Die Armee des Papstes
Laut Guinness-Buch der Rekorde ist die Guardia Svizzera Pontificia die älteste noch bestehende Militäreinheit der Welt. Seit 500 Jahren schützen die Schweizer Söldner den Papst – und sorgten nicht immer nur durch ihren heldenhaften Einsatz für Aufsehen…
Rom, 6. Mai 1527. In der Morgenfrühe dieses nebelverhangenen Tages erstürmen die beutehungrigen Söldnertruppen Kaiser Karls V. die Mauern Roms. Der entfesselte Haufen besteht hauptsächlich aus spanischen Kämpfern und deutschen Landsknechten. Papst Klemens VII., der durch seine schwankende Politik im Konflikt zwischen Karl V. und dem französischen König Franz I. das Unglück mitverursachte, hatte sich zum Gebet in die Kapelle zurückgezogen. Seine Berater haben ihm versichert, dass die marodierenden Haufen es unmöglich schaffen würden, in die Stadt einzudringen. Doch jetzt zeigt ihm das immer lauter werdende Kampfgeschrei, dass er sich nur noch durch Flucht retten kann.
Das große Plündern. Hätte er – so der Chronist – nur so lange gezögert, als das „Hersagen von drei Credo dauert“, wäre er in Gefangenschaft geraten. Als Fluchtweg dient ihm der Passetto, die begehbare Stadtmauer, welche vom Vatikanpalast zur Engelsburg führt. Begleitet wird er von 42 Schweizern seiner Privatgarde. Weitere 147 Schweizer, welche den Vatikan vor den Angreifern zu verteidigen suchen, fallen. Der Kommandant Kaspar Röist wird im Gefecht verwundet und später in seiner Wohnung von den nachstürmenden Söldnern vor den Augen seiner Frau bestialisch niedergemetzelt. Die nachfolgende monatelange Plünderung der Ewigen Stadt gehört zu den entsetzlichsten Vorkommnissen im Kirchenstaat. Die Straßen waren mit Toten bedeckt. Die Gotteshäuser wurden in Ställe verwandelt; selbst die Peterskirche entging nicht diesem Los. Gleichzeitig bedeutete dieser Sacco di Roma das – vorläufige – Ende der Schweizergarde.
Die Geschichte der päpstlichen Privatgarde reicht zurück bis ins späte Mittelalter. Damals waren die eidgenössischen Söldner in ganz Europa als kühne Kämpfer bekannt und geschätzt. Die Großmächte rissen sich geradezu um sie. Begreiflich daher, dass schließlich auch Papst Julius II., der selber mehr Zeit auf dem Schlachtross als in seiner Privatkapelle verbrachte, auf die Idee verfiel, Schweizer zu seinem persönlichen Schutz und zur Verteidigung des Apostolischen Palastes anzuwerben. 1505 ersuchte er die Eidgenössische Tagsatzung, ihm 200 Mann „zur Bewachung des Apostolischen Palastes“ zur Verfügung zu stellen. Es kamen aber nur 150 Fußknechte zusammen, welche im Winter über den Gotthard zogen. Am 22. Januar 1506 trafen sie in Rom ein. Dieser 22. Januar gilt als Gründungstag der Schweizergarde.
Julius II. indessen hielt sich nicht an die mit der Tagsatzung getroffene Abmachung. Eigentlich waren die Schweizer ja angeworben worden, um vor dem Papstpalast Wache zu schieben. Tatsächlich ließ Julius sich von ihnen auf seinen Reisen begleiten – dabei aber handelte es sich fast durchwegs um Kriegszüge.
Zügellos statt züchtig. Nach dem Sacco di Roma wurde den noch verbliebenen Gardisten freier Abzug gewährt. Erst gut zwanzig Jahre später erinnerte sich ein Papst wieder an den heldenhaften Einsatz, den die Schweizer damals geleistet hatten. Im Frühjahr 1548 zogen die helvetischen Söldner wieder in den Vatikan ein. Während der Wirren der Französischen Revolution und der napoleonischen Feldzüge war die Garde ebenfalls zwei Mal für kurze Zeit aufgelöst, nämlich von 1798 bis 1800 und von 1808 bis 1814.
Wie die Geschichte der meisten Truppenverbände verzeichnete auch jene der Schweizergarde nicht nur Höhepunkte. Vor allem im
17. Jahrhundert kam es gelegentlich zu unhaltbaren Zuständen. So glich die gardeeigene Schankstube (welche als Gästekantine noch heute existiert) zeitweise eher einer Spielhölle. Trunksucht und Händel unter den ‚braven’ Schweizern waren an der Tagesordnung. Mit dem Verlust des Kirchenstaates im Jahre 1870 und dem Rückzug von Pius IX. hinter die Mauern des Kirchenstaates verschwand die Garde zeitweise fast gänzlich aus dem öffentlichen Blickfeld. Gelegentlich kam es vor, dass einzelne Gardisten ihren Dienst an Außenstehende verkauften und sich für die weit lukrativeren Stadtführungen zur Verfügung stellten.
Bestens gerüstet. Dieser Niedergang wirkte sich auch auf die Uniformen aus. Die Soldaten glichen damals eher Faschingsfiguren als mittelalterlichen Kriegsknechten, ein Missstand, den erst der Gardekommandant Jules Repond (1910-1921) beseitigte. Dabei orientierte dieser sich an einem Fresko Raffaels in den berühmten Stanzen, das Papst Julius II. umgeben von Schweizergardisten zeigt. Die blau-rot-gelbe Galauniform verdankt ihren Ursprung dem Wappen des Geschlechts der Medici, dem Pius IV. (1560-1565) entstammte. Dass Michelangelo dabei seine Hände im Spiel hatte, gehört genauso ins Reich der Legende wie die Meinung, dass es sich bei der heutigen Schweizergarde um eine rein folkloristische Einrichtung handle.
Die päpstlichen Soldaten feuerten bislang zum letzten Mal Ende 1848 mit den Gewehren. Da Pius IX. es ablehnte, gegen Österreich in den Krieg zu ziehen, brandmarkte man ihn als Vaterlandsfeind. Worauf der Pöbel Anstalten machte, den von ihm bewohnten Quirinalpalast zu stürmen. Als die Garde das Feuer auf die Angreifer eröffnete, gab Pius Order, die Gewehre zu entladen. Die Svizzeri gehorchten, und der Papst floh als einfacher Priester verkleidet nach Gaeta.
Was die Bewaffnung betrifft, kannte später der bereits erwähnte Repond kaum Grenzen. Aufmerksam wurde man im Staatssekretariat, als er Handgranaten bestellte und sich sogar für Panzer zu interessieren begann.
Wenn es heute gilt, unausgeglichenen oder gar kriminellen Menschen den Zutritt zum Vatikan zu verwehren, legen die Schweizer ihre Hellebarden beiseite und greifen zur Tränengas-Sprühdose, die sie in ihrem Wams stecken haben. Auch für unliebsame Eventualitäten bei Großanlässen sind sie bestens gerüstet. Judotraining gehört genauso zu ihrer Ausbildung wie das Schießen mit der Maschinenpistole, das sie außerhalb Roms üben.
Vereidigt werden die neuen Gardisten jeweils am 6. Mai, zur Erinnerung an das tapfere Verhalten ihrer Vorgänger anlässlich des Sacco di Roma.