Leben ohne Augenlicht

18. Dezember 2012 | von

Seit zweihundert Jahren ist die Welt heller geworden durch den Einsatz von Gas- und Elektrobeleuchtung. Das Los blinder Menschen hat sich dadurch nicht verbessert. Die dunkle Jahreszeit könnte dazu anregen, sich einmal gedanklich in die Lebenswelt der Nichtsehenden hineinzuversetzen. Da spielen nicht nur medizinische, juristische oder technische Fragen eine Rolle. Ohne das Vertrauen in hilfsbereite Menschen können Blinde nicht bestehen. Jesus lobt den blinden Bettler Bartimäus von Jericho: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.



Pechschwarz war es um mich herum. Mit äußerster Vorsicht und der Angst, irgendwo anzustoßen, habe ich mich langsam zum Stuhl an der Theke vorgetastet. Meine Augen ständig nach einem Funken Licht suchend, um sich daran zu gewöhnen, zu justieren, um endlich doch zumindest Schattierungen, Umrisse wahrnehmen zu können – vergebens. Vor einigen Jahren war ich zu Gast in einem Dunkelrestaurant. Für Sehende eine irritierende Erfahrung, diese totale Absenz des Lichtes und damit einhergehend die plötzliche Nutzlosigkeit eines unserer wichtigsten Orientierungsorgane, des Auges. Diese Einrichtungen, auch Blindenbars genannt, finden sich inzwischen in ganz Deutschland. Dahinter steht die Idee, uns Sehenden nicht alleine die Bedeutung unseres Augenlichts vorzuführen, vielmehr soll diese Erfahrung für das Leben blinder Menschen sensibilisieren. Sehbehinderte arbeiten dort als Kellner, vor allem aber sind sie leitende Hand durch das Dunkel.



LERNEN, BLIND ZU VERTRAUEN

Schnell wird klar: Wer blind ist, der muss ganz andere Methoden zur Gestaltung des alltäglichen Lebens entwickeln, bei dem sind alle übrigen Sinne, besonders der Tastsinn, stärker ausgebildet, wodurch die körperliche Einschränkung bestmöglich umgangen wird. Eine ganze Weile haben meine Augen weiter angestrengt auf einen sichtbarwerdenden Anhaltspunkt gewartet, bis der Geist die aussichtlose Lage einsieht und beginnt, sich anders, sich neu zu orientieren. Die Ohren lauschen in alle Richtungen, die Hände tasten ungelenk in der Rabenschwärze.

Diese Blindheit war vorübergehend und der Kopf blieb untrainiert, die neuen Informationen in Richtlinien zu transformieren, um den Körper sicher durch die Dunkelheit zu bugsieren. Dieses Gefühl der Unsicherheit ist mir in Erinnerung geblieben.

Die Erleichterung beim Wiedereintritt in die helle Welt war groß.

„Blindes Vertrauen”, so titelte die FAZ am 13. März 2010 kurz vor dem Beginn der Paralympischen Spiele in Whistler, bei dem die blinde Biathletin Verena Bentele bald darauf fünf Goldmedaillen gewinnen sollte. Grundlage dieses Erfolges ist das blinde Vertrauen zu ihrem Begleitläufer, dessen richtungweisende Zurufe die Athletin in der Loipe lenken. Wenn dabei etwas schiefgeht, bleiben vor allem psychische Narben zurück. So geschehen in Benteles Fall, die durch eine Unaufmerksamkeit fehlgeleitet wurde und beim Sturz einen Abhang hinunter schwere Verletzungen davontrug. Danach musste die Angst mühsam wieder überwunden werden, denn ohne tiefes Vertrauen läuft in diesem Sport nichts.

Doch nicht nur im Sport sind Menschen mit Sehbehinderung auf die Hilfe anderer angewiesen in einer Umgebung, die maßgeblich von Sehenden konstruiert und von deren Bedürfnissen geformt ist. Das bedeutet auch, immer wieder auf andere zu vertrauen, die Lotsen sein sollen in dieser Welt. Viele verschiedene Einrichtungen, Programme und Institutionen leisten notwendige Unterstützung. Aber wer kümmert sich in der katholischen Kirche um die Blinden und Taubblinden? 



