Dankbarkeit schafft Lebensfreude

01. Januar 1900 | von

Eine alte Geschichte von S. Turgenjew erzählt folgendes: Eines Tages verfiel das Höchste Wesen auf den Gedanken, ein großes Gastmahl in seinen Prunkgemächern zu geben. Es lud die Tugenden dazu ein. Lauter Tugenden... Männer bat es nicht zu sich, nur Damen. Es kamen sehr viele – große und kleine Tugenden. Die kleineren waren angenehmer und liebenswürdiger als die großen. Aber alle schienen zufrieden zu sein und unterhielten sich höflich, wie es sich unter nahen Verwandten und guten Bekannten ja auch geziemt. Doch dann bemerkte das Höchste Wesen zwei wunderschöne Damen, die sich offenbar noch gar nicht kannten. Der Hausherr nahm die eine der Damen an der Hand und führte sie zu der anderen. Die Wohltätigkeit! sagte er und zeigte auf die Erste. Die Dankbarkeit! fügte er hinzu und zeigte auf die Zweite. Beide Tugenden waren unsagbar erstaunt: Solange die Welt bestand – und sie bestand seit langem -, begegneten sie einander zum ersten Mal.
Eine erstaunliche Geschichte, sie provoziert. Aber Hand aufs Herz, wie steht es mit Ihrer Dankbarkeit? Können Sie noch aufrichtig, spontan und ehrlich danken? Vergessen nicht auch wir allzu oft zu danken?

Mangel an Dank. Im Lukasevangelium ( 17, 12-19) lesen wir die Geschichte von den zehn Aussätzigen, die von Jesus geheilt wurden. Er schickte sie zu den Priestern, damit sie auch offiziell wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden konnten. Alle wurden geheilt, aber nur einer kam zurück, um Jesus zu danken. Jesus selbst fragte: Es sind doch alle zehn rein geworden, wo sind die übrigen neun? Er war wohl erstaunt über diese Undankbarkeit.
Nehmen wir nicht alles im Leben und vor allem die Tatsache, dass wir überhaupt leben, als sehr selbstverständlich an? Wenn es aber selbstverständlich ist, dass wir leben und es uns gut geht, sehen wir keinen Grund zu danken oder vergessen es schlicht und einfach.
Und wenn wir danken bekennen wir auch, dass wir abhängig sind, wie ein Kind von seinen Eltern, wie ein Bettler von seinem Wohltätern. Wir geben dann zu, dass wir begrenzt sind und jemanden anders nötig haben, wir geben zu, dass wir nicht alles selber erreichen können. Wer aber ist schon gern abhängig? Gerade im Alter des Erwachsenwerdens möchte man beweisen, dass man das Leben selbst meistern kann, jede Abhängigkeit und damit auch die Dankbarkeit wird oft fallen gelassen.

Das Schönste - geschenkt. Und doch ist eigentlich die Dankbarkeit eine Grundhaltung, die unser Leben froh macht und Beziehungen schafft. Dort wo man aufeinander angewiesen ist, geht es meistens noch menschlicher zu und her, Kontakte sind nötig, das Danken eine normale Haltung. Wir erfahren das besonders in den armen Gegenden der Welt, wo die Menschen einander brauchen. Ich denke an die eigene Erfahrung in der Kindheit, als wir auf die Nachbarn angewiesen waren und uns gegenseitig ausgeholfen haben in kleinen Diensten oder mit Geräten, die wir nicht alle besaßen. Wie haben uns unsere Eltern ans Herz gelegt, das Danken ja nicht zu vergessen, wenn uns geholfen wurde oder wenn wir etwas erhielten.
Wenn wir es richtig anschauen, können wir uns die schönsten Sachen im Leben, die erfreulichsten und besten nicht selber schaffen, nicht machen nicht kaufen, nicht verdienen, wir können sie uns nur schenken lassen. Es sind das Geborgenheit, Verständnis, Zuwendung, Freundschaft, Liebe und Herzlichkeit. Ist nicht das allein schon Grund zur großen Dankbarkeit?

