Geschwister im Geist
Welten liegen wahrlich dazwischen. Was hat eine 24-jährige Frau des europäischen Hochadels mit einem 44-jährigen Kaufmannssohn zu schaffen? Was verbindet das Städtchen Assisi in Umbrien mit Sárospatak in Nordungarn beziehungsweise mit der Wartburg in Thüringen? Der Geist Gottes treibt Menschen, die Kinder ihrer Zeit sind, zu einer radikalen Gottsuche an, die sie über Grenzen hinweg zu Geschwistern im Glauben macht. Ihre Entschiedenheit für das Evangelium eint sie und ist uns auch heute Herausforderung zu einem glaubwürdigen Christsein. Mitunter befremdend und bestürzend, anders als die Verklärung durch romantisierende Bilderzyklen und liebliche Vorstellungen: Elisabeth, „die Fürstin mild", und Tierfreund Franziskus! Beide Glaubenswege zeigen, dass der Mensch sich nicht selbst letzte Erfüllung verschaffen kann, sondern verwurzelt in Gott und im Dienst an den Menschen zu seiner wahren Größe und Originalität kommt.
Abgefärbte Haltung. Beide Heiligen unserer Kirche – sie verbinden uns in der Ökumene und im Zusammenwachsen Europas – kannten sich persönlich nicht. Es gibt keine historische Spur, dass sie sich getroffen hätten. Die Geschichte, dass Franziskus der Landgräfin von Thüringen auf ihrem Weg des „Abstiegs" zu den Armen eine graue Kutte geschenkt habe, gehört in die Welt der Legenden. Allerdings trug die Spitalschwester Elisabeth in Marburg tatsächlich das Kleid der kleinen Leute, ein Gewand aus ungefärbter Wolle. Da hat also doch etwas abgefärbt!
Was lässt sich geschichtlich an Berührungspunkten zwischen der franziskanischen Bewegung und der radikalen Gottsucherin auf der Wartburg finden? 1225 kommen die ersten Minderbrüder nach Eisenach. Elisabeth stellt ihnen die Kapelle Sankt Michael zur Verfügung und besucht Gottesdienste, wohl auch nach ihrer „Vertreibung" von der Burg, wo sie in der Nacht ihr TE DEUM gesungen haben soll. Sie spinnt Wolle für die Ordenskleider der Brüder und wählt sich für zwei Jahre Rodeger als geistlichen Begleiter. Der Ordensbruder – so Jordan von Giano im Jahr 1262 – hält sie an, „Keuschheit, Demut und Geduld zu üben, im Gebet zu verharren und sich in Werken der Nächstenliebe abzumühen".
Kurz bevor ihr Mann Ludwig zum Kreuzzug aufbricht, wird der Kreuzzugsprediger Konrad von Marburg ihr geistlicher Begleiter. Nur eine düstere, äußerst umstrittene Gestalt, ein Schatten pur? Unterwegs mit einem Maultier, überzeugend anspruchslos wird er starken Einfluss bei wichtigen Weichenstellungen im Leben der Landgräfin nehmen und dabei auch handgreiflich Gewalt anwenden. Auch wenn Geißelungen in der damaligen Zeit nichts Außergewöhnliches sind, bleibt gerade hier die große Frage, was diese zwei markanten Menschen zusammengebracht hat.
Patron und Patronin. Eine weitere Verbindung zwischen Elisabeth und Franziskus lässt sich in Marburg finden. Die Witwe will, dass die von ihr erbaute Hospitalkirche auf den Namen des Poverello konsekriert wird. Der war gerade im Jahr zuvor, also 1128, heiliggesprochen worden. Es ist ein schöner Zufall, dass sie selbst an Pfingsten 1235 ganz in der Nähe von Assisi, in Perugia, ebenfalls zu den Ehren der Altäre kam. Unser Provinzsenior, Pater Bernward Bauer, geschichtlich interessiert und versiert, verriet mir einmal nach einigen Jahren im Kloster, dass die heilige Elisabeth seit dem Provinzkapitel von Konstanz 1612 die Patronin der Oberdeutschen Minoritenprovinz ist. Dass sie die Patronin der Franziskanischen Gemeinschaft (früher: Dritter Orden) ist, war mir schon länger bewusst.
