Drehscheibe des Ordens

01. Januar 1900

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ranziskanergasse 7. Die Adresse klingt einfach; der Weg dorthin ist allerdings mühsam zu finden. Die älteste franziskanische Niederlassung im deutschsprachigen Raum jenseits der Alpen liegt heute mitten im Herzen Würzburgs, früher lag sie vor der Stadtmauer. Der Konvent wurde zu Lebzeiten des Poverello gegründet und ist seit den Anfängen ununterbrochen besetzt – auch wenn er zeitweise personell an seidenen Fäden hing! Wenn man Passanten nach dem Weg ins Franziskanerkloster fragt (als Minoriten oder Konventualen sind wir hier eher unbekannt!), geben sie verschiedene Orientierungspunkte an: im Bischofshut neben dem Hotel Rebstock, im Schatten der Neubaukirche (der höchsten Erhebung der Innenstadt), am Rand des studentischen Kneipenviertels, zwischen den Ursulinen und den Schwestern des Erlösers, in der Nähe des Polizeipräsidiums (ehemals Standort des Augustinerklosters, wo schon Martin Luther Halt machte).

Heilsame Oase.

Durchschreitet man die Klosterpforte mit der Darstellung der Stigmatisierung des heiligen Franziskus von Michael Kern (1613), fällt das große Holz-Tau ins Auge – gleichsam das Logo unserer ganzen franziskanischen Familie, für den Kommenden und Gehenden ein Segen ohne Worte! Das Eintreten in den Kreuzgang öffnet die Tür zu einer geschichtsträchtigen Welt, einer heilsamen Oase mitten in einer betriebsamen Innenstadt. Das Marienheiligtum auf dem Nikolausberg, das Käppele, ist quasi franziskanischer Gegenpunkt, von Kapuzinern betreut, mit denen wir in brüderlichem Kontakt stehen, insbesondere bei der jährlichen Feier zum Heimgang unseres Ordensvaters am 3. Oktober.

Ankerwurf in Würzburg. Auf dem Generalkapitel von Portiunkula 1221 wurden zwölf Kleriker und 15 Ordensbrüder unter der Leitung von Cäsar von Speyer nach Deutschland gesandt, ein Zeichen dafür, dass sich unsere Vorfahren nicht so schnell entmutigen ließen. Die erste Mission 1219 war nämlich gescheitert, weil die frati minori wegen mangelnder Sprachkenntnisse als Ketzer verdächtigt und vertrieben wurden. Über Augsburg kommend trafen die ersten Brüder in Würzburg im November 1221 ein und fanden Rückendeckung durch Bischof Otto von Lobdeburg, der den Bettelorden freundlich gesonnen war. Die Fundamente der Agneskapelle vor der alten Stadtmauer, in der die ersten Brüder Gottesdienst feierten, lagen 1989 bei der Renovierung der Seminarkirche St. Michael offen.

Brennpunkt und Drehscheibe. Es ist erstaunlich, dass bereits am Andreasfest, am 30. November, 1221 drei Würzburger ins Noviziat aufgenommen werden konnten: Harthmut, ein literatus, der spätere Kustos der sächsischen Provinz, Rudolf, ein Laie, der den Ordensnamen Andreas bekam und Rüdiger, Guardian von Halberstadt und bis 1226 Berater der heiligen Elisabeth von Thüringen, der Patronin der deutschen Franziskaner-Minoriten Provinz. Würzburg wurde zur Drehscheibe der Ausbreitung des Ordens nördlich der Alpen. In den ersten Jahren der Einwurzelung kristallisierten sich zwei Brennpunkte des apostolischen Wirkens heraus: Verkündigung und Versöhnung durch Predigt- und Beichtdienst, sowie seit 1245 die Seelsorge bei den Aussätzigen draußen vor der Stadt. Zwei Linien der Herausforderung, die sich bis heute unter geänderten Lebensumständen durchziehen!

Beliebte Grablege. Bischof Hermann von Lobdeburg wies am 27. November 1249 den Brüdern einen neuen Wohnort zu: seitdem leben sie neben der Valentinuskapelle innerhalb der Stadtmauer circa 300 Meter westlich der ersten Niederlassung. Der frühgotische Chor der Klosterkirche und die klösterlichen Gebäude waren bereits 1254 fertig gestellt, das dreischiffige Langhaus erst um 1300. Die Kirche mit dem Patronatstitel Kreuzauffindung entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer beliebten Begräbnisstätte des Adels und der Bürgerschaft, was noch heute die aufgestellten Epitaphe bezeugen.
Es begann eine wechselvolle Geschichte von Kirche und Kloster, ein paar Streiflichter können das verdeutlichen und lassen ahnen, welche Vielfalt an glänzendem und abgründigem Leben sich auf diesem Geviert (eine Seite bildet der Schönthalerhof, der zwischen dem 1. Weltkrieg und 1992 dem ordenseigenen Seminar St. Valentin Raum gab) abspielte.

