Der steirische Stephansdom

29. Juni 2005 | von

Die Wallfahrtskirche Maria Straßengel bei Graz zählt zu den bedeutendsten Sakralbauten der Hochgotik in Österreich. Sie ist nicht nur architektonisch gesehen ein Kleinod. Sehenswert sind auch ihre wertvollen Ausstattungsstücke wie Glasfenster und Wurzelkreuz. Vor 650 Jahren wurde die bedeutende Pilgerstätte geweiht.

 

 

Wer in der Steiermark auf der Südbahnstrecke fährt und wenige Kilometer nördlich von Gray vom Waggonfenster aus die Gegend betrachtet, wer auf der A9, der Pyrenäenautobahn, dies als Mitfahrer aus dem Auto heraus tut, erblickt auf einem Hügel das Juwel einer keineswegs sehr großen Kirche, die jedoch als eine der bedeutendsten Sakralbauten der Hochgotik in Österreich gilt: Maria Straßengel.

 

Ältester Wallfahrtsort. Der Traungauer Markgraf Ottokar III. gründete gleichzeitig mit dem Zisterzienserstift Rein auch diese Gnadenstätte und ließ dort ein aus Palästina mitgebrachtes, leider nicht mehr vorhandenes Marienbild zur Verehrung aufstellen. Somit kann Straßengel als der älteste Wallfahrtsort des Landes angesehen werden, älter als Mariazell. Vermutlich war die erste Andachtsstätte nur eine hölzerne Kapelle, die im 13. Jahrhundert vergrößert beziehungsweise in Stein neu erbaut wurde. Von 1346 bis 1355 dauerte die Bauzeit dieser gotischen Kirche, die heute noch steht. Sie wurde vom Seckauer Bischof Ullrich III. geweiht, aber erst 1366 durch Fertigstellung des Turmes vollendet. 1455 wurde ein doppelgeschossiges Gebäude mit einem Glockenturm angebaut. In der Barockzeit kamen die Annakapelle und eine Sakristei hinzu. Zu Verteidigungszwecken gegen die Türken ließ Kaiser Friedrich III. eine Ummauerung der Kirche anlegen, die heute noch vorhanden ist. Unter Kaiser Joseph II. (Regierungszeit 1765 – 1790) sollte die Kirche demoliert werden, doch konnte dies durch eine Petition der vier zum Kirchensprengel gehörenden Gemeinden, die eine Deputation zum Kaiser schickten, verhindert werden. Eine Gedenkschrift zeugt davon.

 

Gotische Hallenkirche. Die Kirche ist ein frühes Beispiel für eine dreischiffige gotische Hallenkirche mit drei niedrigen Chören. Die beiden Tore zieren hervorragende Kunstwerke, über dem Westportal ein Tympanonrelief mit der Verkündigung Mariens, das Südportal präsentiert im Relief die „Beweinung Christi“. Bemerkenswert sind auch die Glasgemälde. 147 Rechteckscheiben sind erhalten, sie sind der größte zusammenhängende Bestand mittelalterlicher Glasmalereien. Einige Originalscheiben befinden sich in Museen. Dargestellt sind auf den Glasfenstern Szenen aus dem Alten Testament, marianische Themen, Engel, Evangelisten, Apostel, Heilige. Die Kirche hat zwei Türme, der achteckige, aus Kalktuff-Werksteinen erbaute, weist drei Geschosse auf, im dritten befinden sich acht lebensgroße Steinfiguren, die Maria und die sieben Engel der Geheimen Offenbarung darstellen. Die über dem achteckigen Grundriss errichtete Turmzone trägt den 17 Meter hohen, mit Maßwerk versehenen, durchbrochenen Steinhelm. Vorbild für diesen Bau waren wohl der albertinische Trakt des Wiener Stephansdomes und dessen Südturm. Darum wird der Strassengelbau im Volksmund auch der kleine Stephansturm genannt.

 

Ährenmadonna und Wurzelkreuz. Das Hochaltarbild zeigt eine zarte, mädchenhafte Gestalt mit einem einfachen blauen Kleid, das mit goldenen Ähren übersät ist: die Gottesmutter als Ährenmadonna. Das 1430/1440 gemalte Tafelbild „Maria im Ährenkleid“ wurde 1976 gestohlen und 1978 durch eine Kopie ersetzt. Zugleich mit dem Marienbild verschwand auch das weithin bekannte Wurzelkruzifix aus dem Jahre 1255. Der Legende nach haben Hirten in einer Tanne vor der Straßengler Kapelle eine Wurzel gefunden, ein 18,5 cm hohes Kreuz mit realistischen Christuszügen, dessen Haupt mit Barthaaren aus zarten Wurzeln gebildet sind. Wie dem vom Verlag St. Peter, Salzburg, aufgelegten aufschlussreichen Kirchenführer zu entnehmen ist, erbrachten pflanzenphysiologische Untersuchungen den Nachweis, dass am Kruzifix keine Einwirkungen eines Schnitzmessers vorliegen. Das in einem silbernen Standkreuz gefasste Kruzifix, das zurückgebracht wurde, wird gesondert verwahrt, um ein nochmaliges Stehlen schwieriger zu machen.

 

Zisterzienser als Seelsorger. Der Ort Straßengel wird 860 als „strazinola“ genannt, was „kleine Warte“ bedeutet. Er diente der damals dort lebenden slawischen Bevölkerung als Wehranlage und hat somit nichts mit einem Engel auf der Straße zu tun. Seitdem die Kirche besteht, wird sie vom Stift Rein aus, dem ältesten ununterbrochen bestehenden Zisterzienserkloster der Welt, betreut. Seit rund vier Jahrzehnten ist der derzeitige Senior des Klosters, Pater Paulus Baumann, Wallfahrtsseelsorger in Strassengel und seit Errichtung der Expositur im Jahre 1972 deren Expositus. Da die Expositur mit den Rechten einer Pfarre ausgestattet ist (mit Matriken usw.), gibt es laut Pater Paulus eine rührige eigene aktive Pfarrgemeinde unter dem geschäftsführenden Vorsitzenden des Pfarrgemeinderates Josef Leopold. Zahlreiche Mitarbeiter aus dem Laienstand wie Chorleiter Felix Kümmel oder das Ehepaar Hans und Ingrid Schwarz (letztere übte drei Perioden lang auch die Geschäftsführung des Pfarrgemeinderates aus) bereiteten auch das 650-Jahr-Jubliäum vor, das neben Festgottesdiensten mit Bischöfen und Äbten verschiedene Aktivitäten, darunter auch Ausstellungen, umfasst.

 

Wallfahrtsziel. Die Betreuung von Wallfahrtsgruppen gehört zum Alltagsleben der vielen Helfer. Wer selbst nicht nach Maria Straßengel pilgern kann, sollte sich zumindest die Festschrift zum Kirchenjubiläum bei der Röm. Kath. Expositur Maria Strassengel (Am Kirchberg 16, A – 8111 Judendorf-Straßengel) besorgen. Eine Pilgerfahrt lohnt sich aber jederzeit und in jeder Hinsicht.

 

        

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016