Weltstar mit Taktstock
Er gilt als einer der größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, und am 5. April sind es 100 Jahre, dass er in Salzburg das Licht der Welt erblickte: Herbert von Karajan. Grund genug, sich des großen österreichischen Musikers zu erinnern, was wohl weltweit geschehen wird. Denn noch ist der im Jahre 1989 Verstorbene im Gedächtnis vieler verankert. Ganz gleich, ob man ihn mochte oder nicht.
Auftakt. Seine Vorfahren stammen aus Nordgriechenland. Familiennamen wie Karjanopoulos oder Karajannis sind festgehalten, einer aus der Sippe verkürzte dann den Namen. Von seinem Urgroßvater, der sich in Deutschland Verdienste in der Textilindustrie erworben hatte, stammt das „von". Er hatte es von Herzog Friedrich von Sachsen verliehen bekommen und weitergegeben. Obwohl die Adelstitel in Österreich nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 abgeschafft wurden und ihre Benutzung hierzulande im Gegensatz zu Deutschland verboten war, führte Karajan das „von" in seinem Namen weiter. Österreichs Behörden zogen sich aus der Verantwortung mit dem Bemerken, der Name von Karajan sei dessen Künstlername.
Der Vater von Herbert und seinem älteren Bruder Wolfgang war Arzt und als solcher Leiter der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses in Salzburg. In der Familie wurde die Musik nicht vernachlässigt, was Herbert zugute kam. Schon im Alter von viereinhalb Jahren führte der kleine Karajan den Taktstock auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Seit dem 18. Lebensjahr dirigierte Karajan öffentlich, nachdem er 1913 ins Mozarteum in Salzburg eingetreten war und in diesem Institut sein erstes öffentliches Auftreten zelebrierte.
Musikalische Lehrjahre. Nach der Matura (Abitur) zog er nach Wien, wo er bei den führenden Musikerpersönlichkeiten an der Wiener Akademie, Franz Schalk und Josef Hofmann, studierte. Da seine endgültige Richtung nicht klar war, folgte er dem Rat seines Klavierlehrers, doch nicht die Pianistenlaufbahn einzuschlagen, sondern die Dirigentenkarriere anzustreben. Als Neuzehnjähriger übernahm er die Funktion eines leitenden Kapellmeisters am Stadttheater in Ulm. Die Zeit dort betrachtete er als Lehrzeit. Freilich, die Gage von 80 Mark lag unter dem gesetzlichen Mindestlohn. In Ulm und von Ulm aus unternahm er alles, um seine Karriere zu fördern. 1934 wird er Musikdirektor in Aachen. Um den Posten zu bekommen, trat er der NSDAP bei. Über dieses Kapitel seines Lebens wollte er nicht reden. Denn auch der große deutsche Dirigent Wilhelm Furtwängler war in derselben Situation gewesen. Zwischen beiden herrschte ein unüberbrückbarer Neidkomplex. Furtwängler, der bei den Nationalsozialisten höchste Ämter versah, tat alles, um Karajan fernzuhalten. (Später wird Karajan in gleicher Weise mit Nikolaus Harnoncourt umgehen.) Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde über Karajan ein Auftrittsverbot verhängt, das zwei Jahre dauerte. Doch ein Entnazifizierungsverfahren konnte ihn (ebenso wie Furtwängler) entlasten.
Und nun dirigierte er in aller Welt. Zwei Eigenheiten sind dabei festzustellen. Er dirigierte, ohne die Partitur zu verwenden, und er dirigierte mit geschlossenen Augen. Trotzdem hatte er die Musiker im Griff. Er war Mittelpunkt von Konzert- und Opernaufführungen. Und er erlangte, ausgehend von Berlin, Wien und Salzburg, eine Machtstellung, die er voll ausnützte. Wobei ihm zugute kam, dass er ein Tüftler war, dies auch im technischen Bereich. Das war wichtig, weil er sich bei der Produktion von Schallplatten, Videobändern, Bildplatten und CDs auskannte. Den Schallplattenaufnahmen (millionenfach verkauft) verdankt Karajan letztlich seine Karriere.
Gefragter Dirigent. Herbert von Karajan war eine ausgeprägte Persönlichkeit mit starker Willenskraft, und er genoss sein Leben. Dreimal verheiratet, lebte er in Villen in Anif und Sankt Moritz, hielt sich schnelle Autos, war Besitzer einer Yacht, eines Hubschraubers und eines Privatjets. Voller Stolz auf die Zukunft weisend sagte er: Wenn die Menschen in 300 Jahren über Karajan etwas wissen wollen, brauchen sie nur seine Filme ansehen. Die meisten Aufnahmen von Konzerten und Opern machte er mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, vielfach in Zusammenhang mit Festspielen, von denen die Salzburger Festspiele im Vordergrund standen. Sie waren in erster Linie seine Partner, insbesondere bei Auslandstourneen. Aber sowohl mit den Berliner wie mit den Wiener Philharmonikern kam es zu Zerwürfnissen, was seiner Berühmtheit jedoch keinen Abbruch tat. Letztlich waren ihm aber Wien und Berlin die Versöhnung wert.
Gegen Ende seines Lebens konnte er sich kaum noch bewegen, wozu wohl ein geheim gehaltener zurückliegender Schlaganfall beigetragen hatte. Trotzdem dirigierte er weiter.
Am 16. Juli 1989 starb Herbert von Karajan. Noch in der Nacht wurde er auf dem Anifer Friedhof bestattet. Seit 1998 gibt es in Wien das Herbert von Karajan Centrum, das seinen künstlerischen und musikalischen Nachlass verwaltet. Eine kleine Hinwendung zur Religion (er befasste sich sehr mit dem Zen-Buddhismus) ergibt sich aus der Bemerkung: „Ich habe nie daran gezweifelt, dass meine Begabungen vom Schöpfer stammen."
Hermann Rinner