Beruf: Centurione
Einen Tag nach den Kalenden des März im Jahr 2755 ab urbe condita verging dem römischen Zenturio Crassus für eine Weile das Lachen. Nach unserer Zeitrechnung war das am 2. März 2002. Damals sah sich Crassus um die sechste Stunde, also gegen Mittag, an seinem Stand- und Stammplatz vor dem Kolosseum plötzlich von mehreren Carabinieri umringt, die ihn in seiner alt-römischen Soldatenmontur in ihren Wagen verfrachteten und wegen unerlaubten Waffenbesitzes abführten.
Söldner ohne Waffenschein . Auf dem römischen Einwohneramt ist Crassus unter dem Namen Franco Magni registriert. Bis 1996 war der heute 30-Jährige in einer Großbäckerei tätig. Eines Tages war er es leid, womöglich noch über Jahre hin cornetti, die in Rom beliebten Frühstückshörnchen, aus dem Backofen zu holen und in den Bars der Stadt zu verteilen. Schon bald führte ihn sein Arbeitsweg nicht mehr in die Backstube, sondern zum Kolosseum, wo er sich, verkleidet als römischer Zenturio, den Touristen für ein Erinnerungsfoto präsentierte, selbstverständlich gegen Entgelt. Francos Berufstracht bestand fortan aus Kniesocken, einem knielangen Rock und einem Mantel, alles in flammendem Rot. Dazu trug er einen goldfarbenen Blechpanzer und einen Helm mit rotem Federbusch. Und ein Furcht erregendes eisernes Schwert von 70 Zentimetern Länge, das bei frommen Pilgerinnen eine Gänsehaut und bei gelangweilten Städtebummlern ungeteilte Bewunderung hervorrief. Wenn er seine Waffe an den Steinquadern des Kolosseums zum Klirren brachte und dazu seine grimmigste Miene aufsetzte, fielen den Japanern die Kameras aus der Hand. Woran Crassus, alias Franco Magni, allerdings nicht dachte: Für sein Schwert hätte er einen Waffenschein benötigt.
Plastik - wie peinlich! Die Sache mit den Carabinieri ist glimpflich ausgegangen. Das Schwert wurde konfisziert, der Delinquent auf freien Fuß gesetzt. Seither fühlt sich Crassus wieder mehr als Franco Magni. Weil er sich mit einer hölzernen Attrappe begnügen muss.
Noch immer schwärmt er davon, wie er früher mit seinem Eisenschwert die Aufmerksamkeit auf sich zog. Heute (die Entrüstung ist aus seiner Stimme gut herauszuhören) würden viele Touristen ihn bloß verspotten: “It’s not real, it’s only plastic.“ So was tut weh. Außerdem ist es für einen Centurione mit einer Spielzeugwaffe gar nicht leicht, nostalgische Romreisende zu motivieren, sich zusammen mit ihm fotografieren zu lassen.
Gesetzlich anerkannt. Inzwischen hat die Kohorte der römischen Söldner beschlossen, ihr Image etwas aufzupolieren, nicht mit imponierendem Waffengerät, sondern mittels einer straffen Organisation. Längst nämlich haben auch andere Römer Geschmack an dem neuen alten Beruf gefunden und sich zu einem Verband zusammengeschlossen. Vorsitzender ist der 42-jährige Robert Coen, der bis vor wenigen Monaten in einem zappendusteren Metzgerladen Steaks vom Rinderknochen säbelte. Inzwischen hat er sein Tranchiermesser mit einem Holzschwert vertauscht. Dank seiner Initiative ist der Beruf eines Zenturios seit dem Frühjahr 2003 gesetzlich anerkannt. Naturgemäß können sich nur Männer bewerben. Zugelassen sind auch die extracomunitari, wie die Ausländer in Italien genannt werden – vorausgesetzt, sie sind in regola, also im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Das ist durchaus konsequent; schließlich setzte sich die Armee im alten Rom ja auch aus Legionären aus aller Herren Länder zusammen. Die Ausbildung findet nicht in der Kaserne, sondern mittels des Knigge statt. Schimpfwörter, wie sie zum Soldatenalltag gehören, sind verpönt. Das Reglement sieht vor, dass der Beruf auch part-time ausgeübt werden kann. Die Uniformen sind inzwischen ebenso einheitlich wie der Tarif. Für ein Foto an der Seite eines Zenturios zahlt man natürlich nicht in Sesterzen, sondern legt fünf Euro hin.
Trittbrettfahrer. Kaum aber war der neue Berufsverband anerkannt, traten auch die abusivi auf den Plan. Gemeint sind die Trittbrettfahrer ohne Ausbildung und Lizenz. Die nennen sich Gladiatoren und tragen eine ähnliche Uniform wie ihre gesetzlich approbierten Kollegen. Weil sie doppelt so fuchtig wie diese in die Welt blicken, verlangen sie für ein Erinnerungsfoto den doppelten Preis.
Die meisten von denen, die das neue Gewerbe ausüben, haben inzwischen begriffen, dass minimale Fremdsprachenkenntnisse den Umsatz fördern. “Do you want a picture?“ ist derzeit die meistgehörte Frage im Umkreis des Kolosseums. Weniger sprachbegabte Söldner schreien einfach “foto-foto“; das tönt wie Deutsch oder Norwegisch oder Esperanto und wird von allen verstanden.
Die blonden blauäugigen Signorine aus Skandinavien und die trippelnden Japanerinnen stehen sogar Schlange. Für die Amerikanerinnen gerät der Klick zum Kick, wenn ihnen ein athletisch gebauter Zenturio beim Schnappschuss den Arm um die Hüften legt.
Echte Alternative. Die sich mehr für das Rom der Renaissance als für die alten Römer begeistern, kehren den Zenturionen und Gladiatoren beim Kolosseum und den Kaiserforen den Rücken und begeben sich zum Vatikan. Dort lassen sie sich zusammen mit einem Schweizergardisten ablichten, und zwar zum Nulltarif.