KATHOLISCHE BLINDENWERKE

Etwa 55.000 Blinde und circa eine halbe Million Menschen mit schwerer Sehbehinderung leben in Deutschland. Der von der Deutschen Bischofskonferenz anerkannte Träger für katholische Blindenarbeit in Deutschland ist das Deutsche Katholische Blindenwerk e.V. (DKBW). Es entstand aus dem Zusammenschluss der regionalen katholischen Blindenwerke, die innerhalb der Bistümer tätig sind, mit dem Ziel, als große vereinte Gemeinschaft effektiver im Einzelnen anpacken und Unterstützung leisten zu können. Als Mitglied der Welt Blinden Union (WBU) und der Internationalen Föderation der Katholischen Blindenvereinigungen (FIDACA) steht es im überregionalen und internationalen Kontakt und Austausch. „Außerdem ist das DKBW der Interessensvertreter der katholischen Blinden gegenüber der Arbeitsstelle Pastoral für Menschen mit Behinderung der Deutschen Bischofskonferenz in Köln”, erklärt das Informationsblatt unter der Überschrift: Blinde helfen Blinden weltweit.



EIN WENIG MEDIZIN UND JURISTEREI

Blindheit bedeutet das gänzlich fehlende oder in sehr geringem Maße mögliche visuelle Wahrnehmungsvermögen. Nach medizinischen Gesichtspunkten können eines oder beide Augen von Blindheit befallen sein. Amaurose ist der Fachausdruck für Vollblindheit, die extremste Form der Sehbehinderung, und bezeichnet das vollständige Fehlen von Lichtwahrnehmung der Augen, wobei keinerlei optische Reizverarbeitung mehr stattfindet.

Neben einer angeborenen Blindheit kann sich eine Sinnesbehinderung aus den unterschiedlichsten Ursachen im Laufe eines Lebens ausbilden. Genetische Gründe, Infektionen, Verletzungen, Diabetes oder das Alter bedingen im schlechtesten Fall den Verlust des Augenlichts, meist unwiederbringlich.

Während sich die medizinische Definition von Sehbehinderung auf das Auge spezifiziert, bezieht sich die juristische auf die Person. Aus gesetzlicher Sicht gilt ein Mensch als blind, „wenn er auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr als 2 Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt.“ Dies sagt nichts über die eigentliche Art der Sehbehinderung aus. So können 2 Prozent Sehrest bedeuten, dass ein Betroffener nur in unmittelbarer Nähe etwas erkennen kann, was Menschen ohne Sehbehinderung auf mehrere 100 Meter Entfernung sehen. Ein Messwert für Blindheit ist für die wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland, die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), die konzentrische Einschränkung der äußeren Gesichtsfeldgrenzen. Nach ihrer Einschätzung entspricht der sprachgebräuchliche Tunnelblick (Röhrengesichtsfeld), reduziert auf höchstens 5 Grad, dem juristischen Verständnis von Blindheit.



AM RANDE DER GESELLSCHAFT

Die Definition von Blindheit ist juristisch relevant, da in Deutschland der Anspruch auf sogenanntes Blindengeld zur Deckung der Mehrausgaben aufgrund der Behinderung besteht. Blindenhunde, spezielle Notizblöcke, Bücher in Blindenschrift, spezielle Computertastaturen und Programme, die die geöffneten digitalen Inhalte am Bildschirm in gesprochenes Wort transformieren, dies alles kostet Geld, ist aber unabdingbar, um den Alltag selbständig zu gestalten oder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Denn „nicht nur zu Zeiten Jesu waren die Blinden am Rand der Gesellschaft, sondern auch heute noch muss man davon ausgehen, dass blinde, taubblinde und hochgradig sehbehinderte Menschen am Rand ihrer Gesellschaft leben“, leitet das DKBW seinen Arbeitsbericht 2011 ein. Verminderte Berufschancen und Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen, bestimmen ihr Leben ebenso wie die täglichen Hürden, sich auf der Straße und in öffentlichen Gebäuden zu orientieren. Die Selbsthilfeorganisation von Blinden in der katholischen Kirche hat sich nun schon seit über 40 Jahren auf die Fahnen geschrieben, dagegen vorzugehen.



IM LAUTLOSEN DUNKEL GEFANGEN

Große Aufmerksamkeit widmet das DKBW den Schwerstbehinderten unter den sehbehinderten Menschen, den Taubblinden. Sie können weder sehen noch hören, wodurch ihr Kontakt mit der Umwelt im Wesentlichen auf Berührungen basiert. Regelmäßig werden Bildungstage organisiert, die helfen, taubblinden Menschen über die Kommunikation mit anderen ein Tor zur Außenwelt zu öffnen. Kommuniziert wird unter anderem über das Lormen, auch Lorm-Alphabet genannt. Bestimmten Punkten und Regionen der Handfläche sind Buchstaben zugeordnet, so können Worte durch Berührung und bei einiger Übung sogar sehr schnell buchstabiert werden. Entwickelt hat es 1881 Hieronymus Lorm, der selbst zunächst ertaubte und später zudem erblindete. Für ihn war diese Kommunikationsmethode der Weg aus der Isolation zurück in sein soziales Umfeld.

