Hoffnung - trotz Angst, Flucht und Not
Ich bin im Libanon, in Zhale, circa 60 Kilometer von der Hauptstadt Beirut entfernt. Von Italien aus sind es nur drei Stunden Flug, und doch fühle ich mich wie am Rand der Welt. Vor mir liegt das Bekaa-Tal, das fruchtbarste Tal des Libanon. Und doch sehe ich weder Bäume noch angebaute Äcker, sondern nur Felder, auf denen keine Pflanzen, sondern die Zelte syrischer Flüchtlinge „wachsen“: Die ortsansässigen Bauern stellen ihre Felder gegen Geld den Flüchtlingen zur Verfügung. Hinter den Bergen, die das Tal einrahmen, liegt Syrien. Die Hauptstadt Damaskus – einstmals Knotenpunkt verschiedener Religionen und Kulturen, heute im eisernen Griff des Islamischen Staates – ist nur 100 Kilometer von hier entfernt. Diesseits der Berge: eine Zwangspause, ein erzwungenes Warten ohne Zeit. Auf der anderen Seite der Krieg, die Grausamkeiten des IS, die intelligenten Bomben der technologisch entwickelten Staaten. Es ist schwierig, die wechselnden Allianzen und ihre Interessen zu verstehen. Das einzige, was sicher ist, ist die lange Reihe der Zelte und der Schicksale, die in der Luft hängen. Das Bekaa-Tal wirkt auf mich wie Niemandsland, eine Zwischenwelt. Eine jener Peripherien, von denen Papst Franziskus sagt, dass sie das Schicksal der Welt entscheiden werden.
Ein Zentrum für die Hoffnung
Die schwierigen Zeiten verlangen von uns Minderbrüdern und auch von Ihnen, liebe Unterstützer und Gönnerinnen der Caritas Antoniana, dass wir versuchen, uns zumindest in Gedanken vorzustellen, wie es ist, diese Zwischenwelten zu bewohnen, Hoffnung zu suchen, damit die Geschichte neu beginnen kann und die leidenden Völker in ihre Heimat zurückkehren können, ohne ihr Leben auf wackeligen und unsicheren Flüchtlingsbooten zu riskieren. Wir versuchen, diese Welt so zu bewohnen, wie der heilige Franziskus und der heilige Antonius es getan hätten, mit dem Blick der Geringsten und mitten unter ihnen. In Zhale möchten wir deshalb ein dem heiligen Antonius gewidmetes Caritas-Zentrum einrichten. Aber es wird kein Caritas-Zentrum im klassischen Sinn sein. Das fängt ja schon bei seinen „Nutzern“ an: Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Ein bunter Mix aus Religionen, Nationen und vor allem aus Leid.
Helfen, wo Not ist
Der Konvent der Brüder von Zhale wurde erst im Jahr 2010 gegründet. Die kleine Kirche ist noch im Bau. Die Not der Menschen und der vielen Flüchtlinge haben den kleinen Konvent zu einer Art Umschlagplatz werden lassen: Hier kochen vierzig Frauen im Wechsel für diejenigen, die sich keine warme Mahlzeit zubereiten können, die Pfadfinder sammeln Lebensmittelspenden für die Flüchtlingslager, eine große Gruppe von Laien der Franziskanischen Gemeinschaft organisiert Aktivitäten für die Armen. Und dieses ganze Orchester wird dirigiert von dem gesetzten, großzügigen Bruder, der mich vom Flughafen abgeholt hat und mich nun auf dieser Reise führt: Er heißt Cesar, ist 45 Jahre alt und kommt aus dem Libanon. Er erstaunt mich von Anfang an: Er bewegt sich in diesem Chaos mit einer entwaffnenden Natürlichkeit und leitet das Ganze mit der Ruhe eines Arztes in der Notaufnahme. Hier passt das Bild von der Kirche als Feldlazarett, das Papst Franziskus so gerne mag, wirklich punktgenau. Er erklärt mir: „Siehst du, Giancarlo, wir können das machen, weil wir so sind wie sie. Auch wir Brüder sind unterschiedlicher Nationalität mit unterschiedlichen Geschichten und unterschiedlichem Leid.“ Ich glaube, dass dieser kleine Konvent hier im Mittleren Osten, der Wiege der Christenheit, wo jedoch die Christen immer weniger werden, wie ein Leuchtturm wirkt. Cesar fährt fort: „Hier im Libanon stehen wir vor einer großen Herausforderung. Wir sind vier Millionen Einwohner und haben derzeit zwei Millionen Flüchtlinge.“ Ganz automatisch vergleiche ich diese Schilderung, die Cesar ohne Wertung und ohne Beschwerde macht, mit den manchmal schon fast hysterischen Reaktionen der 28 EU-Staaten.