Besondere Besucher. Ohne die Bedeutung der unzähligen Gläubigen und namenslosen Beterinnen und Beter schmälern zu wollen, seien im Zusammenhang mit unserem Kloster ein paar besondere Persönlichkeiten erwähnt. Der Kardinaldelegat Nikolaus von Kues predigte im Januar 1440 in der Kirche, ebenso 1454 der franziskanische Wanderprediger Johannes Capestrano und 1566 der Kirchenlehrer Petrus Canisius. Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn wünschte im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der Würzburger Universität am 2. Januar 1582, in den Minderbrüdern im Zuge der Gegenreformation lebendige Baussteine sehen zu können. Bruderschaften beheimateten sich in den Räumen von Kloster und Kirche. Die Büttnerzunft hält bis heute ihren Festgottesdienst am Stephanustag in unserer Franziskanerkirche und trinkt aus einem Becher die Liebe des Johannes.

Dunkle Kapitel. Neben den Glanzpunkten gab es auch dunkle Kapitel der Klostergeschichte. Pest, Besetzung (auch durch franziskanische Geschwister), Plünderungen und Beschädigung in der Zeit des Bauernkrieges machten nicht Halt vor den Klostermauern. Am 3. Februar 1803 wurden nach dem Beginn der Säkularisation nicht nur wertvolle Kunstgegenstände durch eine staatliche Kommission beschlagnahmt, sondern auch das gut besetzte Kloster zum Aussterben verurteilt: Die Aufnahme von Novizen wurde untersagt, der Klosterfriedhof (heute Franziskanerplatz) eingeebnet. Auf ein Bittgesuch des Ordensgenerals Angelus Bigoni an König Ludwig I. von Bayern hin konnte am 1. Januar 1842 die Wiedereröffnung mit einem Gottesdienst in der Franziskanerkirche gefeiert werden. Paduaner Mitbrüder unterstützen die verbliebenen zwei deutschen Patres Balthasar und Cherubin, der eine 88, der andere 62 Jahre alt. 1857 wurde die Oberdeutsche Minoritenprovinz wiederbegründet, zum Sitz des Provinzialats das Kloster in Würzburg bestimmt – das ist es bis heute geblieben! Seit dem 13. Januar 2000 ist P. Engelbert Otte unser Provinzialminister, unser Ordensapostolat mit der Redaktion von Friede und Heil und die Redaktion des Sendboten des heiligen Antonius sind ebenso in der Franziskanerkgasse 7 ansässig.
Geschichtsträchtig. Der vorletzte Kalendermonat ist für die Konventsgeschichte scheinbar von besonderer Bedeutung, denn die erste deutsche Bischofskonferenz tagte Anfang November 1848 in unserem Refektorium – an gleicher Stelle hat sie auch das Jubiläum des 150. Jahrestages mit einer abendlichen Eucharistie und Agape begangen. Außerdem legte Antonia Werr, die Stifterin der Oberzeller Franziskanerinnen, ihre Gelübde im Hauschor unserer Gemeinschaft ab. Diese Kongregation, die sich besonders im Licht der Menschwerdung des Gottessohnes der Sorge um Frauen in Not stellt, steht uns von Anfang an geistlich nahe. Vor der Valentinuskapelle, die heute als Werktagskapelle und Beichtort genutzt wird, erinnert der Sprengkopf einer Luftmine, sowie die Bilder von im Krieg vermissten oder gefallenen Seminaristen und Mitbrüdern an die schrecklichen Bombenangriffe vom 3. und 16. März 1945, die Kirche, Kloster und das Ordensseminar St. Valentin in Schutt und Asche verwandelten. Die älteren Mitbrüder schildern die Jahre des Wiederaufbaus als eine entbehrungsreiche Zeit, jedoch glänzen die Augen noch in Erinnerung an den großartigen Zusammenhalt, den es damals gab. Neben der Bombe steht eine Antoniusstatue mit Kind, vor der Menschen gerne verweilen und eine Kerze anzünden. Ohne esoterischen Richtungen zu verfallen sei erwähnt, dass besonders sensible Menschen hier eine positive, heilsame Erdstrahlung spüren.

