Frauen organisieren sich und ihre Rechte

24. September 2015 | von

Vor 150 Jahren wurde in Leipzig der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet. Frauen organisierten sich, um für ihre Rechte zu kämpfen. Unser Jubiläumsartikel wirft einen Blick auf die Geschichte der Frauenbewegung und lässt erkennen, wie sehr auch heute noch das Engagement mutiger Frauen notwendig ist, damit diskriminierende Rollenbilder überwunden werden.




Ende des 18. Jahrhunderts geraten die politischen Strukturen Europas ins Wanken, der Ruf nach einer neuen Gesellschaftsordnung wird laut. Es schlägt die Stunde der organisierten Frauenbewegungen. 1865 lädt der Leipziger Frauenbildungsverein unter der Leitung von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt vom 16. bis 18. Oktober zu einer Frauenkonferenz nach Leipzig ein. Die 120 teilnehmenden Frauen gründen den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF). Erstmals war hier ein Organ geschaffen, das die Rechte der Frauen vertritt.





Weibliche Pflichten



„Wir erklären (...) die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, als eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts“, heißt es in § 1 der Satzung, die damit einem grundlegenden Problem der Zeit entgegentritt. Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Rollenbild der intellektuellen, gebildeten Frau, wie es das Zeitalter der Aufklärung trotz mangelnder Mädchenbildungsprogramme erdichtet hatte, durch den „natürlichen Geschlechtscharakter“ ersetzt. Die Frau galt nun als unmündig, verwiesen ins Heim und an den Herd. Eine Ideologie, die freilich nur in bürgerlichen Kreisen umsetzbar war, mussten Frauen der Arbeiterklasse doch bereits für den Unterhalt der Familie mitarbeiten. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Frauenarmut zunehmend auch im Bürgertum verbreitet und machte die Erwerbstätigkeit lebensnotwendig.



Zur ersten Vorsitzenden des ADF wurde die sozialkritische Schriftstellerin Louise Otto-Peters gewählt. Schon 1843 hatte sie in den Sächsischen Vaterlandsblättern die politische Stellung der Frau so definiert: „Die Teilnahme der Frau an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht.“ Damit prägte sie den Leitgedanken der Frauenbewegung.







Bildungsfrage und Stimmrecht



Was die Presse anfangs, in Anlehnung an die Völkerschlacht, als „Leipziger Frauenschlacht“ verspottete, sollte sich zu einer rasant wachsenden Frauenbewegung ausbreiten, mit Frauenvereinen in vielen Städten. Sie diskutierten gesellschaftliche Missstände, zunächst vor allem die Bildungsfrage. Am 9. Januar 1887 adressierte der Verein unter Federführung der Lehrerin Helene Lange eine Petition an das Preußische Abgeordnetenhaus und das Unterrichtsministerium. Berühmt wurde die miteingereichte Begleitschrift Gelbe Broschüre, in der für Frauen der Zugang zur akademischen Ausbildung gefordert wurde. Die politische Wirkung blieb zwar aus, doch kam eine breite Diskussion in Gang und führte zur preußischen Mädchenschulreform von 1908.



Im selben Jahr erreichte die Frauenbewegung ein weiteres „Etappenziel“: Frauen durften Mitglieder in politischen Parteien werden. Zwar blieb ihnen das Wahlrecht verwehrt, doch hatten die Forderungen, insbesondere aus den Reihen des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht, den Weg dorthin geebnet. 1918 führte auch Deutschland (nach Neuseeland, Australien, Finnland, Norwegen, Dänemark, Russland und Polen) das Frauenwahlrecht ein.







Spaltungen und Auflösung



Das schnelle Wachstum der Bewegung brachte eine Vielzahl von Gruppierungen mit unterschiedlichsten Ansätzen hervor. Die Zusammenführung aller sollte 1894 die Gründung des nationalen Dachverbandes, des Bund Deutscher Frauen-



vereine (BDF), leisten, dem sich bis 1913 bereits 2.200 der bürgerlichen Vereine mit etwa 500.000 Mitgliedern anschlossen. Die proletarische Frauenbewegung trat diesem nicht bei, die Kluft der Lebensrealitäten zwischen Proletarierinnen und Bürgerinnen erschwerte die Zusammenarbeit. Eine weitere tiefe Spaltung erlebte die Bewegung im Ersten Weltkrieg. Während die Mehrheit der organisierten Frauen sich tatkräftig an der Heimatfront engagierte, verurteilte eine pazifistische Minderheit den Krieg scharf. In der Weimarer Republik änderten Bubikopf und kurze Röcke zumindest äußerlich das Bild der „neuen Frau“. In den Metropolen stieg die Zahl der weiblichen Angestellten, Stimmrecht und finanzielle Unabhängigkeit standen aber nach wie vor dem gesellschaftlichen Ideal der Mutter am Herd entgegen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden Hauswirtschaft und Mutterschaft erneut als weibliche Lebensaufgaben bestärkt und mit Orden belohnt. Unter dem Druck, der NSDAP beitreten zu müssen, löste sich der BDF 1933 auf. Viele der dort organisierten Frauenvereine, so sie nicht zwangsaufgelöst wurden, taten es ihm gleich.







Feminismus und Gleichberechtigung



Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auch in der Frauenfrage eine deutsche Teilung. Der Osten hatte sich in der Konsequenz marxistischer Theorien die Gleichberechtigung auf die Fahne geschrieben. Berufstätige Mütter prägten jetzt das öffentliche Bild, jedoch blieb diese Emanzipation nur eine von der männerdominierten Machtspitze geduldete. Auch im Westen wurde die Gleichberechtigung der Geschlechter im Grundgesetzt verankert, tatsächlich bestanden sexistische Gesellschaftsnormen aber weiterhin. Noch nach der Wiedervereinigung mussten sich hier erwerbstätige Mütter häufig gegen den Vorwurf „Rabenmutter“ wehren. Trotz der unterschiedlichen Ausgangssituation kämpften Frauenverbände in Ost und West letztlich für die gleichen Ziele: Frieden, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. 



Heute sind zu den ehrenamtlichen Organisationen professionelle hinzugekommen. 



Viel hat sich in den 150 Jahren seit Beginn der Frauenbewegung verändert: Mit Angela Merkel bekleidet inzwischen eine Frau unumstritten das höchste politische Amt des Landes. Gleichwohl verdeutlichen Parolen wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ die Notwendigkeit organisierter Frauenbewegungen gegen gesellschaftliche Diskriminierung.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016