Zu den äußeren Berührungspunkten der bewegten Lebenslinien von Elisabeth und Franziskus kommen meines Erachtens innere Gemeinsamkeiten. Einige seien herausgegriffen: die Neigung, Inwendiges auswendig werden zu lassen – die Gotteserfahrung in den Ausgegrenzten – eine handfeste Frömmigkeit.
Sehnsucht nach Mehr. Drei Beispiele für das Temperament der Frau aus Ungarn und des Mannes aus Assisi, die sich durch ihre Impulsivität und Ernsthaftigkeit in die Wahrheit ihres Lebens „hineinspielen"! Das Kind Elisabeth spielt, singt, hüpft mit anderen Kindern. Sie bricht mitten im Pfänderspiel und Ringelreigen ab, setzt aus: „Für Gott." Franziskus feiert als Star der Jugend Assisis und tanzt plötzlich ebenfalls aus der Reihe. Die Kumpane meinen, er habe eine neue Freundin. Er murmelt etwas von einer Donna Povertà nach seinen Erschütterungen von Kerker, Krankheit und heilsamer Unruhe. Die Sehnsucht nach Mehr wird die beiden Menschen auf dem Weg zur Heiligkeit in ihren jeweiligen Lebenswelten zu „burning people" machen. Elisabeth setzt entgegen der höfischen Etikette ihre Krone beim Gottesdienst ab, ihr Argument: das passt nicht mit Christus zusammen, der eine Dornenkrone trägt. Franziskus steigt vom Pferd herab, um dem Leprakranken vor den Toren Assisis auf Augenhöhe zu begegnen. Der Ordensvater wird später in der Regel den Brüdern das Reiten verbieten, damit sie nicht vom Hohen Ross den Leuten die Botschaft vom herunterkommenden Gott verkünden.
Am 11. September 1227 stirbt Landgraf Ludwig während des Kreuzzugs an einer Seuche bei Brindisi. Bei der Todesnachricht trauert seine Gattin, die gerade ihr drittes Kind zur Welt gebracht hat, lauthals und rennt buchstäblich gegen die Wand. Sie braucht Zeit, bis sich der Schmerz des Abschieds in ein Gebet der Annahme wandeln kann. „Ich empfehle ihn und mich deiner Gnade. An uns geschehe dein Wille!" (aus dem Büchlein über die Aussagen der vier Dienerinnen). Die 20-jährige Witwe droht damit, sich die Nase abzuschneiden, als die Verwandtschaft (darunter Bischof Ekbert von Bamberg und Äbtissin Mechthild von Kitzingen) sie wiederverheiraten will.
Sensibel für Gott. Machen wir einen Sprung zu Franziskus, der seine allernächste Umgebung ebenfalls provoziert, wenn er seine Grundüberzeugungen gefährdet sieht. Er deckt das Dach eines Hauses symbolisch ab, das die Brüder in seiner Abwesenheit (Missionsreise in den Orient) für sich erworben haben. Mit Mühe und Not gelingt es den Gefährten nach der Heimkehr des geistlichen Vaters, ihn daran zu hindern, weil das Gebäude nur „gemietet" sei (vgl. die Darstellung in Portiunkula hinter der Sterbezelle). Je sensibler ein Mensch für Gottes Gegenwart, desto ausdrucksstärker sein Wirken!
Stichwort: Gotteserfahrung in den Ausgegrenzten! In seinem Testament diktiert Franziskus Bruder Leo, dass die Schlüsselbegegnung bei den vielen Stationen seiner Bekehrung seine Berührung mit den Aussätzigen ist. Er deutet diese Konfrontation mit den Ausgegrenzten am Rande von Assisi als Geschenk der Wandlung in mittelalterlicher Bildsprache: Bitteres wird Süßigkeit, weil der Herr ihn dorthin geführt hat und Barmherzigkeit ganz konkret füreinander erfahrbar wird. Der Ordensvater wird größten Wert darauf legen, dass sich alle Brüder gleichsam als Echtheitserweis ihrer Berufung dieser Konfrontation stellen.
