Lebenswissen zum Wohle der Menschen

14. Dezember 2006 | von

Ayurveda, eine traditionelle indische Heilkunst, erhält auch im Okzident immer mehr Zulauf. Dr. Jobin Jacob, katholischer Christ, stammt selbst aus einer altehrwürdigen Ayurveda-Familie. Er stellt uns das medizinische Wissen seiner Heimat Kerala in einer neuen Serie vor.

In Europa ist die medizinische Heilkunde des Ayurveda bereits vielen Menschen ein Begriff. Davon habe ich mich bei meiner Reise im Sommer 2006 überzeugen können. Gerne nehme ich die Einladung an und stelle Ihnen Ayurveda vor. Auch den Unterschied zur europäischen Schulmedizin möchte ich deutlich machen.

Körper und Geist. Der Name des indischen Heilsystems Ayurveda setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, Áyu und Veda. Áyu bedeutet langes Leben und Veda steht für Wissen. Übersetzt heißt Ayurveda demnach soviel wie Wissen beziehungsweise Wissenschaft vom langen Leben, wobei der Mensch ganzheitlich betrachtet wird. Diese Art Wissen bezieht sich auf die Existenz und die Langlebigkeit des menschlichen Lebens. Bei Ayurveda geht es demnach um das Leben einer Person unter leiblicher, geistiger und spiritueller Rücksicht, einbezogen die Umwelt und das soziale Umfeld.
Ayurveda ist keine Modeerscheinung. Diese große Lebenswissenschaft entwickelte sich in Indien vor bereits fünftausend Jahren! Das Ziel war, eine Gesundheitsleistung für alle anzubieten. Die Legende berichtet von einem „Lord Dhanwantari“ als jenem Gott, der Ayurveda in die Welt eingeführt haben soll, zum Wohlbefinden der Menschen.
Der indischen Lebenseinstellung entsprechend, beschränkt sich Ayurveda nicht auf das menschliche Leben; parallel dazu gibt es eine spezielle ‚Veda’ (Wissen) für Pflanzen, Tiere, Elefanten, Pferde und Blumen.
Ayurveda zeichnet sich aus durch seine philosophische Grundansicht zur menschlichen Existenz: Wo liegen die Eckpunkte menschlichen Lebens? Wann ist ein Mensch gesund? Wie kommt es überhaupt zu Krankheiten? Wie stelle ich eine Diagnose an? Wie behandle ich eine Erkrankung?

Der Mensch als Ganzes. Der Begriff Áyu (langes Leben) meint eine Kombination aus Leib, Sinnen, Geist und Seele. Der bloße Leib ohne Sinne, Geist und Seele wäre tot und nicht Áyu (lebendig). Von Gesundheit kann gesprochen werden, wenn vier Voraussetzungen gegeben sind: Verdauung und Stoffwechsel ausgeglichen; Körpergewebe gut funktionierend; Stoffwechselnebenprodukte und Ausscheidungen störungsfrei; Glücksempfinden bei Seele, Sinne und Geist. Wenn sich diese vier Dinge bei einem Menschen im Gleichgewicht befinden, dann ist er durch und durch gesund.
Es wird deutlich: Ayurveda befasst sich mit dem ganzen Menschen, nicht nur mit seiner Krankheit. Es ist eine ganzheitliche Wissenschaft vom langen Leben, und nicht eine Wissensvermittlung über bestimmte Medikamente oder über die Behandlung von einzelnen Krankheiten. Mit diesem Anliegen unterscheidet sich Ayurveda von anderen medizinischen Systemen. Diese indische Medizin will also – die Reihenfolge ist beachtenswert! - die Gesundheit erhalten, die Gesundheit eines gesunden Menschen fördern und die Krankheit eines Patienten heilen.

Acht Spezialgebiete. Von den Ayurveda-Weisen (Acharyas) wurden schon zu Urzeiten acht Bereiche vorgeschlagen zur Unterteilung, für die es eigene Spezialisten gab, sozusagen „Fachärzte“: Allgemeinmedizin, Kinderheilkunde, Psychiatrie, Kopfheilkunde (Hals, Nasen, Ohren, Augen), Chirurgie, Toxikologie (Behandlung bei Vergiftungen), Heilkunde für Verjüngung und bei Alter, Behandlung der sexuellen Kraft und Vitalität. Ärzte, die zu damaligen Zeiten in diesen Spezialgebieten gut bewandert waren, standen in hohem Ansehen und wurden ehrfurchtsvoll „Asta Vaidyas“ genannt.
Kerala, ein Bundesstaat, an der Südwestspitze Indiens gelegen, ist mit einer beneidenswerten biologischen Vielfalt gesegnet. Die wissenschaftliche Forschung durch Mediziner der frühen Zeiten hat dazu beigetragen, in Kerala eine große medizinische Tradition aufzubauen. In ihrer praktischen Anwendung fördert sie die aufbauenden und stärkenden Aspekte von Gesundheit und behandelt nach dem gleichen Prinzip die Erkrankungen.
Diese medizinische Tradition brachte auch einen Aufschwung in den begleitenden Bereichen der Gesundheitsfürsorge; andeutungsweise seien hier genannt traditionelle Massagen, Akupunktur, Kampfsport und „Ottamooli“ (eine einmalige, spezielle Medikamenten Dosis).

Familiäre Überlieferung. Das uralte Wissen über Ayurveda wurde in bestimmten Familien Keralas von Generation zu Generation weitergegeben. In meiner Familie Madukkakuzhy, ansässig in Parathode bei Kanjirappally, wird seit acht Jahrzehnten Ayurveda praktiziert. Den Grundstein für diese Tradition legte Mathew Vaidyakalanidhi M.C., ein medizinischer Experte und bedeutender Gelehrter. Sein Sohn Dr. Joy Mathew ist chirurgischer Chefarzt und Experte für „Panchakarma“, also die fünffache Behandlung zur Körperreinigung. Als Vertreter der dritten Generation entwickelt Dr. Robin Jacob diese Forschung und Behandlung weiter.
Auch ich gehöre zu dieser dritten Generation und widme nun meine Zeit nach einem regulären Medizinstudium, der Verbreitung von Ayurveda, der Wissenschaft vom langen Leben. Überall auf der Welt versuche ich, Menschen mit diesem wundervollen Wissen bekannt zu machen. So hielt ich, neben meinen Routine-Programmen in verschiedenen Gegenden Indiens, vor Monaten in Kuweit und in Deutschland Informations-Seminare ab. Ich hoffe das Interesse der Leserinnen und Leser geweckt zu haben, die Gelegenheit zu nutzen, sich über diesen noch fremden Bereich der orientalischen Medizin zu informieren.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016