Tausend Gründe. Jeder Mensch, jeder von uns kann da sicher eine ganze Palette von Gründen finden. Denken wir nur an das Leben. Wer hat es uns gegeben? Wer füllt es mit Inhalt und Ereignissen, dass wir daran wachsen und reifen? Woher kommen unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten, das Leben zu gestalten? Und unsere Gesundheit?
Wenn wir einmal etwas inne halten und unser Leben überdenken, zurückblicken, dann sehen wir plötzlich Zusammenhänge im Leben, erhalten Einsichten, erinnern uns an Lebenserfahrungen und spüren, wie alles sich entfaltet und entwickelt hat, wie alles nacheinander gekommen ist, meistens anders als wir es planten, aber doch gut wurde, uns geholfen hat in unserem Menschwerden. Für diese Tatsache können wir danken.
Vor allem aber ist es nicht selbstverständlich, dass wir überhaupt leben, dass wir eine Familie haben oder hatten, dass wir bis jetzt immer im Leben bestehen konnten, dass wir Menschen begegnet sind auf dem Lebensweg, die uns gut gesinnt waren und sind, mit denen wir vielleicht eine Gemeinschaft gebildet haben, mit einem Rucksack voll Freud und Leid, mit Auf und Ab in diesem Leben. Und wenn wir das vergleichen mit anderen sehen wir, dass es uns doch recht gut geht. Wir haben wirklich Grund zur Dankbarkeit.

Unverdiente Gabe. Vor kurzem besuchte ich im Spital einen ehemaligen Schüler, 33 Jahre, Leukämie. Lebenserwartung? Keine große mehr. Warum er und nicht ich? Leben ist ja eine Gabe, ein Geschenk, einmalig und einzigartig für jeden Menschen. Und wie viele Möglichkeiten sind in der Weltgeschichte und in diesem Universum vorhanden? Warum vergleichen wir unser Leben meistens nur mit denen, von denen wir glauben es gehe ihnen besser, sie seien reicher, schöner, gesünder? Wir sehen doch nur das Äußere des Menschen, wir sehen nicht in ihn hinein, können also nie wissen was er im Herzen lebt und vielleicht leiden muss. Solche Vergleiche sind der Beginn von Unzufriedenheit und hindern uns, dankbar zu sein. Bedenken wir aber unser persönliches Leben und sehen wir das Gute, dann müsste sich die Dankbarkeit von selbst einstellen. Ist nicht unser ganzes Leben ein unverdientes Geschenk, ja die ganze Natur und alle Mitmenschen, die Kunst und die Erfahrung echter Nähe, alles was das Leben erhält und es schön macht?

Grundstock erfüllten Lebens. In der Dankbarkeit liegt der Ausdruck der Anerkennung und der Einsicht, das ich von guten Mächten umgeben bin. Da beginnt eigentlich echte Religion, wenn ich mein Leben in großen Zusammenhängen sehe und spüre, dass ich gehalten und getragen werde.
Im Leben erfahren wir viele Aufmerksamkeiten. Wenn wir mit allen Sinnen offen sind für alles, was in uns und um uns vorgeht wird uns bewusst werden, welcher Reichtum und welche Vielfalt das Leben uns bietet, damit wir uns entfalten und zufrieden werden können, finden wir tausend Gründe, wofür wir dankbar sein können. Ich denke an die Geduld, die andere mit mir haben, das Erfahren von Lichtblicken in dunklen Zeiten, die Orientierung in schweren Augenblicken, Hilfe, in der Not, die Dienste im Alltag, das Kochen und Waschen, Flicken und Stricken, Putzen und Werken, für alle Zärtlichkeiten und alle Zeichen der Zuneigung, alle Harmonie und jede Freude. Und wenn ich diese Dankbarkeit auch ausdrücken kann, dann lerne ich die Kunst, zufrieden und sinnvoll zu leben. Solche Dankbarkeit macht unser Leben erfüllt, lebenswert und sinnvoll.