Elisabeth übertrifft meines Erachtens die Zuwendung des Mannes aus Assisi gegenüber den Leprakranken, wenn die Legende vom Bedürftigen erzählt, den sie zu sich holt und ins Ehebett legt, und der sich dem nachforschenden Gatten als Gekreuzigter beim Wegnehmen der Decke zeigt. „Solche Gäste darfst du mir immer ins Bett legen", soll der verständnisvolle Ludwig geantwortet haben. Gerne hätte ich an dieser Stelle Elisabeth gefragt, wie sie den Spannungsbogen zwischen der innigen Liebe zu „ihrem" Ludwig (gegen die höfischen Vorschriften beansprucht sie den Platz direkt neben ihm bei Tisch und im Bett) und ihren Armen unterhalb der Burg gehalten hat. Die junge Landgräfin hat wie ihre Tante, die heilige Hedwig, keine Angst vor Ansteckungsgefahr. Sie traut sich, die Gesichter der Kranken mit ihrem Kopfschleier abzuwischen, ihren Speichel zu trocknen, ihre Nase zu putzen und die Geschwüre zu behandeln. „Wahrlich, so zeigte sich Christus in ihr und wärmte sie" (Caesarius von Heisterbach). Provokationen für uns in einer Gesellschaft, in der die Krankenkassen für persönliche Zuwendung bei der Pflege nichts zahlen und sich auch ein Klimawandel anderer Art leise vollzieht, zu einem Mehr an Gleichgültigkeit und sozialer Kälte!
Werk der Hände. Ein drittes Verbindungsstück: eine Frömmigkeit, die zum Handeln drängt! Elisabeth und Franziskus sind bei aller mystischen Erfahrung in der Nachfolge des Gekreuzigten Menschen einer zupackenden Spiritualität. Die Nähe zu Christus auf dem La Verna bei der Stigmatisierung (vergleiche seinen Lobpreis) beziehungsweise die inneren Tröstungen einer Elisabeth beim Gebet lassen sie nicht abheben, sondern bewegen sie zu den Menschen hin. Franz von Assisi lässt die Bibel der Gemeinschaft verkaufen, damit eine bedürftige Mutter ihre Familie ernähren kann. Elisabeth lässt in Zeiten großer Hungersnot die Getreidespeicher öffnen und mit Umsicht nur Tagesrationen austeilen, um dem Weiterverkauf zu Wucherpreisen vorzubeugen. Nach den Aussagen ihrer Dienerin Isentraud gibt die Landgräfin „allen, die arbeiten konnten, Hemden und Schuhe, damit sie ihre Füße an den Stoppeln nicht verletzen, und Sicheln, damit sie mähen und sich von ihrer eigenen Arbeit ernähren können".
Hilfe zur Selbsthilfe – modern gesprochen! Hier ist Elisabeth wohl dem Charismatiker Franziskus im Organisationstalent voraus. Ein weiterer Berührungspunkt zwischen beiden Glaubensgestalten ist die Wertschätzung der Handarbeit. Elisabeth spinnt und zupft Wolle. „Noch nie ist es geschehen, dass eine Königstochter Wolle gesponnen hat!" Das ist sozial deplatziert, gegen die Normen des Hofes. Sie macht sich die Hände schmutzig, wie ein Franziskus beim Steinebetteln für die zerfallenden Kapellen um Assisi. Die Brüder der rasch wachsenden Bewegung werden auch als Tagelöhner von ihrer Hände Arbeit leben. Sie sollen erst dann zum Tisch der Barmherzigkeit Zuflucht nehmen – sprich: Betteln –, wenn es not tut. Mit Undank und Ablehnung in der eigenen Familie und auch bei den Armen rechnen beide Heilige. Der Sonnengesang und die Prozessakten der Heiligsprechung von Elisabeth betonen, dass beide sich nicht den Frieden und die Freude des Herzens nehmen lassen wollten.
Kraft des Herzens. Was verbindet den Mann aus Asissi mit der Frau aus Thüringen? Der Geist Gottes macht beide bildlich gesprochen dem Boden vertraut. Humus und Humilitas (Demut) haben im Lateinischen die gleiche Wurzel. Es ist die innere Kraft, die ihre Herzen mit dem Herzen Christi in Einklang bringt und sie bewegt, die Mitmenschen zu lieben, wie ER sie geliebt hat. Dieser Weg ging bis zum Äußersten: sich niederbeugen und die Füße waschen. Als Menschen auf den Spuren von Elisabeth und Franziskus in der Kirche Fußwäscherinnen und Fußwäscher in der Einfalt und Fröhlichkeit des Herzens sein – wie geht das konkret heute?