Blick in die Zukunft
Mit dem Auto fahren Cesar und ich ins Flüchtlingslager, das Camp von El Fayda, in dem circa 500 Menschen leben. Der erste Eindruck ist der großer Würde. Hier gibt es Zelte und aus Resten zusammengeschusterte Hütten, aber alles wirkt ordentlich. Manch einer hat sogar Blumentöpfe improvisiert. Der zweite Eindruck ist der von Zufriedenheit und Freude: Die Kinder rennen Br. Cesar entgegen. Sie spielen mit ihm, feiern ihn, und er teilt Bonbons aus. In ihrem Allround-Lieferwagen, mit dem sie ansonsten auch Kleiderpakete, Medikamente oder Handpuppen transportieren, bringen die Brüder Trinkwasser ins Camp. Die Freiwilligen kommen mindestens zweimal die Woche mit warmen Mahlzeiten. Aber das, was wirklich einen Unterschied macht, sind die zwei Zelte, die mitten im Lager aufgeschlagen wurden, das Zentrum aller Aktivitäten der Brüder und der Freiwilligen: „Wir kommen nicht nur, um schnell Lebensmittelpakete abzuliefern, wie es in anderen Camps üblich ist, sondern um zu teilen, aufzubauen, nach vorne zu schauen!“ In den Zelten der Brüder wird das Leben im Lager leichter: Vor allem versuchen sie, Unterricht zu halten, damit der Krieg den Kindern nicht auch noch ihre Zukunft zerstört; dann wird gespielt, gemalt, gebastelt. „Zu den Freiwilligen gehören auch Psychologen, die den Frauen und Kindern helfen, ihre Schicksale und Kriegserfahrungen zu verarbeiten, andere kümmern sich um die Aufklärung zu den Themen Gewalt und Missbrauch, die in solchen Lagern leider an der Tagesordnung sind.“
Aber bei den freudigen Stimmen der Kinder bin ich doch irgendwie erleichtert. Ein paar Bänke, eine Tafel und ein paar Buntstifte können die Welt verändern. Pater Cesar scheint meine Gedanken zu lesen: „Hier ist es so, aber in den meisten Lagern gibt es gar nichts. Da besteht das Risiko, die Hoffnung ganz zu verlieren, und dann bleibt nur noch die Flucht nach Europa. Um jeden Preis, auch den, dabei das eigene Leben und das seiner Kinder aufs Spiel zu setzen.“
Bedrückende Not
Je länger ich im Flüchtlingscamp umhergehe und je konkreter die Geschichten werden, desto mehr bewegt mich die Not der Menschen. Da sind zum Beispiel Rim und Mansur und ihre drei kleinen Kinder. Sie laden mich ein in ihr Zelt. Ich bin überrascht von der Ordnung, die hier herrscht. Mansur erzählt: „Wir kommen aus Damaskus. Als der Krieg ausbrach, waren wir irgendwie mittendrin. Wir mussten uns ständig verstecken aus Angst vor den Bombardierungen. Meine jüngste Tochter hat wegen des Schocks ein Jahr lang nicht mehr gesprochen, und auch heute noch verstecken sich die Kinder, wenn sie Flugzeuge hören. Der Preis für Lebensmittel war explodiert und ich konnte nicht mehr arbeiten gehen. So konnten wir nicht weitermachen. Mit viel Angst sind wir in den Libanon geflüchtet. Wir haben überlebt, aber nun, nach zwei Jahren, wird es auch hier sehr schwierig. Ich habe nur vier Monate als Maurer arbeiten können, aber ich muss monatlich 100 Euro zahlen, um den Platz für unser Zelt zu mieten. Ich habe viele Schulden,“ fügt er hinzu, und ich habe das Gefühl, dass er sich dafür schämt, „aber ich versuche, durchzuhalten, um meine Kinder irgendwann nach Hause zurück bringen zu können. Lasst uns nicht alleine, helft uns auch weiterhin, gebt den Kindern Unterricht. Das ist so wichtig. Wir haben gar keine Worte, um euch zu danken.“
Konkrete Perspektiven
Wir fahren los, zurück in den Konvent. Ich bin ganz aufgewühlt. Nun im Konvent ist es Zeit, über „Geschäftliches“ zu sprechen, über Solidarität. Cesar, wie können wir euch helfen? „Der Grundgedanke ist, diese ganze provisorische Situation in etwas Konkretes, Stabiles zu verwandeln, den Leerlauf in Zukunftsaussichten umzuwandeln. Und für uns Brüder wäre es ideal, ein Caritas-Zentrum zu haben, von dem aus wir alles koordinieren können. Wir werden es Caritas-Zentrum heiliger Antonius nennen. Am Anfang wird es hauptsächlich den Flüchtlingen dienen, aber in Zukunft könnte es zu einer wichtigen Ressource im Kampf gegen die verschiedenen Formen von Armut im Libanon werden.“
Die Brüder haben bereits etwas im Blick, zwei Räume von je 60 Quadratmetern in einem Gebäude, hoch genug, um es später aufzustocken. Es soll dort eine große „Suppenküche“ geben, eine Nähstube, eine Waschküche, um die gespendeten Kleider in Ordnung zu bringen. Wir verfolgen damit ein doppeltes Ziel: Zum einen sollen die Hilfsleistungen besser organisiert werden, zum anderen soll mit der Hilfe der örtlichen Handwerker eine Art „Handwerkerschule“ organisiert werden, um den Jugendlichen eine Ausbildung und damit Zukunftsperspektiven zu geben. „Am Anfang werden wir ein paar Jugendlichen eine Art Ausbildung ermöglichen. Wenn das Zentrum dann fertig ist, werden wir die Ausbildung strukturierter organisieren. Das erste Ziel ist es, Schule und Freizeitangebote auch in andere Flüchtlingslager zu bringen. Jeden Tag bekommen wir Anfragen von anderen Flüchtlingen, die unsere Arbeit im Lager El Fayda gesehen haben und so etwas gerne auch für ihre eigenen Kinder hätten. Ich bin mir sicher, dass es uns mit Ihrer Hilfe gelingen wird, unsere Aktivitäten vielen anderen Kindern zugutekommen lassen zu können.“
Steter Tropfen höhlt den Stein. Und es kann gelingen. Das hat mir Pater Cesar in diesen Tagen häufig gezeigt. Deshalb bitte ich Sie alle, uns, die Brüder und die Freiwilligen im Libanon, in diesem Niemandsland nicht alleine zu lassen. Das wäre doch eine wirklich schöne Weise, den 40. Geburtstag der Caritas Antoniana zu feiern!