Echo der Liebe. Sie ist gezeigte oder gelebte Herzlichkeit. Sie ist, wie Hans Wallhof sagt, das Gedächtnis des Herzens. Sie ist ein Echo der Güte und der Liebe. Sie ist eine Kraft, die uns hilft, das Leben und die Ereignisse im Leben von der guten Seite zu sehen. Also ist sie eine Tugend, die vom Herzen kommt und somit etwas vom Geheimnis des Leben erahnt. Sie hat sehr viel mit Herzlichkeit zu tun. Sie ist die Kunst des Herzens.
Albert Schweitzer hat einmal geschrieben: Bedenke, was Dankbarkeit ihrem innersten Wesen nach bedeutet: Dass ein Mensch, durch geheimnisvolle, durch irgendeine von ihm ausgegangene Tat geschaffene Bande, auf immer dir verbunden bleibt.
Dankbarkeit schafft Beziehungen, von denen wir leben, Treue, die wir einander beweisen können, Bindungen, die uns nicht einengen sondern tragen.

Wem danken? Zuerst können und wollen wir dem danken, von dem das Leben kommt, dem Schöpfer des Lebens, dem Geber alle guten Gaben, wie die Bibel sagt, dem Ursprung vom Leben und dem Ziel unseres Lebens, Gott.
Dann können und sollen wir denen danken, die uns die Gaben, die sie erhalten haben irgendwie weitergegeben haben, Eltern und allen, die ein Teil von unserm eigenen Leben geworden sind, Kinder, Freunde, Bekannte. Schließlich allen Menschen, die uns in irgend einer Form Gutes tun, die unser Leben bereichern, die uns helfen, uns besser zu kennen - auch unsere Grenzen - und die manchmal für uns eine Herausforderung, eine Provokation sind.

Sichtbare Zeichen. Welches ist wohl die beste Möglichkeit, unseren Dank auszudrücken? Ich glaube, es ist unser Leben, das Leben in Freude, es ist die positive Bewältigung des Alltags, denn Dankbarkeit fördert stark die Lebensfreude und Lebensqualität. Wir drücken die Dankbarkeit aus durch ein Leben in einer gewissen Einfachheit und Natürlichkeit, in Herzlichkeit und dadurch, das wir das, was wir an Gutem und Schönem, an Wahrem und Edlem erleben weitergeben, uns zum Beispiel Zeit nehmen, das Leben bewusst zu leben, Zeit nehmen, um Gott zu danken, Zeit nehmen für das Schöne in der Natur und in der Kultur. Ja und übrigens: Vor allem Zeit nehmen für einander.
Es braucht oft nur kleine Zeichen der Dankbarkeit: Einen liebevollen Blick, ein gutes Wort, ein Blümlein, eine Handreichung, ein Geschenklein. Wie ich für alle kleinen Dinge im Leben dankbar sein kann, angefangen für das Wasser, mit dem ich mich am Morgen wasche bis zum Gutenachtkuss des Partners am Abend, so kann ich auch mit diesen kleinen Aufmerksamkeiten eine herzliche Atmosphäre in meine Umgebung bringen. Wie bereichert doch schon das kleine Wörtchen Danke unser Alltagsleben, gerade in der gewohnten Umgebung, wenn der Tagesablauf zur reinen Routine zu werden droht.

Dank dem gütigen Gott. Dankesfeiern kennen wir alle. In der Kirche haben wir im Herbst Erntedankfeste. Wir bringen Blumen, Gemüse, Früchte, Brot, Käse, alles, was uns die Natur schenkt und was durch die menschliche Arbeit entstanden ist vor den Herrn. Das sind Zeichen des Dankes an den gütigen Gottes für alle sichtbaren Gaben, durch die er unser Leben erhält. Wir halten vielleicht noch Dankandachten, danken für das Vaterland, die Heimat und singen das Großer Gott wir loben dich. Sicher ist das gut und sollte vertieft werden. Aber es gibt viele unsichtbare Gaben, Geschenke, für die wir diesem Gott ebenfalls danken können und danken sollen.

