Eine Gemeinde wie Ebbe und Flut

28. Juni 2010 | von

Dass es Menschen gibt, die dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen und entspannen, kommt häufiger vor. Auf der Nordseeinsel Wangerooge gibt es Menschen, die dies sogar während ihres eigenen Urlaubs tun. Sie sind Teil eines Teams Ehrenamtlicher, das der Inselpfarrer Kurt Weigel zur Hochsaison um sich schart: zur Gestaltung von Gottesdiensten, Glaubensgesprächen und vielen kreativen Projekten. Ein Angebot für alle, die auf der Insel Erholung suchen und mehr...



Wangerooge ist die östlichste der sieben ostfriesischen Inseln in der Nordsee, darunter auch Borkum und Norderney. Zigtausende Touristen, die in jedem Jahr die Insel bevölkern, schätzen vor allem den Sandstrand, die überschaubare Größe der autofreien Insel, auf der man zwar hervorragend laufen, sich aber nicht verlaufen kann, ja einfach die Gemütlichkeit. Auch wenn die Bäckereien schon in den frühen Morgenstunden öffnen, gibt es die Tageszeitung nicht vor

8 Uhr. Sie kommt mit dem ersten Flugzeug und wird dann per Fahrrad den Geschäften und Haushalten zugestellt.



Seelsorgeteam für Spitzenzeiten



Wangerooge ist die einzige Insel, die zum Bistum Münster gehört. Auch wenn ein nur kleiner Teil der rund 950 Einwohner katholisch und die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher der Inselbewohner an zwei bis drei Händen abzuzählen ist, „residiert" in der katholischen Kirchengemeinde St. Willehad ein eigener Pfarrer. Kurt Weigel, seit 1994 „reif für die Insel" und dies bis heute geblieben, organisiert und trägt dort die Urlauberseelsorge. In den Osterferien und während der Sommermonate braucht er für den erheblichen Gemeindezuwachs durch Urlauber Verstärkung: Dann schart er etwa

20 Mitarbeiter um sich, die zusammen mit ihm für jeweils knapp drei Wochen im großen Pfarrhaus Haus Ansgar leben und ein sowohl spirituell-religiöses als auch profanes, aber stets niveauvolles Programm auf die Beine stellen. Unter den Freiwilligen lassen sich Familien, Senioren, Jugendliche, Ehepaare, Geistliche − alte Hasen und Neueinsteiger − finden. Sie werden vom Pfarrer in sein Urlauberseelsorgeteam integriert und bilden so vorübergehend eine Gemeinschaft.



Jeden Freitag überlegt sich das Team ein Wochenthema, zu dem die Gottesdienste und die vielen anderen Aktivitäten entsprechend den mitgebrachten Begabungsschwerpunkten gestaltet werden.



Anspruchsvolles Angebot



Täglicher Programmpunkt ist unter anderem der „Einklang" um 7.30 Uhr, eine offene Form von Morgengebet. Dieses enthält ansprechende Texte und Gebete, Musik, meditative Momente, Lieder, Gedankenanregungen, vielleicht auch einen Gesprächsaustausch. Zum „Einklang" in dieser frühen Stunde dürfen Pfarrer und Team schon zahlreiche Urlauber begrüßen. Der halbstündige „Ausklang" um 22 Uhr ist noch viel besser besucht. Für Lieder und Musik in der täglichen Eucharistiefeier sorgt das Team; es stellt eine Band mit den verschiedensten Instrumenten zusammen. Auf den ersten Blick ist es ungewöhnlich, wenn vorne im Altarraum Gitarre, Querflöte, Akkordeon, Geige, Klavier, Trompete und Klarinette zu finden sind. Doch nach dem ersten Lied ist der Neuankömmling in St. Willehad vom Zusammenspiel begeistert.



Die weiteren Programmpunkte an Vormittag, Nachmittag und Abend sind bunt und abwechslungsreich: Es wird eingeladen zu Literaturlesungen, Konzertabenden, Glaubensgesprächen, Filmangeboten mit Nachbesprechung, Predigtvorbereitungsgesprächen, Sandburgenbauen am Strand, Bastelaktionen und meditativem Tanzen. Sehr beliebt sind auch die mit Musik untermalten, kurzweiligen Reiseberichte des Pfarrers und seine Fensterwandbetrachtungen der Kirche. In den „freien" Zeiten zwischendurch muss vom Team vorbereitet, organisiert, gestaltet, eingekauft, überlegt, gekocht und aufgeräumt werden.



Gottesdienst in den Dünen



Einen Höhepunkt im Laufe einer Teamzeit stellt der Dünengottesdienst dar: Die Gläubigen beginnen mit dem Wortgottesdienst in der Kirche, anschließend geht es schweigend durch die Dämmerung am Strand entlang in eine Dünenmulde, in der Eucharistie gefeiert wird. Selbst für Kinder ist das ein beeindruckendes Erlebnis. Etwas stürmischer gestaltet sich das beliebte „Singen am Feuer" am Samstagabend: Nach der Vorabendmesse ziehen sich Pfarrer und Team das typische Fischerhemd samt rotem Halstuch an und singen und spielen mit den mindestens 250 Interessierten im Innenhof der Kirche beim Lagerfeuer bekannte und neue Volkslieder. So sind „Kriminaltango", „Hoch auf dem gelben Wagen" und „Wenn die bunten Fahnen wehen" schon von Weitem zu hören. Für passende Requisiten ist gesorgt. Ähnlich laut und in einer bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche – was in St. Willehad nicht ungewöhnlich ist – wird sonntags liebevoll der Kindergottesdienst gefeiert, darauf folgt das Hochamt mit anspruchsvoller Predigt – wie jeden Tag. Das lässt sich Radio Bremen nicht entgehen: Nicht nur einmal übertrug der Rundfunk bisher live einen Sonntagsgottesdienst von der Nordseeinsel. Ein besonderer Nervenkitzel für alle Beteiligten.



Nicht wenige sind inzwischen Stammgäste von Wangerooge geworden, um in St. Willehad geistig-spirituell aufzutanken. Und auch die Teammitarbeiter, für die Urlauberseelsorge selbst mit Erholung wenig zu tun hat, fahren gestärkt wieder nach Hause. Im Gepäck das Anmeldeformular für den kommenden Sommer.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016