Aus Asche erstanden. Das jüngste Kapitel der Kirchen- und Klostergeschichte ist geprägt von einer Brandstiftung am 19. Mai 1986, die schwere Schäden am Dach und im Innern des heiligen Raumes anrichtete. Bereits einen Tag nach der Brandnacht am Pfingstmontag leerte ein Junge seine Sparbüchse und trug mit 17 Mark zum Wiederaufbau bei. Hier zeigt sich ein enge Verbundenheit der Bevölkerung mit unserer Gemeinschaft, die von je her als volksnah erlebt wurde. Am 3. Oktober 1988 konnte die Kirche von Bischof Paul-Werner Scheele mit der Altarweihe wieder eröffnet werden, nachdem sie im schlichten franziskanischen Stil des 13. Jahrhunderts mit Steinsäulen (inwendig sind Rohlinge von Kanonenrohren), Spitzbogen-Arkaden, Obergadenfenstern und bunter Holzdecke gestaltet wurde.

Lebendige Wirklichkeit. Die stolzeste Vergangenheit hilft gar nichts, wenn keine lebendige Wirklichkeit das Versunkene neu erstellt (Alfred Delp). Alle Mitbrüder unter dem Dach der Franziskanergasse 7 stehen unter dem Anspruch franziskanisch-konventualer Nachfolge: vom jüngsten rumänischen Ordensstudenten bis zum Provinzsenior mit 87 Jahren. Hier lässt sich schon erahnen, wie positiv spannungsreich der Brückenschlag der Generationen und Nationen sein kann. Ende 2001 sind es 32 Ordensmänner aus sechs Nationen, die es zusammenzuhalten und zu beheimaten gilt. Unsere geistliche und gemeinschaftliche Struktur, dazu gehört nicht nur der liturgische Festkalender, sondern auch so Traditionelles wie Nikolausfeier und Fasching, wollen Klima stiften gegen allgemeine Vereinzelungstendenzen. Die zehn Ordensstudenten haben ihren Platz direkt unter dem Dach, die Senioren mit ihren Gebrechlichkeiten nahe dem Hauschor, liebevoll Invalidendom genannt.

Humusbildung unspektakulär. Wie sieht der Auftrag heute aus, lebendige Bausteine der Kirche in Würzburg zu sein? Unter der Leitung eines jungen Hausoberen, P. Maximilian M. Bauer, versuchen wir an den verschiedensten Fronten seelsorglich präsent zu sein: Beicht- und Gesprächsseelsorge im Haus und bei vielen Schwesterngemeinschaften, Sonntagsgottesdienste und Trauungen in der Hofkirche, Religionsunterricht und Jugendseelsorge, Aushilfen in der Diözese und Klinikseelsorge, Franziskanische Gemeinschaft und Bibelkreis. Viele Dienste geschehen – auch dank unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - im Verborgenen: in der Betreuung der alten und kranken Mitbrüder, an der Pforte (Armenspeisung), in Sakristei und Garten, Bibliothek und Archiv. Humusbildung ohne spektakuläre Aktionen! Den franziskanischen Festen und Gebetsformen widmen wir besondere Aufmerksamkeit: dem Transitus (Gedenkfeier des Todes unseres Ordensvaters) wird seit Jahren eine Tiersegnung im Kreuzgarten vorgeschaltet, die Antoniusverehrung zeigt sich besonders an Dienstagen und in der Vorbereitung auf den 13. Juni, das Friedensgebet von Assisi 1986 erfährt jeden Montag eine Fortführung in einer Gebetsstunde, aktueller denn je im Blick auch auf das nächste Friedensgebet am 24. Januar 2002. Wir stellen der Gemeinschaft San Egidio, die fruchtbar in unserer Stadt hineinwirkt, unserer Kirche zum täglichen Gebet zur Verfügung.

Offenes Haus. Nicht zuletzt durch die zentrale Verkehrslage von Würzburg können wir viele Gäste begrüßen und damit franziskanische Gastfreundschaft üben. Seit Jahren haben Menschen Zeit und Raum gefunden, bei uns ihre Promotion oder Habilitation voranzubringen. Nach unserem P. Konrad Eubel und anderen Ordenshistorikern knüpfen sie damit den Faden wissenschaftlicher Tradition des Konventes weiter.
Was uns wohl Franziskus heute ins Gästebuch schreiben würde?

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016