Sonntägliches Dankfest. Die große Danksagung erleben wir im Normalfall jede Woche, wenn wir zusammenkommen und gemeinsam die Eucharistie feiern. Es ist das Gedächtnis an Jesus, an sein Leben, sein Sterben, seine Auferstehung. In dieser Feier tauchen wir hinein in eine andere Wirklichkeit, in die Verheißung, die uns gegeben ist, in die Dimension der Unendlichkeit, in Gott. Sie zeigt uns, dass wir nicht nur das ganze irdische Leben und was es erhält als Geschenk erhielten, sondern auch Anteil haben am bleibenden
Leben, am Leben Gottes, dass wir alle von Gott geliebt und angenommen sind, bestimmt sind zum Glück mit ihm. Das ist ein Motiv zu jubelndem Dank. Nicht vergebens singen wir dann Nun danket alle und bringet Ehr... Grund dazu haben wir allemal. Ob wir nicht diese Dankesfeier, vermehrt zu einer freudigen Feier, mit dem frohen Charakter des Dankesfestes gestalten könnten? Feier und Fest, Gesang und Essen, sind Ausdruck der Dankbarkeit und der Freude, die wir in der Gemeinschaft der Gläubigen ausdrücken. Dabei dürfen wir etwas von der Freude erfahren, zu der wir bestimmt sind für immer. Wahrlich ein besonderer Grund zur unendlichen Dankbarkeit. Sie kann nicht spurlos an unserem Alltagsleben vorbeigehen. Sie macht uns froh und zufrieden, befreit von aller unnötigen Sorge um die Zukunft, weil der dankbare Mensch sich gehalten weiß von Gottes Güte.

Undank der Welten Lohn? Enttäuscht sind wir oft im Leben, weil wir keinen Dank ernten, wo wir ihn eigentlich erwartet hätten. Wie viele Eltern klagen, dass ihre Kinder undankbar sind. Da geben sie ihnen die beste Erziehung, lassen sie studieren, verzichten selbst auf alle Vergnügen und auf Urlaub, nur damit sie eine gute Ausbildung haben. Und was passiert? Nicht nur kein Wort des Dankes, sie machen alles anders, als die Eltern es erwarteten: Im Beruf, in den Beziehungen, sie gehen nicht mehr zur Kirche, leben ohne Trauschein zusammen, kommen nicht mehr auf Besuch. Und am Schluss werden diese Eltern von den eigenen Kindern, für die sich völlig aufgeopfert haben, noch ins Altenheim gesteckt. Ja, ja: Undank ist der Welten Lohn Diese Erfahrung ist hart, sie schmerzt.
Es muss nicht unbedingt so sein, aber es ist nahezu die normal Haltung, weil Kinder immer ihr eigenes Leben leben müssen. Es heißt nicht, dass sie nicht dankbar sein könnten, oder dass sie alles, was die Eltern ihnen taten vergessen hätten. Es hat etwas zu tun mit Selbständigkeit, sich nicht bemuttern lassen, nicht erdrückt werden wollen von einer anderen Generation. Es kann auch heißen, dass die Kommunikation und das Gespräch nicht immer gut liefen. Meistens aber ist es eine vorübergehende Phase eine Zeit der Distanz. Irgendwann kommt das Ganze wieder ins Lot.

Erwartungshaltung streichen. Dagegen gibt es nur eine Medizin: Keine Erwartungen des Dankes haben. Das gilt eigentlich für alles, besonders aber in der Erziehung. Wir dürfen nicht das Gute tun, um des Dankes willen, sonst werden wir nur enttäuscht. In der Erzählung von den zehn Aussätzigen, die Jesus heilte, und von denen nur einer zurückkehrte, um Jesus zu danken, ist nicht die Rede von Enttäuschung. Was wir aber daraus spüren ist eher Erstaunen darüber, dass dies so ist. Das dürfen wir wohl. Wir wissen ja, dass die Dankbarkeit selten ist. Wenn wir also keinen Dank erwarten, sind wir umso glücklicher, wenn ein Dankeszeichen kommt. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Dankbarkeit eine Herzenskultur ist, keine Sache der Berechnung und des Anspruches. Irgendwie müssen wir uns lösen von dauernden Erwartungen und Vorstellungen, wie der andere Mensch uns zu behandeln hat. Sonst werden wir nie zufrieden. Was wir aber brauchen, ist mehr spontane Herzlichkeit, die sich in Dankbarkeit ausdrückt und unsere Lebensqualität erhöht, weil sie uns froh und zufrieden macht.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016