Hilfe für Manilas Müllkinder
Die blinde Sozialarbeiterin Genny Carraro hat auf den Philippinen den “Children’s Relief Fund“ (Kinderhilfsfonds) für obdachlose Kinder gegründet. Sie bringt die Kleinen, die ihr Dasein auf einer riesigen Müllhalde fristen, weg von ihrem trostlosen “Zuhause“ und schenkt ihnen Wärme, Würde und Wünsche für die Zukunft.
Robie ist 13 Jahre alt. Er lebt im “Papa John Centre”, einem Familienhaus für Straßenkinder in Quezon City, einem Elendsviertel der philippinischen Hauptstadt Manila. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung versuchen, ihm ein Stück seiner Kindheit wiederzugeben. Er war noch sehr klein, als seine Mutter verschwand. Seit dieser Zeit versuchte sein Vater, ihm soviel Fürsorge und Liebe wie möglich zu geben. Aber die Vororte Manilas verschluckten ihn: Er war ein vom Unglück Verfolgter, wie so viele andere dort auch - ohne Arbeit, ohne Chancen. Er hätte sich ebenso gut ganz aufgeben können, aber er wollte seinem Sohn eine Zukunft ermöglichen. Er fing an zu dealen und kam einer örtlichen Gang in die Quere. Drohungen und verzweifelte Fluchaktionen folgten – und Robie hatte unter den Folgen zu leiden: Er war nachts oft allein, sein Bett war ein Autositz, sein Zuhause die Straße. Dieses Leben ging so lange, bis ein Mann seinen Vater erschoss.
Das Kind wurde von den Mitarbeitern des “Papa John Centre”s aufgenommen, er brauchte aber lange, bis er wieder richtig leben konnte. Heute hat er Freunde, geht zur Schule und hat gute Noten. “Das letzte Mal, als ich ihn sah“, berichtet Genny Carraro, unsere Referentin für das Projekt, “hatte er sich mit einem Keyboard zurückgezogen und sang ein Lied, das er für seinen Vater komponiert hatte. Ich konnte weder sein Gesicht sehen, weil ich blind bin, noch seine Worte verstehen, da ich kein Philippinisch kann. Aber seine Stimme war herzzerreißend.“
Die 28-jährige Genny ist Italienerin und seit ihrem zweiten Lebensjahr blind. Sie hat sich nie wegen ihrer Behinderung aufgegeben, sondern ihren Lebenstraum verfolgt: Mitarbeiterin einer humanitären Organisation zu werden. Sie hat mehrere spezielle Studiengänge belegt, ist nach Dublin in Irland gezogen und hat 2002 den Children’s Relief Fund, eine Organisation für Straßenkinder in Asien, gegründet. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten hat sie sich dem “Papa John Centre” angeschlossen.
Kindheit auf der Müllhalde. Robie ist eines von 32 Kindern, die im Zentrum aufgenommen wurden, erklärt sie. Doch viele andere Kinder hätten auch Hilfe nötig. Die Fachkräfte des “Papa John Centre”s kümmern sich bereits um 300 Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren, die auf der Müllhalde von Payatas leben: Einem Berg von dampfenden Abfällen, der es bis in die Schlagzeilen großer Nachrichtensender gebracht hat, als er am 11. Juli 2000 zusammenstürzte und mehr als 500 Menschen unter sich begrub. Viele Kinder leben dort, freiwillig, oder weil sie von ihren Eltern dazu gezwungen werden. Sie leben immer in Gefahr, unter einsackenden Müllmassen begraben zu werden. Sie durchwühlen die Abfälle auf der Suche nach Gegenständen, die sie verkaufen könnten.
Die Kinder von Payatas gehen nicht zur Schule, sie schnüffeln Klebstoff, um das Hungergefühl zu betäuben, sie werden von Kriminellen angeheuert, von Sexhändlern ausgebeutet, sie sterben frühzeitig an Krankheiten oder Schlägen. “Wenn sie verbraucht sind, werden sie weggeworfen“, für ihre Ausbeuter sind sie nicht mehr und nicht weniger wert als der Abfall, den sie sammeln. “Als wir nichtphilippinischen Mitarbeiter sie aufsuchten“, erinnert sich Genny, “legten sie ihre schönsten Kleider an. Sie sind stolz und würdevoll, obwohl sie sehr unter dem Gefühl der Verlassenheit und der Gleichgültigkeit der Erwachsenen zu leiden haben.“
Noch viel zu tun. Das “Papa John Centre” ist ein Atoll des Friedens und ein Archipel der Bedürfnisse, aber es hat Mühe, sich über Wasser zu halten. Man bräuchte mehr Platz, mehr Mittel, mehr Arbeitskräfte. “Im Augenblick sind wir schon froh, wenn wir es schaffen, Essen, Kleider, Medikamente und Schulmaterial zu kaufen“, erklärt Genny. “Das Wichtigste ist, die Mitarbeiter weiterhin bezahlen zu können. Sie kümmern sich nicht nur um die Kinder, machen ihnen Mut und suchen ihre Familien, sondern vermitteln ihnen darüber hinaus Werte und Kontakte, pflanzen in sie Verantwortungsgefühl und Hoffnung.“
Die Caritas Antoniana hat auf den Hilferuf gehört und konnte dank der Hilfe der Leser des Sendboten des hl. Antonius eine erste Zahlung von 9000 Euro machen. “Mit diesem Geld“, so Genny, “konnten wir ein Motorrad mit Beiwagen kaufen, wie es auf den Philippinen üblich ist. Es ist eine Art Kleinbus auf zwei Rädern, mit dem wir die Kleinsten zur Schule fahren können. Mit dem übrigen Geld haben wir die laufenden Kosten des “Papa John Centre”s gezahlt.” Ein erleichtertes Aufatmen.
Zukunftstraum. Für die Zukunft erträumt sich Genny ein größeres Zentrum und den Ausbau sämtlicher Aktivitäten. “Ich wünschte, wir wären im Stande, soviel Kinder wie möglich aufzunehmen. Ich bin behindert und brauche Hilfe im Alltag. Diese Angewiesenheit und Verletzlichkeit macht mich sehr sensibel für ihr Bedürfnis nach Pflege und Zuwendung.“
Durch ihre Behinderung nimmt Genny die nicht sichtbaren Eindrücke intensiver war: “Ich höre ihre zarten Stimmchen. Ganz feine, kleine Stimmen mitten im beißenden Gestank des Mülls. Ach, wenn ich sie doch nur von diesem schrecklichen Ort wegbringen könnte…“