Doch was einfach erlernbar ist für Personen, die zuvor Sprache und Schrift kennenlernen konnten, erfordert unglaubliches Abstraktionsvermögen von Menschen, die durch angeborene Sinnesbehinderungen niemals ein Schriftbild gesehen, noch Sprache gehört haben. Die Muttersprache für die meisten Taubblinden ist daher eine abgewandelte Form der Gebärdensprache. Hierbei erfühlen die Gesprächspartner die Gesten des Sprechenden mit beiden Händen. Im Mittelpunkt der Tagungen des DKBW steht die Vermittlung der Evangelien und religiöser Inhalte, ebenso wie die Erschließung der Welt um die Behinderten herum. Das Sprechen über die Natur, welche Pflanze verströmt welchen Duft, was ist in der Ferne zu sehen oder der soziale Austausch, die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen, bereichern das Leben der Betroffenen.



HILFE OHNE GRENZEN

Es braucht auch in unserer hochtechnisierten und reichen Welt solche Initiativen, damit sehbehinderte Menschen nicht aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt werden. Ganz besonders vom Schicksal der Isolation bedroht sind die Blinden in ärmeren Regionen der Welt. Daher liegt dem DKWB die Hilfe im Ausland besonders am Herzen. Frühförderung ist die wichtigste Grundlage, um die intellektuelle Entwicklung und Eigenständigkeit eines behinderten Kindes zu garantieren und ihm berufliche Chancen zu eröffnen. Denn trotz einer unumgänglichen Hilfsbedürftigkeit ist das Ziel immer, ein weitestgehend selbständiges und normales Leben führen zu können. Fehlt ein soziales Auffangnetz, verlieren sinnesbehinderte Menschen allzu schnell den Anschluss an ihr Umfeld. Die gesammelten Spenden setzt das katholische Blindenwerk rund um den Erdball ein. Manchmal stehen konkrete medizinische Nöte oder Förderprogramme im Vordergrund, manchmal fehlt es an den Grundlagen wie Toiletten, Brunnen, Betten oder einer warmen Mahlzeit. „Nur mit Hilfe vieler wohlmeinender Spenderinnen und Spender konnten wir unsere Ziele in Deutschland und der Welt verwirklichen.“

Das DKBW konnte unlängst den Anbau eines Blindenheims in Djanglanmey/Benin in Afrika unterstützen. Zudem gehören die Prävention und ärztliche Vorsorge zu den zentralen Aufgaben. Der routinemäßige Augencheck bei Kleinkindern kann in ärmeren Ländern, wie beispielsweise Mali, aus Mangel an Fachärzten flächendeckend kaum geleistet werden. Die Finanzierung von Facharztausbildungen im Bereich Augenheilkunde ist hier ein großer Schritt in eine bessere Zukunft.



GLAUBENSVERMITTLUNG ÜBER CD

Was das DKBW, deren Vorstände aus Blinden und hochgradig Sehbehinderten bestehen, von anderen Blindenhilfen unterscheidet, ist der spirituelle Ansatz. Die erklärte Isolation blinder Mitmenschen ereignet sich auch im kirchlichen Leben: Andere für diesen Missstand zu sensibilisieren, daran arbeiten viele ehrenamtliche Mitglieder. Neben der Unterstützung bei medizinischen, alltäglichen bis lebensnotwendigen Fragen steht deshalb die Vermittlung von Glaubensinhalten im Fokus, ganz konkret auch in der Herstellung von Blindenschriftdrucken und CDs zu religiösen Themen. Eigens dafür produziert die Blindenschriftdruckerei „Pauline von Mallinckrodt” in Paderborn, und die Deutsche Katholische Blindenbücherei hält die Exemplare zur Ausleihe bereit. „Im Leihverkehr können religiöse und schöngeistige Literatur sowie Sachbücher und Hörzeitschriften auf CD entliehen werden.” Die für den Leihversand dienlichen roten Boxen werden speziell in den Niederlanden gefertigt, sowie von der Post kostenlos und sogar weltweit ausgetragen. „Wir haben auch deutsche Kunden in Kanada, in den USA oder in Israel, Auswanderer oder deutschsprachige Nachfahren von Auswanderern”, bekräftigt die Bibliothekarin auf der Internetseite des regionalen Vertreters, dem Katholischen Blinden- und Sehbehindertenwerk Norddeutschlands e.V. (www.kbwn.de).

Auch die italienische Ausgabe des Messaggero di Sant’Antonio gibt es als Worddatei, Hör-CD oder als MP3. Initiiert hat dieses Angebot Sabrina Baldin, eine Mitarbeiterin in Padua, die selbst blind ist. Ihre Stimme und die von Padre Paolo Floretta vertonen die Editionen seit Beginn dieses Projekts.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016