Der Marco Polo des Ordens

01. Januar 1900

Johannes von Carpine ist vielen, selbst aus der franziskanischen Welt ein Unbekannter. Dabei wurden ihm viele Ehrentitel verliehen wie: der erste italienische Reisende in der Mongolei, der Autor eines kostbaren geographischen Werkes, der Vorläufer des Marco Polo. Das sind Titel, die ihm zurecht gegeben wurden. Doch er verdient andere, die mehr wert sind: großer Liebhaber der Kirche, Förderer des franziskanischen Ordens in ganz Nordeuropa, Verteidiger der Freiheit des christlichen Europa.

Die Mongolen kommen! Zur Zeit des Franziskus, konkret im Jahr 1222, kamen aus Ost- und Zentralasien mit einer ungeheuren Wucht und Schnelligkeit die Mongolen, verbreiteten sich in Südrussland, im Wolga-, Don- und Dnjeperbecken, siegten über das russische Heer und zogen sich wieder zurück. Ein neuer Anlauf erfolgte 1238. In dieser Zeit der Mongoleninvasion zog 1241 ein Franziskaner durch Deutschland und predigte einen Kreuzzug gegen die Eindringlinge: Johannes von Pian del Carpine.
Einige Jahre später verbreiteten sich Nachrichten über eine dritte Invasion, welche die Mongolen vorbereiteten. Papst Innozenz IV. reagierte auf den Hilfeschrei des Volkes. Er entschied, einen Botschafter ins Herz Asiens, zum Großkhan der Mongolen zu schicken, um dessen Horden aufzuhalten. Mit der Mission beauftragte er den Franziskaner Johannes von Carpine. Der Italiener, Sohn Umbriens, Kenner vieler Länder Europas und vieler Sprachen, gelehrt, erfahren, klug war einer der stärksten franziskanischen Charaktere der ersten heroischen Generation. Ihn also schickte der Papst als ersten apostolischen Legaten in den äußersten Osten mit einem Brief an den König und das Volk der Tartaren – eine Aufforderung, von ihren Zerstörungen und Raubzügen abzusehen, wenn sie nicht dem Zorn Gottes verfallen wollten.

Wer war Bruder Johannes? Die Geschichtsschreiber und Chronisten sprechen immer mit Bewunderung und Lob von ihm. Geboren wurde er vermutlich um das Jahr 1185 im heutigen Magione. Er schloss sich Franziskus in den ersten Jahren der Entwicklung dessen Ordens an.
1221 war er schon ein bekannter Prediger und ging mit Cäsar von Speyer nach Deutschland. Dort gründete er die theologische Schule der Minderbrüder in Magdeburg und schickte seine Brüder nach Böhmen, Ungarn, Dänemark und Norwegen.
Sein Pilger- und Missionsleben ging weiter. Er wurde Provinzial in Spanien und war ab 1232 wieder in Deutschland. Weitere Karrierestufen: Provinzial von Sachsen, Provinzial von Polen, Beichtvater er von Papst Innozenz IV.

Aufbruch mit Ängsten. Mit welcher Einstellung Johannes von Carpine den Auftrag des Papstes annahm und dass er sich der Gefahren bewusst war, die ihn erwarteten, können wir aus der Einleitung seines berühmten Werkes „Geschichte der Mongolen herauslesen.
„Nachdem wir vom apostolischen Stuhl den Auftrag erhalten hatten, zu den Tartaren und den anderen Nationen des Ostens zu gehen... brachen wir in das Land der Tartaren auf, weil wir befürchteten, dass von ihnen unmittelbar Gefahr für die Kirche drohte. Wir taten dies, obwohl wir fürchteten, getötet zu werden, oder unser ganzes Leben lang in Sklaverei zu geraten und obwohl wir befürchteten, über unsere menschlichen Kräfte Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Nachstellungen und jegliche Mühe ertragen zu müssen. Und all diese Übel ... mussten wir in einer Art und Weise ertragen, die unsere Phantasie weit übertraf. Trotzdem haben wir uns nichts erspart, weil wir den Willen Gottes, gemäß dem Auftrag des Papstes, gehorchen und für die Christen nützlich sein wollten.
Als Giovanni im April 1245 in Südfrankreich aufbrach, war er schon 60 Jahre alt. Zunächst hatte er zwei Brüder bei sich, von denen der eine jedoch schnell krank wurde und nicht weiterziehen konnte.

Im Land der Tartaren. In seiner „Geschichte der Mongolen, die eine kostbare Quelle für Historiker und Geographen ist, beschreibt Giovanni nüchtern und präzise die einzelnen Etappen. Während der ganzen Fastenzeit (1246) „waren wir so krank, dass wir kaum reiten konnten... wir hatten keine andere Speise als Hirse mit Wasser und Salz... und nichts zu trinken außer dem Schnee, den wir in unseren Bechern auflösten. Dann durchzogen sie die Kirgisensteppe mit ihrem furchtbaren Klima. Am 22. Juli 1246 kamen sie in die Stadt Karakorum, damals Hauptstadt der Mongolen, im Norden der Wüste Gobi gelegen. Mehr als ein Jahr war seit dem Aufbruch vergangen.
Vier Monate mussten die Brüder warten, bis sie zum Großkhan vorgelassen wurden und den Brief des Papstes übergeben konnten. Die Antwort des Herrschers war voller Stolz. Er sagte, er zerstöre die Länder von Osten nach Westen nach dem Willen Gottes. Gott sei mit ihm, das zeige sein Erfolg. Wenn der Papst mit ihm Frieden wolle, solle er zu ihm kommen und sein Lehensmann werden.

Mission überlebt. Schon zwei Tage später begannen sie ihre Rückreise. Die erste große Reise ins Zentrum Asiens war beendet. Die Reise des venezianischen Kaufmanns Marco Polos sollte 30 Jahre später beginnen. Der Papst empfing Giovanni in Lyon mit allen Ehren. Dann übertrug er ihm eine besondere Mission bei König Ludwig IX. von Frankreich. Danach machte er ihn zum Erzbischof von Antivari, eine Diözese, an der dalmatinischen Küste. Es waren schwierige Verhältnisse in der Diözese und schon am 1. August 1252, vor 750 Jahren, nahm der Herr Johannes in seinen Frieden auf.
Bruder Salimbene erzählt, er sei eines Tages in das berühmte Kloster von Cluny in Burgund gekommen. Als die Rede auf Bruder Giovanni von Carpine kam, hätten die Mönche gesagt: „Möge der Himmel, dass der Papst uns immer solche Gesandten schickt, wie es Bruder Giovanni war, der lebendig aus dem Reich der Tartaren zurückkehrte. Die anderen Gesandten hätten nämlich, wenn es ihnen möglich war, die Kirchen ausgeraubt und alles Mögliche davongetragen. Doch als Bruder Giovanni in unserer Abtei war, habe er nichts gewollt, außer ein wenig Stoff für den Habit eines Mitbruders.
Dieses Bild des Bruders, der als päpstlicher Legat eine der reichsten Abteien Frankreichs mit etwas Habitstoff für einen Mitbruder verlässt, kennzeichnet sehr gut diesen großen einmaligen Bruder des Franziskus.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016