Mal griff er als Debattenredner – oft im Namen der rund 80 deutschsprachigen Bischöfe – in die Diskussionen ein. Er unterstützte das neue Bild der Kirche als „Volk Gottes“, das pilgernd seinen Weg durch die Zeit geht. Er stimmte mit dem Anliegen Johannes‘ XXIII. voll überein, dass sich die Kirche den Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen habe.
Der neu gewählte Papst Paul VI. übertrug ihm 1963 für die weiteren Sitzungsperioden des Konzils eine Aufgabe, die Döpfner nun endgültig zu einer der prägenden Gestalten des Konzils machte. Er ernannte ihn – zusammen mit den Kardinälen Léon-Joseph Suenens (Mecheln-Brüssel), Giacomo Lercaro (Bologna) und dem armenischen Kurienkardinal Krikor Bedros Agagianian – zu einem der vier Moderatoren des Konzils. Da sich die Kardinäle Suenens, Lercaro und Döpfner gut verstanden und auch theologisch eine Linie vertraten, vermochten sie dem Konzil wichtige Impulse zu geben und hatten einen erheblichen Anteil am Gelingen der Konzilsarbeiten.
VORSITZ DER BISCHOFSKONFERENZ
Kurz vor dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde Julius Döpfner am 2. Dezember 1965 zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. Er hatte sich nun für die Umsetzung des Konzils nicht nur in seiner Diözese, sondern für die ganze deutsche Kirche einzusetzen.
Mitten in die euphorische Aufbruchsstimmung nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils hinein platzte 1968 die Veröffentlichung der Enzyklika „Humanae vitae“ durch Papst Paul VI. Die rigorose Ablehnung jeder künstlichen Verhütung war vielen, vor allem jungen Katholikinnen und Katholiken, nicht vermittelbar. Döpfner war als Vorsitzender maßgeblich an der Stellungnahme der deutschen Bischöfe beteiligt. Die „Königsteiner Erklärung“ betonte das Recht des einzelnen zur Gewissensentscheidung auch in Fragen der Empfängnisverhütung. In diesem Zusammenhang muss auch das entschlossene Eintreten Döpfners für den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens im Paragraph 218 erwähnt werden, für den er in vielen Gesprächen mit hochrangigen Politikern eintrat.
WÜRZBURGER SYNODE
In seinem Erzbistum München-Freising ergriff Kardinal Julius Döpfner modellhafte pastorale Initiativen. Auf elf Priestertagen ging es um die Entwicklung landessprachlicher Gottesdienste, um den Mitvollzug der ganzen Gemeinde an der Liturgie. Die Beteiligung der Laien wurde ermöglicht; 1968 wurden die ersten Kommunionhelfer beauftragt, 1971 die ersten sieben Pastoralassistenten ausgesandt. Auch Pfarreien und Dekanate und ihre Gremien wurden neu strukturiert.
Um das Konzil in Deutschland umzusetzen, fand von 1971 bis 1975 in Würzburg die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland statt. Kardinal Döpfner war der Präsident der Synode, der bedeutende Theologe Karl Rahner nannte ihn gar „die Seele der Synode“. Die 18 Beschlüsse der Synode sind auch vierzig Jahre später noch aktuell und warten teilweise noch auf ihre Verwirklichung.
ABSCHIED UND NACHLASS
Die vielfältigen Aufgaben und Termine, die Kardinal Julius Döpfner seit den Konzilsjahren zu bewältigen hatte, führten seit 1969 zu gesundheitlichen Problemen. Mehrfach musste er sich ins Krankenhaus begeben oder durch Kuren seine Gesundheit stärken. Niemand konnte ahnen, dass die Segnung des Fürstenrieder Gymnasiums am 23. Juli 1976 seine letzte Amtshandlung sein würde. Am Morgen des 24. Juli wollte er um 8.00 Uhr zur Behandlung zum Arzt gehen. Doch er musste umkehren, legte sich im Pförtnerzimmer auf das Sofa und verstarb.
Die Worte seiner Silvesterpredigt 1975 sind auch 40 Jahre später wegweisend für den Weg der Kirche in Deutschland, die in einem mehrjährigen Dialogprozess (2012-2015) um einen gemeinsamen Weg ringt: „Wir wollen einander annehmen und ertragen. Das besagt, dass wir miteinander reden, hinhören, uns informieren lassen, die Motive und die letzte Einstellung des anderen zu verstehen suchen, uns sorgfältig vor Unterstellungen hüten, eigene Missgriffe eingestehen, immer wieder neu mit unserem und der anderen Versagen rechnen und zur Verzeihung bereit sind.“